Türkei: Hauptsache Grenzschützer?

Deutsch-türkische Regierungskonsultationen: Die öffentliche Kritik an der menschenrechtsverletzenden Politik von Erdogan und Davutoglu wird stärker; die Bundesregierung hält still

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Am heutigen Freitag findet in Berlin von 12 bis 15 Uhr die ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen auf Chef-Ebene statt. Der türkische Ministerpräsident Davutoglu reist mit mehreren Ministern der AKP-Regierung an, um in einer gemeinsamen Kabinettssitzung mit der Bundesregierung vor allem über die Abschottung von Europas Grenzen gegen Flüchtlinge zu beraten. Weitere Sitzungen sind geplant.

Abschottung von Flüchtlingen und Ausbau der Handelsbeziehungen

Vor dem Hintergrund des Terroranschlags in Istanbul, bei dem 10 deutsche Touristen starben, wird das Thema "Terrorismus" mit auf der Agenda stehen. Angesichts des Schweigens der Bundesregierung zu den täglichen Morden und Bombardements der türkischen Militärs und Sicherheitskräfte in den kurdischen Städten in der Südosttürkei ist nicht damit zu rechnen, dass vonseiten der Bundesregierung klare Worte des Einhalts kommen werden.

Die Begrenzung der Flüchtlinge, die Handelsbeziehungen, der Tourismus bestimmen die Interessen der Bundesregierung. Da möchte man den NATO-Partner nicht verärgern, sondern bei Laune halten. Aus diesem Grunde wird sie sich im Punkt Terrorismus auf den altbekannten, in unseren Medien immer wieder postulierten Kanon einstimmen, gemeinsam gegen den Terrorismus vorgehen zu müssen.

Gleichsetzung von IS und PKK

Dabei wird von Merkel sicher der Kampf gegen den IS angebracht, von Davutoglu abgenickt, der seinerseits dem Kampf gegen die "PKK-Terroristen" einbringt. Im Zuge der tödlichen Kampagne im Südosten der Türkei werden Kinder bereits im jüngsten Alter und Jugendliche zum Opfer türkischer Militärs. Akademiker, Schriftsteller, Filmemacher, Journalisten und Fotografen - sprich, alle, die sich kritisch zur Regierungspolitik Erdogans äußern - werden als Feinde, Verräter, Terroristen betrachtet und behandelt (Türkei: Hexenjagd auf kritische Akademiker).

Dabei war die Türkei auf einem guten Weg. Die 2012 begonnen Friedensverhandlungen und die Gespräche mit dem inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan weckten in der türkischen und kurdischen Bevölkerung die Hoffnung, die Kurdenfrage endlich friedlich lösen zu können und ihnen endlich, nach so vielen Jahren der Diskriminierung und Verfolgung einen Platz in der türkischen Gesellschaft als große ethnische Minderheit einräumen zu können.

Noch 2014 konnte man in den kurdischen Gebieten die kurdische Sprache hören, - lange Zeit war das Sprechen der kurdischen Sprache verboten und erst seit 2002 wieder erlaubt. Allerdings nicht als Unterrichtssprache, obwohl dies die Muttersprache von mehreren Millionen Menschen in der Türkei ist. Lasisch, eine südkaukasische Sprache an der Schwarzmeerküste, wurde nie mit Terror und Widerstand in Verbindung gebracht, wer Lasisch spricht, wird nicht diskriminiert und gefoltert.

In der Schwarzmeer-Region können die Lasen ab der 5./6. Klasse die lasische Sprache als Wahlfach wählen. Dies ist den Kurden bis heute verwehrt und wer heute, ein Jahr später, in der Öffentlichkeit in der Türkei kurdisch spricht, läuft wieder Gefahr, als Terrorist verhaftet, gefoltert, ermordet zu werden.

Kritik an der türkischen Regierungspolitik, nur nicht in der Bundesregierung

Amnesty International klagt in einem Bericht mit dem Titel "Europas Torwächter" die Flüchtlingspolitik der Türkei als unmenschlich an. Sie wirft der Bundesregierung vor, die Menschenrechtsverletzungen gegen die kurdische Bevölkerung zu ignorieren, obwohl dieses das Kernthema der Konsultationen sein müsste:

Die Bundesregierung fürchtet offensichtlich, durch Kritik an Menschenrechtsverletzungen die Zusammenarbeit mit der Türkei zu gefährden. Deshalb schweigt sie seit Monaten zu völkerrechtswidrigen Abschiebungen von Flüchtlingen nach Syrien und in den Irak, zur willkürlichen Tötung von Zivilisten und unverhältnismäßigen Ausgangssperren im Südosten der Türkei.

Marie Lucas, Türkei-Expertin von Amnesty International in Deutschland

"Die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei müssen Kernthema der Gespräche sein", fordert Lucas. Die Bundesregierung sei dazu verpflichtet, auch in ihren Außenbeziehungen für einen besseren Menschenrechtsschutz zu sorgen.

Mittlerweile gibt es Berichte von den Tagesthemen über den Deutschlandfunk , Monitor und etlichen Leitmedien kritische Berichte, dass die Türkei gegen internationales Recht verstoße. Die Bundesregierung schweigt beharrlich.

Gegenöffentlichkeit macht mobil

Aber die Gegenöffentlichkeit meldet sich zu Wort: Ein breites Bündnis von kurdischen, türkischen und deutschen Organisationen hat zu einer Kundgebung am heutigen Freitag in Berlin vor dem Kanzleramt aufgerufen, um die dort tagenden Politiker auf die Situation in den kurdischen Gebieten aufmerksam zu machen und auf die Mitverantwortung der Bundesregierung durch ihr Schweigen an den Menschenrechtsverletzungen hinzuweisen.

Auch in anderen Ländern stieß die Werbeaktion von Davutoglu auf Protest. In Großbritannien gab es Protestkundgebungen gegen den Besuch von Davutoglu für seine, bzw. Erdogans Kurdenpolitik.

Die AKP in Deutschland macht währenddesssen mobil gegen Erdogan Kritiker. Eine Unterorganisation der AKP, die UETD, ruft dazu auf, eine Datenbank von Regimekritikern in Deutschland anzulegen.

Aufruf von Remzi Aru von der AKP-Vorfeldorganisation UETD auf facebook

Die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (türk.: Avrupalı Türk Demokratlar Birliği, Abkürzung UETD) ist eine Lobbyorganisation der AKP, die europaweit agiert. Die Aktion sieht aus wie die Fortsetzung der Jagd auf kritische Journalisten in Deutschland und ist ein Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland.

In einer Petition solidarisieren sich nun deutsche Akademiker und Akademikerinnen mit ihren türkischen Kollegen und Kolleginnen.

Auch namhafte Künstler und Schauspieler solidarisieren sich mit ihren Kollegen und Kolleginnen in der Türkei durch einen Offenen Brief.