Türkei: Interessenskonflikte mit Moskau und Washington

Grafik: TP

Erdoğan will "Quellen der Bedrohung" der Türkei "trocken legen"

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Der amerikanische Syrien-Beauftragte Brett McGurk hat eine "sehr bedeutende Militäroperation" der USA in Syrien angekündigt, die den endgültigen Sieg über die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) bringen soll. Kurz danach griffen IS-Terroristen in der Nähe der Omar-Ölfelder Camps amerikanischer und französischer Soldaten an, wobei sieben Dschihadisten ums Leben gekommen sein sollen. Der IS hatte diese in der Wüstenprovinz Deir ez-Zor gelegenen und mit täglich 30.000 Barrel ergiebigsten syrischen Ölfelder im Oktober räumen müssen.

Inzwischen kontrollieren die IS-Dschihadisten nur mehr einen schmalen Streifen Land am Euphrat. Bislang erfolgreicher sind ihre Kollegen von der syrischen al-Qaida, der Hayat Tahrir asch-Scham. Sie beherrschen weiterhin den größten Teil der Provinz Idlib, in der etwa zwei Millionen Menschen leben. Viele davon sind selbst Dschihadisten, denen die syrische Armee in Aleppo, Homs, Ost-Gouta und Daraa die Möglichkeit bot, nach Idlib abzuziehen (vgl. Idlib: Der letzte Hort der dschihadistischen Herrschaft in Syrien). Inzwischen lässt sie dort Flugblätter abwerfen, die nahe legen, dass das Gebiet kein Dschihadistenreservat bleiben, sondern ebenfalls befreit werden soll.

Interesse, dass tschetschenische Dschihadisten aus Idlib nicht ungefangen heimkehren und Russland destabilisieren

Das könnte die Türkei verhindern, die in der Provinz bereits jetzt zwölf "Beobachtungsposten" eingerichtet hat und das Gebiet nördlich davon besetzt hält - mit Unterstützung der dortigen Dschihadisten. Auf dem AK-Parteitag in Ankara kündigte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan gestern an, er werde die "Quellen der Bedrohung" der Türkei "trocken legen". Türkische und internationale Medien interpretieren das als Ausbau der türkischen Militärpräsenz im Irak und in Syrien (vgl. Türkei begeht Menschenrechtsverletzungen in Afrin und Türkei bombardiert Eziden im Shengal im Nordirak).

Dabei könnte der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan allerdings mit Moskau aneinandergeraten, wo man nicht nur die syrische Regierung stützt, sondern auch ein Interesse daran hat, dass die zahlreichen tschetschenischen Dschihadisten aus Idlib nicht ungefangen heimkehren und Russland destabilisieren.

Mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump, dessen Schützlinge von der kurdisch dominierten SDF die Gebiete östlich davon kontrollieren, ist Erdoğan bereits aneinandergeraten. So sehr, dass er nach dem Absturz der türkischen Währung um 40 Prozent und einer Herabstufung durch die Ratingagenturen von einem "Wirtschaftskrieg gegen die Türkei" spricht, der mit "Zinsen, Devisenkurse, Inflation und Anlagen" geführt werde (vgl. Freier Fall der türkischen Lira gefährdet den Euro).

Der etwas andere Krieg mit Kampfflugzeugen

Darüber hinaus wird der Konflikt aber auch mit F-35-Kampfflugzeugen ausgetragen. Die lässt US-Präsident Donald Trump nicht angreifen - er hält die von der Türkei bestellten 30 Lockheed-Martin-Maschinen einfach zurück (was er seit einer amerikanischen Gesetzesänderung von 18. Juli darf) und hat das Pentagon angewiesen, die Verteidigungszusammenarbeit insgesamt zu überprüfen.

Das türkische Militär sieht sich bereits bei anderen Anbietern um und hat unter anderem Interesse am russischem Luftabwehrraketensystem S-400 und am südkoreanischen Kampfpanzer K2 signalisiert. Bis die türkischen Soldaten an diesen neuen Waffensystemen ausgebildet sind, wird allerdings viel Zeit vergehen. Zudem stellt sich bei einer weiteren Verschlechterung des Verhältnisses zu den USA die Frage eines Verbleibs der Türkei in der NATO, in die sie in den 1950er Jahren aufgenommen wurde, um einen Sperrriegel zwischen dem Süden der Sowjetunion und dem Nahen Osten zu haben.

Syrien-Viermächtetreffen in Istanbul

Für den 7. September hat Erdoğan den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, seinen französischen Amtskollegen Emmanuel Macron und die deutsche Regierungschefin Angela Merkel zu einem Syrien-Gipfel nach Istanbul eingeladen. Außer um Idlib soll es dort auch um den Wiederaufbau Syriens gehen, für den Putin gestern bei seinem Besuch in Berlin öffentlich mehr deutsches europäisches Geld anmahnte, damit bis Jahresende zwei Millionen Menschen Flüchtlinge aus Jordanien und dem Libanon in ihrer befreiten Heimat versorgt werden können. Schätzungen der UN nach soll durch den seit 2011 andauernden Bürger- und Stellvertreterkrieg Infrastruktur und Eigentum im Wert von 250 Milliarden Dollar vernichtet worden sein.

Die Europäer und Amerikaner verweigern eine finanzielle Beteiligung am Wiederaufbau bisher mit der Begründung, dass der von ihnen erwünschte Regime Change nicht eintrat. Damit tragen sie allerdings dazu bei, dass Syrer es vorziehen, sich teuer in Europa alimentieren zu lassen, anstatt in eine Heimat mit wieder funktionierender Infrastruktur zurückzukehren, wenn die Aufenthaltserlaubnis abläuft.

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