Türkei: das verbotene Gedenken an den Völkermord an den Armeniern

So wurde 2017 in Istanbul-Beyoğlu der Opfer des Völkermords gedacht. Foto: Gazete Karınca / ANF

Wenn die türkische Regierung nicht an den Genozid von 1915 erinnert werden will, hat das viel mit der aktuellen Politik des Nato-Partnerstaats zu tun

Am 24. April wurde in vielen Ländern am 107. Jahrestag der Opfer des Völkermords an den Armeniern gedacht. Dort, wo dieses Verbrechen begonnen hatte, war allerdings das öffentliche Gedenken verboten.

Die Leugnung des Genozids und die damit verbundene Demütigung des armenischen Volkes ist tief in der türkischen Gesellschaft verwurzelt. Dabei war der Völkermord und die damit verbundenen Enteignungen das Startkapital für die sich damals bildende türkische Mittelschicht.

Die Türkei leugnet bis heute den Genozid an den Armeniern

Der 24. April 1915 markiert in der Geschichtsforschung den Beginn des Genozids an der Armeniern. An diesem Tag begann die Deportation der armenischen Elite aus Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Mehr als 1,5 Millionen Armenier fielen dem Völkermord, den die Türkei bis heute nicht anerkennt, zum Opfer. Aber auch die aramäischen, assyrischen und chaldäischen Christen, die Pontus - Griechen und Eziden waren betroffen. In Todesmärschen wurden die Armenier und Christen aus dem gesamten Gebiet der heutigen Türkei nach Syrien deportiert.

In Fatih Akins Film "The Cut", der Ende 2014 in den deutschen Kinos lief, sind diese Ereignisse sehr anschaulich dokumentiert. In den Wüstengebieten Nordsyriens bei Deir ez Sor, aber auch auf den Feldern in der Region bei Serekaniye, deren Areal damals Durchgangslager waren, finden die Bauern noch heute die Knochen der Opfer.

Die Türkei erkennt den Völkermord bis heute nicht an und lässt selbst das Gedenken verbieten. Das Gouverneursamt für die Provinz Istanbul verbot dieses Jahr erstmals eine stille Gedenkveranstaltung der Plattform „Gedenken 24. April“ im Stadtteil Beşiktaş mit dem Argument, dies sei „nicht angemessen“. Seit 2010 versammelten sich Menschen mit roten Nelken an einem öffentlichen Ort und breiteten auf dem Boden ein Transparent in armenischer, englischer, kurdischer und türkischer Sprache mit dem Satz „Wir alle teilen den Schmerz“ aus.

Der Leitspruch der Schweigeveranstaltung lautete in diesem Jahr: „Manche Wunden heilen nicht mit der Zeit – maßgeblich ist die Auseinandersetzung.“ Eine Auseinandersetzung mit diesem Erbe des Osmanischen Reiches im Übergang zur türkischen Republik lässt die türkische Regierung, wie alle Vorgängerregierungen bis heute nicht zu. Dabei waren die Besitztümer der enteigneten und deportierten Armenier und Christen damals quasi das Startkapital für die neu aufzubauende türkische Mittelschicht der jungen türkischen Republik.

Noch heute sind die in der Türkei lebenden Armenier ständigen Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Viele Nachfahren der Überlebenden des Genozids haben sich in den verschiedensten Ländern der Welt eine neue Existenz aufgebaut und versuchen dort, ihre Kultur und Religion zu bewahren. So auch in Uruguay, welches der türkische Außenminister kürzlich zur Einweihung der türkischen Botschaft in Montevideo/Uruguay besuchte.

Wenn der Außenminister grinsend den Wolfsgruß zeigt

Eine Gruppe armenischer Demonstranten protestierte am Jahrestag des Genozids vor der türkischen Botschaft gegen die Haltung der Türkei zu dem Völkermord. Als der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu mit seiner Limousine eine Gruppe armenischer Demonstranten passierte, machte er eine obszöne Geste: er zeigte grinsend den faschistischen Wolfsgruß – das Zeichen der rechtsextremen „Grauen Wölfe” und demütigte damit die Nachfahren der Überlebenden des Genozids.

Die per Video festgehaltene Szene wurde vom türkischen Revolverblatt Yeni Şafak, einem Sprachrohr der türkischen Regierung in der Türkei verbreitet. Im Bewusstsein um die Bedeutung des 24. April für die Armenier als türkischer Außenminister grinsend den Wolfsgruß zu zeigen, ist genauso verwerflich, wie wenn am Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust die deutsche Außenministerin aus einer Limousine heraus Protestierenden gegen den wachsenden Antisemitismus den Hitlergruß zu zeigen würde.

Das ist in Deutschland undenkbar und würde zum sofortigen Rücktritt der Außenministerin führen. Wie peinlich, dass ausgerechnet eine grüne Außenministerin sich kürzlich am Rande eines NATO-Treffens überschwänglich darüber freute, sich endlich mal mit dem Genozid-Leugner Çavuşoğlu zu treffen und die starke deutsch-türkische Partnerschaft anpreist, während zeitgleich türkische Drohnen in Nordsyrien Zivilisten töten und Kampfflugzeuge im Nordirak international geächtetes Giftgas gegen vermeintliche kurdische Separatisten einsetzt.

Erster systematischer Völkermord

Ein Artikel der kurdischen Nachrichtenagentur ANF beschäftigt sich mit der Verantwortung für den Beginn des Genozids bei der vom jungtürkischen 'Komitee für Einheit und Fortschritt' (Ittihad ve Terakki) gestellten Regierung im Osmanischen Reich, die im Ersten Weltkrieg mit dem kaiserlichen Deutschland und Österreich-Ungarn verbündet war. Die Jungtürken bedienten sich bei der Umsetzung der Deportationen u.a. der Hamidiye-Regimenter, die „hauptsächlich aus entlassenen Strafgefangenen, kurdischen und turkmenischen Nomaden und Flüchtlingen vom Balkan zusammengesetzt“ waren und als historisches Vorbild der heutigen „Dorfschützer“ in den kurdischen Gebieten der Türkei gelten.

Das damalige Deutsche Reich hatte ebenfalls seinen Beitrag zum Genozid an Armeniern und Christen geleistet. Das Ziel der Deportationen war die Auslöschung der armenischen Existenz.

Die türkische Regierung bezeichnet die Deportationen noch heute als „kriegsbedingte Sicherheitsmaßnahmen“, die notwendig gewesen seien, da die Armenier den Kriegsgegner Russland unterstützt hätten. Aber so einfach war das nicht. Die nationalistischen Jungtürken, 1909 im Osmanischen Reich an die Macht gekommen, versuchten den osmanischen Vielvölkerstaat in einen einheitlichen „pan-türkischen“ Staat umzuwandeln, Türkisch als Einheitssprache und den Islam als alleinige kulturelle und religiöse Basis durchzusetzen.

Andere Völker oder Religionsgemeinschaften hatten da keinen Platz. Daher waren die Deportationen nicht kriegsbedingt, sondern im Sinne einer ethnischen Säuberung schon vor Kriegseintritt geplant. 1913 verübte das jungtürkische Trio Enver Bey (der spätere Kriegsminister Enver Pascha), Talat Bey (der spätere Großwesir Talat Pascha) und Cemal Bey (der spätere Marineminister Cemal Pascha) einen Staatsstreich. Sie etablierten ein diktatorisches System, das in aller Härte gegen die "inneren Feinde", vornehmlich gegen die Armenier und Christen, vorging.

Die Türkisierung der Wirtschaft

Im Osten der Türkei betrieben die Armenier vor dem Genozid Gießereien, Webereien, Gerbereien und andere Handwerksbetriebe. Sie waren als Schuster, Tischler, Steinmetze und Schmiede für die Versorgung der Bevölkerung unentbehrlich und hoch angesehen. In Sivas waren beispielsweise von 166 Importeuren 125 Armenier. 32 von 37 Bankern, 6.800 von 9.800 Kleinhändlern und 130 von 150 industriellen Produktionsstätten gehörten Armeniern. 14.000 der dort beschäftigten 17.700 Arbeiter waren ebenfalls Armenier.

Im Osmanischen Reich bildeten im Wesentlichen Armenier und Griechen die Mittelschicht. Die nationalistischen Jungtürken fühlten sich dadurch bedroht. Die Turkstämme, die sich über die Jahrhunderte auf dem Gebiet der heutigen Türkei angesiedelt hatten, waren meist einfache Bauern. Zur Absicherung ihrer Macht wollten die Jungtürken eine türkisch-muslimische Mittelschicht erschaffen.

Mit staatlichen Maßnahmen versuchte die Regierung schon vor dem Kriegseintritt die Gründung rein türkischer Betriebe zu fördern. Sie stellte kostenloses Baugelände zur Verfügung, gewährte Zollfreiheit für Maschinen und zahlreiche Vergünstigungen. Trotz dieser Subventionen konnten die wenigen neuen türkischen Unternehmen nicht mit den armenischen und griechischen Unternehmen konkurrieren. Zwar war der Staats- und Regierungsapparat sowie der Militär- und Polizeiapparat unter türkisch-muslimischer Kontrolle, aber die Wirtschaft des Landes wurde von Griechen und Armeniern beherrscht.

Den Jungtürken, die das multiethnische und multireligiöse Osmanische Reich in ein „Großtürkisches Reich“ umwandeln wollten, standen Armenier, Kurden, Griechen und andere Christen bei der ethnischen und religiösen „Homogenisierung“ des Reiches und bei der Türkisierung der Wirtschaft im Wege. Dies war der eigentliche Grund des Völkermords an den Armeniern und ist nach wie vor der Kern des bis heute andauernden Rassismus gegenüber religiösen und ethnischen Minderheiten in der Türkei.

Der sich daraus entwickelte Nationalismus lebt bis heute in allen Parteien von der rechtsextremen MHP bis zur kemalistischen CHP weiter. Nur so lässt sich erklären, dass auch der Vorsitzende der CHP die völkerrechtswidrigen Annektionen von Afrin, Serekaniye und Gire Spi in Nordsyrien und den aktuellen Angriff auf Gebiete der Guerilla im Nordirak begrüßte.

Die Enteignung und Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich stellte letztlich die wirtschaftliche Grundlage der jungen türkischen Republik dar. Bereits im Oktober 1914, nachdem das Osmanische Reich auf der Seite Deutschlands in den Krieg eintrat, kam es in den frontnahen Gebieten in den östlichen Provinzen zu Übergriffen und Massakern an den Armeniern.

1918/19, nach den Deportationen, ging es den Jungtürken vor allem darum, zu verhindern, dass überlebende Armenier in die Türkei zurückkehren, um ihr geraubtes Eigentum wiederzuerlangen. Europa hielt sich damals wie heute bedeckt, denn sein Interesse war es, im Einklang mit dem Osmanischen Reich, den Markt unter seine Kontrolle zu bringen – koste es, was es wolle. Heute sind es neben wirtschaftlichen Interessen auch die Geflüchteten, die die Türkei Europa vom Leibe halten soll – was Ankara wunderbar ausspielt und Europa Milliarden an Euro abpresst.

Das Deutsche Reich trug damals einen erheblichen Beitrag zum Genozid an den Armeniern bei – was heute gut belegt ist, aber damals verschwiegen wurde. Heute trägt Deutschland durch sein Schweigen und Wegschauen erneut zu einem schleichenden Völkermord, diesmal an der kurdischen Bevölkerung, bei. Und wieder wird der Beitrag Deutschlands verschwiegen. Es ist eigentlich heute noch schlimmer: in Deutschland werden oppositionelle Kurden in die Türkei ausgeliefert – wohl wissend, dass sie in den türkischen Knästen gefoltert werden.

Kurdische Fahnen werden auf Demonstrationen und Kundgebungen verboten, die sich für Demokratie und Minderheitenrechte in der Türkei einsetzen. Die deutsche Regierung übernimmt unhinterfragt die türkische Propaganda und kriminalisiert all jene, die sich in Opposition zur türkischen Regierung befinden.

Blutiges Startkapital

Am 30. Mai 1915 erließ der Ministerrat eine Verordnung, welche die „Umsiedlung und Niederlassung“ der Armenier regelte. Demnach sollten die deportierten Armenier für ihre zurückgelassenen Häuser und Gegenstände entschädigt werden. Die geräumten Immobilien in den armenischen Dörfern sollten an türkisch-muslimische Umsiedler verteilt werden. „Geschäfte, Lager, Fabriken der Deportierten sollten öffentlich versteigert und die dabei erzielten Einnahmen auf den Namen des Eigentümers in der Staatskasse vorübergehend hinterlegt werden.“

Den Armeniern selbst war es nicht erlaubt, ihr Eigentum zu verkaufen oder andere Personen dafür zu bevollmächtigen. Mit der Umsetzung der Verordnung wurden sogenannte „Liquidationskommissionen“ beauftragt. Mit Einführung der Verordnung war aber allein schon durch die Todesmärsche, die Tausenden das Leben kostete, abzusehen, dass eine Entschädigung nur auf dem Papier stand und eine Rückkehr ausgeschlossen war.

Der deutsche Botschafter in Istanbul, Graf von Metternich, hielt in einem Bericht fest, dass er es für ausgeschlossen hielt, „dass die Verschickten je wieder in den Besitz ihres von der Regierung beschlagnahmten Eigentums gelangen. In einem Spezialfalle wurde auf dem Ministerium des Inneren erklärt: Die Rückkehr der betreffenden Individuen in ihre Heimat sei unzulässig, weil sie dort ihr Eigentum nicht mehr vorfänden, von dem inzwischen die Liquidationskommission Besitz ergriffen habe.“

Metternich stand der Ermordung der Armenier kritisch gegenüber. Er schlug dem deutschen Reichskanzler vor, der Türkei mit Sanktionen zu drohen, wie beispielsweise den Nachschub an Waffen zu stoppen und wenigstens in der deutschen Presse dem Unmut über die Armenier-Verfolgung Ausdruck zu verleihen.

Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg wies dies aber mit der Begründung zurück, die Türkei sei als Verbündeter wichtiger als die Armenier: "Unser Ziel ist, die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht." (Jürgen Gottschlich: Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier. Berlin: Ch. Links Verlag, 2015, S. 219)

Der Augenzeugenbericht des US-Konsuls Oscar H. Heizer aus Trabzon bestätigte die Befürchtungen des deutschen Botschafters:

Bis Dienstag, den 6. Juli, waren alle armenischen Häuser in Trapezunt, etwa 1000, von ihren Bewohnern verlassen, die Menschen waren deportiert worden. […] Die 1000 armenischen Häuser werden eins nach dem anderen durch die Polizei von ihren Möbeln befreit. Mobiliar, Bettzeug und alles, was irgendwie wertvoll ist, wird in große Gebäude quer durch die Stadt eingelagert.

Irgendwelche Anstalten, diese Besitztümer zu bewerten, gibt es nicht, und der Gedanke, sie geordnet 'unter dem Schutz der Regierung aufzubewahren, um sie den Eigentümern nach deren Rückkehr auszuhändigen', ist schlicht lächerlich.

Die Besitztümer werden aufgehäuft, ohne jeglichen Versuch einer Bezeichnung oder eines Systems beim Einlagern. Eine Menge türkischer Frauen und Kinder folgt den Polizisten wie ein Schwarm von Geiern, sie ergreifen alles, was sie zu fassen bekommen. Und wenn die wertvolleren Gegenstände von der Polizei aus dem Haus gebracht worden sind, so stürzt die Meute hinein und schnappt sich den Rest.

Ich sehe diese Vorstellung täglich mit eigenen Augen. Vermutlich wird es mehrere Wochen dauern, all diese Häuser zu leeren und dann werden die armenischen Läden und Kaufhäuser ausgeräumt. Die Kommission, die diese Angelegenheit leitet, spricht jetzt davon, die große Ansammlung von Hausrat und Besitztümern zu verkaufen, um damit Schulden der Armenier zu begleichen. Der deutsche Konsul sagte mir, er könne sich nicht vorstellen, dass den Armeniern – auch nicht nach Kriegsende – erlaubt würde, nach Trapezunt zurückzukehren.

Aus dem Augenzeugenbericht des US-Konsuls Oscar H. Heizer aus Trabzon

Der österreichische Konsul beschrieb in seinem Bericht an die Botschaft, die Praxis der „Entschädigung“ wie folgt:

In der gestern nachmittags abgeschobenen Gruppe befanden sich zumeist nur reiche armenische Familien, von welchen alle Grundbesitzer am Vorabend ihrer Abreise um 9.30 Uhr durch den Diener des Clubs Union & Progres aufgefordert wurden, sich behufs Übertragung ihrer Immobilien in die Defterhané [Behörde, Grundbuchamt] zu begeben. Diesem Befehl leisteten die Armenier sofort Folge und übertrugen zwangsweise ihre Immobilien auf Türken, deren Namen sie erst in der Defterhané erfahren hatten.

Die Zwangsverkäufe wurden auf folgende Weise durchgeführt: Die Armenier sind rechtzeitig aufgefordert worden, sobald sie vor der Defterhané erscheinen würden, zu erklären, dass sie ihr Haus oder Grundstück eigenwillig verkaufen und dass das ihnen angebotene Geld dem Gegenwerte des verkauften Gegenstandes entspricht. Im Zimmer, wo die Beamten und einige Zeugen sich befanden, lag auf einem Tische ein Sack mit Geld, welcher dem Verkäufer nach Beendigung der Formalitäten eingehändigt wurde. Der Käufer musste das Geld zählen, erklären, dass es richtig sei und […] das Geld wieder in den Sack legen.

Kaum aus dem Zimmer gelangt, wurde dem Verkäufer das Geld von Türken, die am Eingange warteten, abgenommen und derselbe Geld enthaltende Sack musste für weitere darauf folgende Zwangsverkäufe dienen. […] Am erwähnten Abende wurden unter anderen die zwei schönsten Häuser Brussas übertragen, und zwar das eine auf den Namen des Clubs Union et Progres und das andere auf den Präsidenten des Komitees, Ibrahim Bey.

Zitiert in: Gottschlich, Jürgen: Das deutsche Kaiserreich und der Völkermord an den Armeniern. Berlin, 2015, sowie von ANF

Historische Parallelen

Der organisierte Genozid an den Armeniern diente Hitler-Deutschland als Vorlage für die noch professionalisiertere Vernichtung der Juden, Roma und Sinti, Homosexueller und Oppositioneller. Raphael Lemkin definiert in seinem 2008 erschienen Buch „Axis Rule in Occupied Europe“ den Begriff „Genozid“ als "koordinierten Plan aus verschiedenen Handlungen, die darauf abzielen, die wesentlichen Grundlagen des Lebens einer nationalen Gruppe zu zerstören, um so die Gruppe selbst zu vernichten".

Zu einem wichtigen Bestandteil dieser Maßnahmen zählt er die Konfiszierung des Eigentums. (Lemkin, Raphael: Axis Rule in Occupied Europe. Laws of Occupation, Analysis of Government, Proposals for Redress. Clark 2008, S. 79.)

Ohne das Grauen dieses Völkermords an den Armerniern verharmlosen zu wollen: Wenn man sich die Bilder und Videos anschaut, wie die türkische Armee 1937 Massaker an zigtausenden Menschen in Dersim verübt hat, welche Grausamkeiten in den 1990er Jahren den Kurden widerfahren sind, als über 4000 Dörfer niedergebrannt wurden und noch heute die „Samstagsmütter“ jeden Samstag an ihre verschwundenen Söhne und Töchter erinnern, deren Gebeine nun in den Brunnen ihrer Nachbarschaft geborgen werden; wenn man die Berichte und Videos der Opfer der türkischen Annektionen von Afrin, Serekaniye oder Gire Spi in den letzten vier Jahren verfolgt, so kann man durchaus die Definition Lemkins auf die Türkei anwenden.

Das Tragische ist: Es interessiert auch heute die europäischen Regierungen nicht. 1915 wurde die armenierfeindliche Haltung der osmanischen Regierung und des Militärs von den Deutschen unhinterfragt übernommen und die Deportation mit organisiert. Heute wird die kurdenfeindliche Haltung der türkischen Regierung unhinterfragt übernommen und die kurdische Bewegung, die sich für Demokratie und Minderheitenrechte in den kurdischen Siedlungsgebieten einsetzt, wird auch in Deutschland kriminalisiert.

Das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wird im Sinne eines Gummiparagraphen auf das Engagement für mutmaßliche Teil-, Schwester- oder Vorfrontorganisationen ausgedehnt.

Kurden, die aufgrund politischer Verfolgung aus der Türkei geflohen sind, werden wegen ihres politischen Engagements in der linken kurdischen Bewegung abgeschoben und der Gefahr der Folter in der Türkei ausgesetzt, während türkische Faschisten in Deutschland unbehelligt ihr Unwesen treiben können. Der schleichende Genozid an den Kurden durch die türkische, iranische und syrische Regierung ist in Deutschland kein Thema, obwohl wir so viele Geflüchtete bei uns haben, die vor diesen Regimen genau deswegen geflohen sind.