Türkei: So wurde das Referendum manipuliert

Seite 3: Die ungestempelten Wahlumschläge

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Zu einem Skandal führte aber die Entscheidung der YSK am frühen Abend, auch ungestempelte Wahlumschläge als gültig zu werten. Das türkische Wahlgesetz untersagt das. Worum geht es hierbei genau?

Die Umschläge der zugelassenen Wahlzettel müssen den offiziellen Stempel der YSK tragen, um gültig zu sein. Damit soll verhindert werden, dass weitere Wahlzettel in Umlauf gebracht werden, die möglicherweise nicht unter Kontrolle der Wahllokale und Beobachter standen. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass sich die YSK bei den Wahlumschlägen der Wahl im Ausland an die Vorgaben hielt. Noch am Wahltag sagte der Chef der YSK, die Entscheidung sei auf Druck der AKP zustande gekommen. Am Folgetag widerrief er diese Aussage.

Die Wahlbeobachter von Hayir ve Ötesi haben nun einen Zwischenbericht, in dem sie weitere Manipulationen am Wahltag auflisten. Die Gruppe hatte für ihre Beobachter eine App ("T3") entwickelt, in die sie die erhobenen Daten eingaben, die sich an der Urne ermitteln ließen. Zudem kontrollierten sie die Wähler- und Stimmlisten. Diese Daten werden nun mit den offiziellen Zahlen der YSK verglichen.

  • Laut YSK gab es 961 Wahlurnen, die ausschließlich Ja-Stimmen enthielten. In einem nächsten Schritt wollen die Aktivisten Wähler aus den betreffenden Bezirken kontaktieren um herauszufinden, ob diese tatsächlich nicht mit Nein gestimmt haben, und merken dazu an, dass es dort bei den vorherigen Wahlen stets signifikante Mengen an Stimmen für die Opposition gegeben hatte. Hinzu kommen zahlreiche Wahlurnen mit jeweils weniger als fünf Nein-Stimmen.
  • In mindestens zwei Bezirken (Urfa und Viransehir) tragen die Wählerlisten vom Wahltag dieselbe Signatur - was bedeutet, das ein und dieselbe Person die Zählung in unterschiedlichen Wahllokalen abgesegnet hat.
  • In 7048 Wahlurnen finden sich mehr Wahlzettel als es in den betreffenden Bezirken registrierte Wähler gibt. Das bestätigt Beobachtungen, nach denen Wahlzettel von außen eingebracht wurden oder Einzelpersonen mehrfach gestimmt haben.
  • Der Stempel, mit dem die Wähler am Wahltag ihre Entscheidung treffen sollten, trug den Text "Tercih" (Auswahl). Dennoch wurden unzählige Wahlzettel mit einem "Evet" (Ja)-Stempel gefunden. Dieser wurde bei vorherigen Wahlen verwendet und war offiziell am 16. April in keinem Wahllokal zu finden. Das ist ein Hinweis auf vorab gestempelte und von außen eingebrachte Stimmzettel. Trotzdem wurden diese als gültig gewertet.

Hayir ve Ötesi geht, wie auch andere Beobachter, von mindestens 2,5 Millionen manipulierten Stimmen aus und zieht aus diesen wie auch sämtlichen Entwicklungen vor der Abstimmung das Fazit, dass diese ungültig ist und nicht akzeptiert werden kann.

Angesichts dieser Erkenntnisse zeichnet sich ab, dass die Umfragen im Vorfeld der Wahl richtig lagen. Die Nein-Stimmen überwiegen deutlich. Und wäre der Wahlkampf frei und ohne staatliche Eingriffe geblieben, dann wäre das Ergebnis noch weit deutlicher ausgefallen - zuungunsten Erdogans.