Türkei - das historische Gedächtnis von Minderheiten wird ausradiert
- Türkei - das historische Gedächtnis von Minderheiten wird ausradiert
- Zerstörung von Kirchen und der Niedergang der christlichen Kultur
- Aleviten sind beunruhigt
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Die türkische Regierung treibt die Zerstörung historischer Kulturgüter, die keinen islamischen Ursprung haben, voran
Die türkische Regierung treibt die Zerstörung historischer Kulturgüter, die keinen islamischen Ursprung haben, voran. Kirchen und Zeugnisse mesopotamischer Kultur sind in der Region entweder dem Zerfall oder der Zerstörung ausgeliefert. In der Türkei soll das mehr als 10.000 Jahre alte Hasankeyf einem Staudamm weichen.
Die Altstadt von Diyarbakir-Sur, ein UNESCO-Weltkulturerbe ist bereits zu großen Teilen abgerissen worden. In Afrin hat die türkische Luftwaffe eine einmalige, gut erhaltene Hethiter-Tempelanlage mit Kampfjets bombardiert und zerstört. Ebenfalls in Afrin wurden ezidische Heiligtümer geplündert und zerstört. Internationale Archäologen und Theologen sind entsetzt darüber, wie die türkische Regierung das historische Gedächtnis von Minderheiten systematisch ausradiert.
In der Türkei macht sich unter den Aleviten die Angst breit, dass sie nun nach den Eziden, die in der Türkei faktisch nicht mehr präsent sind, oder den Christen, denen viele ihrer Kirchen und Klöster enteignet wurden, zur Zielscheibe werden.
Türkei bombardiert Weltkulturerbe in Nordsyrien
Überall dort, wo der türkische Staat fremdes Territorium besetzt - wie zum Beispiel in Nordsyrien, erfolgt im Anschluss die systematische und gewaltsame Zerstörung jenes kulturellen und religiösen Erbes, das nicht in Erdogans Ideologie passt. Historische Stätten und religiöse Denkmäler werden ausgeplündert, dem Erdboden gleichgemacht oder enteignet.
Ruinenstadt Barad: In der nordsyrischen Provinz Afrin bombardierten türkische Kampfjets die frühbyzantinische Ruinenstadt Barad. Dabei wurde mit der Julianos-Kirche (4 Jh.n.Chr.) eine der ältesten Basiliken der Welt zerstört. Seit 2011 war Barad UNESCO-Weltkulturerbe. "Nicht einmal die Mongolen haben derartiges gemacht", kommentiert dies der Leiter der syrischen Behörde für Altertümer, M. Abdulkerim.
Der Generaldirektor des historischen Areals, Mahmud Hamud, berichtet, dass aufgrund der Bombardierung große Teile des Areals wurden. Mit der Kirche des Heiligen Julianos soll auch das in ihr befindliche Grab des Heiligen Maron betroffen sein. Das Grab war erst 2002 von französischen Archäologen entdeckt worden.
Auf den Heiligen Maron geht der Name der mit der katholischen Kirche unierten Konfession der Maroniter zurück. Dörfer des 1. bis 7. Jahrhunderts: In einem Kalksteinmassiv im Nordwesten Syriens befinden sich 40 gut erhaltene antike Dörfer aus dem 1. bis 7. Jahrhundert. Sie wurden im 8. bis 10. Jahrhundert aufgegeben und nicht wieder besiedelt.
Sie liegen in einer bemerkenswerten Landschaft mit architektonischen Überresten von Wohnhäusern, heidnischen Tempeln, Kirchen, Zisternen, Badehäusern usw.. Sie zeigen den Übergang von der antiken "heidnischen" Welt des Römischen Reiches zum byzantinischen Christentum. Überreste von hydraulischen Techniken, Schutzmauern und römischen Ackerbauplänen zeugen von der Beherrschung der landwirtschaftlichen Produktion durch die Bewohner.
Vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien verwaltete die Generaldirektion für Antiken und Museen (DGAM) das Areal. Es sollten acht Parks unter Berücksichtigung des alten landwirtschaftlichen Bebauungsplans entstehen. Unter der Verwaltung der "demokratischen Föderation Nordsyrien" wurde das Areal ebenfalls geschützt. Die Bombardierungen und die von der Türkei geplanten Umsiedlungen und die Ansiedlung von Islamisten mit ihren Familien im Kanton Afrin bedrohen nun diese Areale.
Tempelanlage Ain Dara: Ain Dara liegt 8 km entfernt von der Stadt Afrin auf einem Siedlungshügel in der fruchtbaren Ebene um die Stadt Afrin. Auf dem Territorium wurden die Reste eines Tempels aus der späthethitischen Zeit freigelegt, die in das 13. bis 8. Jahrhundert v. Chr. datiert werden. Der Tempel ist der Göttin Ištar geweiht.
Sie war eine mesopotamische Planetengöttin und galt als die wichtigste Göttin Babyloniens und Assyriens. Sie galt auch als Gründerin der Stadt Ninive (Nordirak). Das Ištar-Tor ist eines der Tore Babylons und heute im Pergamonmuseum in Berlin zu besichtigen.
Am 26. Januar 2018 war der Tempel Ziel türkischer Luftangriffe. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte und der syrischen Regierung wurden 60% der Anlage dabei zerstört.
Türkei: Göbekli-Tepe, der älteste Tempel der Welt wird kaputtsaniert
Anscheinend hat die Erdogan-Regierung sich vorgenommen, jede Kultur zu vernichten, die vor der türkischen Invasion Mesopotamiens im 11. Jahrhundert Spuren hinterlassen hat. Entsetzt stellten internationale Archäologen fest, dass das Türkische Kultur- und Tourismusministerium durch "Konservierungsarbeiten" an der neolithischen Stätte von Göbekli Tepe irreparable Schäden am ältesten Tempel der Welt angerichtet hatte.
Beton wurde rund um den Tempel, der auf einem Bergrücken steht, mit schweren Walzenmaschinen aufgebracht, die alte Holzüberdachung durch ein 4000qm umfassendes Dach ersetzt. Das noch nicht komplett erkundete Areal um den Tempel herum wurde mit Steinen und Schutt aufgefüllt.
Der Tempel besteht aus zahlreichen megalithischen Steinsäulen mit einem Gewicht zwischen 40 und 60 Tonnen und T-förmigen Stelen mit eingemeißelten Darstellungen von Bullen, Schlangen, Füchsen, Löwen und anderen Tieren.
Die Hurriyet Daily News berichtete, das Tourismusministerium wolle dort ein neues Besucherzentrum mit einem Betonweg durch das Gelände bis zum Tempel errichten, um die Chancen auf Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes zu verbessern. Dabei ist aber gerade das Ziel der UNESCO, die alten und historischen Stätten zu bewahren.
Die Frau des verstorbenen Professors Klaus Schmidt, der zuvor in Göbekli Tepe die Ausgrabungen durchgeführt hatte, Çiğdem Köksal-Schmidt, selbst Archäologin, ist entsetzt: "Jedes Mal, wenn ich dorthin komme, sehe ich neue Zerstörungen", berichtet sie der Hurriyet Daily News. Die unvorsichtigen Bauarbeiten hätten diese außergewöhnliche archäologische Stätte irreparabel beschädigt.
Das Ministerium für Kultur und Tourismus der Türkei verteidigte die Arbeiten und erklärte, dass die Restaurierungsarbeiten unter Aufsicht von Archäologen und Mitarbeitern des Museums durchgeführt werden. Dem widerspricht Köksal-Schmidt: bei ihrer Besichtigung im März seien weder Archäologen, Ministeriumsvertreter noch Museumsmitarbeiter vor Ort gewesen.
Hasankeyf - eine Kulturstätte wird geflutet
Die Stadt Hasankeyf liegt im Tigristal in der türkischen Provinz Batman, dem historischen Nordmesopotamien. Seit über 10.000 Jahren ist die Stadt durchgehend bewohnt. Sie besteht aus Palästen und Felsenwohnungen in tausenden von Höhlen. Dort befindet sich auch die historische ayyubidische Ulu Cami und das Zeynel-Bey-Mausoleum.
Das ganze Areal war ein touristisches Highlight, es fehlte in keinem Türkeireiseführer. Hasankeyf erfüllte 9 von 10 Kriterien des UNESCO-Weltkulturerbes. Es kam nur deshalb nicht auf die Liste, weil man seit 20 Jahren wegen des riesigen Staudammprojektes keinen Antrag stellen wollte. Nun fällt die Stadt dem Damm endgültig zum Opfer, wie die Tagesschau kürzlich berichtete.
Die Höhlen werden gerade gesprengt bzw. mit Beton gefüllt und Felsformationen mit Baumaschinen zerstört. Alles wird in einem riesigen Stausee versinken. Das Illisu-Staudammprojekt umfasst 22 Talsperren und 19 Wasserkraftwerke. Für das Tigris-Tal und für die ebenfalls betroffenen Länder Syrien und Irak werden die ökologischen Folgen immens sein.
Für die kurdische und arabische Bevölkerung (bis zum Genozid an den Armeniern und Christen 1915 war die Bevölkerung mehrheitlich aramäisch) bedeutet der Staudamm gleichzeitig den Verlust ihrer Lebensgrundlage und damit die Vertreibung aus der Region. Viele Menschen dort können sich die teuren Wohnungen von Neu-Hasankeyf in der Nähe des Staudamms nicht leisten.
Diyarbakir - Zerstörung von Weltkulturerbe
Für die kurdische Bevölkerung ist Diyarbakir (kurd.: Amed) ihre Hauptstadt. Seit 4000 Jahren galt Diyarbakir, ein Schmelztiegel verschiedenster Kulturen und Sprachen als politisches und ökonomisches Zentrum.
Durch viele Jahrhunderte passierten Händler aus aller Welt die Tore der dicken Stadtmauer von Amed, um ihre Waren feilzubieten. Nicht wenige wurden dort sesshaft. Es entstand über die Jahrhunderte innerhalb der Mauern von Amed eine kosmopolitische Stadt, deren Spuren bis vor kurzem noch an allen Ecken und Gassen zu sehen war.
Die Bevölkerung der Stadt wählte mit großer Mehrheit bei den letzten einigermaßen korrekten Kommunalwahlen 2014 mehrheitlich die linke, prokurdische Partei HDP, die damit den Bürgermeisterposten besetzte. Diesen Posten teilten sich eine Frau und ein Mann gleichberechtigt: Gültan Kisanak und Firat Anli. Im Herbst 2016 wurden beide wegen Unterstützung der PKK festgenommen und sind seither inhaftiert. Die Stadt steht seither unter Zwangsverwaltung.
Die HDP trug der multikulturellen Zusammensetzung der Stadt Rechnung, indem alle öffentlichen Verwaltungen sich in den Sprachen türkisch, kurdisch und aramäisch präsentierten, um allen relevanten Minderheiten gerecht zu werden.
Sie setzte auch ein behutsames Stadtsanierungskonzept um, das zum Ziel hatte, die historisch gewachsenen Nachbarschaften in den Stadtkiezen mit ihren engen Gassen zu erhalten, aber trotzdem die Qualität des Wohnens und Lebens zu verbessern, ohne die Bevölkerung zu verdrängen.
Dies wurde von der überwiegend kurdischen Bevölkerung aktiv mitgetragen und umgesetzt. Die türkische Regierung antwortete mit Repression und der Enteignung von 82% der Altstadt Diyarbakir-Sur, Kirchen und andere historische Gebäude inbegriffen. Auch die Teile der Stadt, die seit 2015 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurden, fielen dem Dekret anheim.
Mit der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch im Juli 2016 setzte die türkische Regierung dem demokratischen Projekt ein Ende, wie Telepolis berichtete (siehe Diyarbakir - Stadt-Zerstörung und Enteignung). Anfang 2017 rückten die Bagger an, um große Teile der historischen Altstadt komplett abzureißen. Zuvor gab es noch vergebliche Versuche der Bevölkerung, durch Barrikaden ihre Nachbarschaften zu retten. Mit dem Abriss der Altstadt sind bedeutende kulturelle und historische Denkmäler und Geschichtsträger vernichtet worden.