Türkei: Verbot der demokratischen Oppositionspartei HDP eingeleitet
Seite 2: Der Tunnelblick der deutschen Regierung
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Würde die Bundesregierung ihren Tunnelblick ablegen, würde sie erkennen, wie weit ihre Wahrnehmung und Haltung gegenüber der Türkei an der Realität vorbeigeht: Menschenrechtsverletzungen, Missachtung von Frauen- und Kinderrechten, gleichgeschaltete Medien, eine politisch gesteuerte Justiz, völkerrechtswidrige Interventionen in Syrien und dem Nordirak, das drohende Verbot der HDP, um nur einige Punkte zu nennen, sind deutliche Parameter für die Konsolidierung einer Diktatur.
Die Auswirkungen davon sind auch in Deutschland zu spüren. In der türkischen Community brodelt es. Türkische Nationalisten und Islamisten fühlen sich durch die Politik der Bundesregierung ermuntert, türkische oder kurdische linke und demokratisch gesinnte Bürger zu diffamieren und zu bedrohen.
Gleichzeitig gießt die Bundesregierung mit der Kriminalisierung der Kurden hier Öl ins Feuer und bestärkt Erdogan in seiner anti-kurdischen Politik. Die Bemerkung des Sprechers des Auswärtigen Amtes, die HDP möge sich von der PKK distanzieren, bestätigt erneut, dass die Bundesregierung Realitäten nicht anerkennt.
Selahattin Demirtas erklärte in einem Interview am 8.12.2020:
Es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen der HDP und Gewalt - auch nicht zwischen der HDP und Waffen. Das wird es auch nie geben. Dass wir bei der Frage der Zukunft der Kurden eine andere politische Perspektive haben als andere politische Parteien, bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die HDP gewaltbereit ist. Jeder, der in der HDP eine Aufgabe übernimmt, ist in der HDP, weil er eine Politik des Friedens vertritt und verteidigt.
Selahattin Demirtas
Die Haltung der Bundesregierung gegenüber der kurdischen Bevölkerung ist völlig unpolitisch: Wie kann man von einer diskriminierten und unterdrückten Volksgruppe verlangen, dass sie sich von einer für ihre Rechte kämpfenden politischen Bewegung distanziert?
Richtig wäre es, zunächst einmal von der türkischen Regierung echte Angebote für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts zu fordern. Die Auslöschung kurdischer Sprache und Kultur und fortgesetzter Assimilierungsdruck sind das genaue Gegenteil eines Angebotes. Ein Verbot der HDP wird die Radikalisierung der Kurden noch befeuern.
Die Bundesregierung ignoriert dieses Thema stoisch und schweigt, damit der türkische Präsident nicht verärgert wird. Das bundesdeutsche Bildungsministerium schweigt ebenso über Hass-Tweets des Politikdozenten Taceddin Kutay an der türkisch-deutschen Universität (TDU) in Istanbul.
"Kutay fällt seit Jahren immer wieder durch rassistische, homophobe und antisemitische Äußerungen auf. Im vergangenen Jahr bezeichnete er beispielsweise Homosexualität als Perversion. In einem Tweet von 2016 heißt es: 'Wir spucken auf eure beschissene EU'", berichtete der Spiegel am Freitag.
Die deutschen Mitarbeiter der TDU vermuten hinter der Zurückhaltung des Bundesministerium für Bildung und Forschung die Angst, bei zu viel Kritik könnte der türkische Hochschulrat seinen Einfluss auf die Universität ausbauen, wie dies schon bei der türkisch-französischen Galatasaray-Universität der Fall ist.
Dort haben langjährige Mitarbeiter aus Frankreich mittlerweile Probleme, ihre Arbeitserlaubnis zu verlängern. Ähnliches kennen wir von nicht genehmen Auslandskorrespondenten. Trotzdem wird von deutscher Seite geschwiegen. Aber schon Egon Bahr (SPD) meinte, dass sich die deutsche Außenpolitik nicht für die Menschen interessiere, sondern nur die geopolitischen Interessen als Staat verfolge.