Türkei: Die Instrumentalisierung der Turkmenen
Seite 2: Turkmenen und Dschihadisten
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Die Vereinnahmung der Turkmenen durch die Islamisten hat für diese eine strategisch wichtige Bedeutung, könnten sie doch so den Zugang zum Mittelmeer gewinnen. Dies macht sie zu einer Bedrohung für Russland, da sich in Tartus der Mittelmeerstützpunkt der russischen Flotte befindet, wie auch zu einer direkten Bedrohung der Alawiten, einer dem schiitischen Islam zugerechneten Glaubensgemeinschaft, zu der auch Assads Familie gehört.
Die Alawiten umfassen weltweit ca. 3 Mio. Menschen und nannten sich früher Nusairier. Der Name Alawit leitet sich von "Anhänger Alis - (ʿAlawīyūn)" ab und wird erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verwandt. Der alawitische Glaube ist eine Geheimreligion, die dem shiitischen Islam zugerechnet wird.2
Für den IS und die assoziierten islamistischen Gruppen gehört die differenzierte schiitische Bevölkerung zu den Ungläubigen, die es zu vernichten gilt - wie die Christen und Eziden. Das Schiitentum relativiert nach Ansicht des IS das Dogma der reinen Lehre des Wahabitentums. Das gilt auch für alle anderen verschiedenen islamischen Interpretationen.
Die türkischen Reaktionen auf den Abschuss des russischen Kampfjets machen den eigentlichen regionalen Konflikt von neuem deutlich: Innenpolitisch ging dem Abschuss eine gezielte Kampagne zur Unterstützung turkmenischer Milizen voraus, die besonders scharf gegen Russland gerichtet war.
Die turkmenischen Milizen arbeiten eng mit dschihadistischen Gruppen wie Ahrar al-Sham und Jabhat al-Nusra (beide mit al-Qaida assoziiert) zusammen. Dies zeigt sich auch in der Person des stellvertretenden Kommandanten Alparslan Celik der turkmenischen Milizen, der den Abschuss des russischen Flugzeugs und die mutmaßliche Ermordung eines der Piloten bekannt gab.
Vieles deutet darauf hin, dass er zum Kader der faschistischen MHP (Graue Wölfe) im türkischen Elazig zu rechnen ist. Sein Vorname erinnert an den MHP-Chef Alparslan Türkes. Es ist gängige Praxis in der Türkei, seinen Söhnen einen Namen zu geben, der die politische oder religiöse Ausrichtung der Familie repräsentiert.
Mittlerweile ist bekannt geworden, dass türkische Soldaten in Zivil auf Seiten turkmenischer Milizen und gemeinsam mit Dschihadisten in Syrien kämpfen. Bezeichnend sind die Reaktionen auf den Abschuss des russischen Fliegers: Weder die Türkei noch die NATO spielten mit dem Gedanken, den Konflikt zu deeskalieren.
Die NATO unterstützte die türkische Position, wonach der Abschuss des Flugzeugs gerechtfertigt war und dass es an Russland sei, sich zu entschuldigen. Russland setzte statt auf Eskalation auf Sanktionen im ökonomischen und diplomatischen Rahmen, ging verbal zwar auf das provokative Vorgehen von Türkei und NATO ein, hielt sich aber zurück (Putin: Ankara wird nicht mit "irgendwelchen Tomaten" davonkommen).
Rojava: Der dritte Weg
Während es hier scheinbar nur die Wahl zwischen Russland und den USA gibt, geht Rojava einen eigenen, einen dritten Weg. Dass die kurdische Bewegung die Gemengelage der Region gut analysiert hat, wird an den Äußerungen des KCK-Vorsitzenden Cemil Bayik gegenüber BBC Türkce deutlich:
Wir stehen weder auf der Seite Russlands, noch auf der Amerikas …Wer uns nicht akzeptiert, den werden wir auch nicht akzeptieren. Niemand sollte mehr solch ein taktisches Verhältnis zu den Kurden aufbauen. Diese Zeiten sind vorbei. Nur wer mit den Kurden strategische Beziehungen aufbaut, kann gewinnen. Wer so wie früher sagt: "Lasst uns die Kurden benutzen, die Kurden sind gute Krieger, lasst sie kämpfen und so unsere ökonomischen und militärischen Interessen durchsetzen", der irrt. Die Kurden sind nicht die Kurden von früher. Die Kurdinnen und Kurden nehmen ihr Schicksal nun in die eigenen Hände.
Cemil Bayik
Die demokratische Bewegung in Rojava führt einen pragmatischen Kampf gegen den IS und lässt sich nicht von fremden Interessen instrumentalisieren. Das ist langfristig zwar richtig und wichtig, kann aber kurzfristig die Lage in Rojava erschweren. Denn Teile der internationalen Koalition gehen zwar gemeinsam mit der YPG gegen den IS vor, schweigen aber zu den täglichen Angriffen der Türkei auf Rojava.
Eine weitere Eskalation steht bevor, wenn die Stadt Cerablus (Jarabulus) von der IS-Herrschaft befreit wird, denn dies ist der letzte entscheidende Verbindungsweg zwischen der Türkei und dem vom ISkontrollierten Gebiet. Jeder Versuch der Befreiung durch die YPG hat Angriffe der Türkei zur Folge. Die Türkei verteidigt die offene Grenze zum IS aktiv am Fluss Euphrat, der Kobanî und Cerablus (Jarabulus) trennt und damit auch die YPG und den IS.
Jeder Vorstoß der YPG auf die Stadt wird durch Luft- und Artillerieangriffe verhindert. Der Vormarsch von SDF/YPG/YPJ von Süden über den Tishrin Staudamm lässt aber einen Fall der IS-Hochburg Minbij und schließlich Jarabulus in greifbare Nähe rücken.
Ist Jarabulus für den IS nicht mehr zu halten, muss mit einem Einmarsch der Türkei oder anderer mit ihr verbündeter Milizen unter dem Label der "Befreiung" gerechnet werden. Dies kündigen die Angriffe auf den westlichsten, isolierten Kanton Afrin durch Jabhat al-Nusra und andere mit der Türkei verbündete Milizen, wie auch regelmäßiger Beschuss durch die türkische Armee, an.