Türkei riegelt Grenzen gegen syrische Flüchtlinge ab
Der türkische Europaminister Bozkır begründet dies mit einer Schuldzuweisung an Russland wegen Luftangriffen in der Region, die werden allerdings derzeit von Jets der US-geführten Koalition geflogen
Die Offensive der syrischen Armee zur Übernahme der Kontrolle von Aleppo hat angefangen. Die der Regierung in Damaskus nahestehende Publikation Al-Masdar News berichtet von Kämpfen innerhalb des Stadtgebiets, wo gegnerische Milizen beinahe eingekreist seien, und von militärischen Erfolgen außerhalb.
Die syrische arabische Armee (SAA) habe Al-Mallah, strategisch wichtig wegen der Verbindungsstraße "Castello Road", bei Kämpfen mit al-Nusra, Jaysh al-Mujahiddeen und Ahrar Al-Sham, erobert. Erwähnt wird im Bericht, dass die syrischen Kurdenverbände YPG sich im Gegensatz zu früheren Kämpfen in Aleppo nun augenscheinlich ihre Gunst der SAA zugewandt haben.
Weiter nördlich, in der Nähe zur türkischen Grenze, bei Azaz, wird von großen Fluchtbewegungen berichtet. Ausgelöst, so Informationen des Guardian, von IS-Milizen, die Feuer auf Bewohner von Dörfern eröffneten. Die IS-Milizen haben demzufolge am Donnerstag bis zu zehn Flüchtlingslager angegriffen und die Bewohner aufgefordert, diese zu verlassen und sich in Richtung von Gebieten zu bewegen, die unter IS-Kontrolle stehen.
Die Flüchtlingslager seien tatsächlich verlassen worden, allerdings habe sich ein beträchtlicher Teil der Vertriebenen, etwa 5.000 auf den Weg zur türkischen Grenze gemacht. Beim Versuch, auf die andere Seite der Grenze zu gelangen, seien sie allerdings von türkischen Soldaten beschosssen worden.
Diesen Vorwurf macht auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Dort spricht man davon, dass Kämpfe zwischen der IS und anderen Milizen in den letzten Tagen bis zu 30.000 Personen vertrieben hätten. Die Türkei habe ihre Grenze bei Azaz dicht gemacht und schieße auf Flüchtlinge, die trotzdem versuchen, ins Land zu kommen.
In einem Gespräch mit dem österreichischen Medium DiePresse.com bestätigte der türkische Europaminister Volkan Bozkir, der zu Besuch in Wien war, dass die Grenze zu Syrien für Flüchtlinge völlig geschlossen ist. Er begründete dies mit russischen Luftangriffen.
diepresse.com: Stimmt es, dass die türkische Grenze zu Syrien für Flüchtlinge völlig geschlossen ist?
Volkan Bozkir: Das haben wir wegen wegen der russischen Luftangriffe gemacht. Russland wollte damit absichtlich, eine neue Welle irregulärer Migration auslösen.
diepresse.com: Glauben Sie, dass Russland damit die Türkei und Europa destabilisieren wollte?
Volkan Bozkir: Genau. Sich an Europa zu rächen wegen der Sanktionen - und an der Türkei wegen des (abgeschossenen russischen) Kampfjets. Sie haben spezielle Orte bombardiert, um eine neue Welle auszulösen. Wir haben also Camps für 150.000 Flüchtlinge auf syrischem Territorium aufgebaut.
Diepresse.com: Aber sie werden nicht in die Türkei gelassen?
Volkan Bozkir: Wir können sie nicht hereinlassen, denn sonst wird es neue Angriffe auf Aleppo geben. Dort sind 3,5 Millionen Menschen, die eine neue Flüchtlingswelle bilden könnten.
Die letztere Äußerung verweist darauf, dass auch die Türkei Flüchtlinge als Teil ihrer Militärstrategie nutzt. Nach Angaben des russischen Generals Igor Konashenko, der gestern den Abschuss eines russischen Kampfjets bei Raqqa bestritt, würden sich derzeit alle russischen Flugzeuge bei der Flughafenbasis Kheimim befinden. Ob es aktuelle Operationen gibt, darüber er machte gegenüber TASS keine Angaben.
Bekannt ist, dass Russland der syrischen Armee Unterstützung bei der Aleppo-Offensive versprochen hat, und russische Flieger Stellungen der al-Nusra, die von der Waffenruhe ausgeschlossen ist, wie auch IS-Ziele sowie Kampfverbündete von al-Nusra, allen voran Ahrar al-Sham angreift. Ob und in welcher Form dies in den letzten Tagen geschah, darüber gibt es derzeit keine verlässlichen Angaben.
In Berichten heißt es jedoch, dass Flugzeuge der US-geführten Koalition Luftangriffe in dieser Region auf IS-Stellungen geflogen hätten. Hurriyet Daily News berichtet, dass Kampfflieger der US geführten Koalition gestern syrische Ziele in der Nähe der türkischen Grenze bei Kilis angegriffen haben.
Klar ist, dass die Türkei mit allen Mitteln gegen die YPG vorgeht und noch immer an ihrem Vorhaben der Schaffung einer "sicheren Zone" in Nordsyrien festhält, vorgeblich zum Schutz von Flüchtlingen, realpolitisch, um ihren Einfluss in Syrien auszuweiten und die Kurden zu bekämpfen. Russland strikt dagegen.
Geht es nach Informationen von Hurryet Daily News, so hat Erdogan bei seinem Besuch in Washington das alte Projekt wiederbelebt, zusammen mit den USA ein Ausbildungs-und Bewaffnungs-Programm mit syrischen Milizen durchzuführen. Pentagonvertreter zeigten sich bereit für eine Wiederauflage. Zitiert wird Col. Steve Warren, der Bereitschaft signalisierte, turkmenische Milizen zu bewaffnen. Diese gehören zu den Gegnern Russlands.
Kürzlich wurde im Zusammenhang der Bewaffnung von syrischen Milizen von einem "Plan B" der CIA berichtet. Falls die Waffenruhe nicht halte, würde man die gegnerischen Milizen der Regierung Assad aufrüsten. Die al-Qaida-Milizen werden also dafür belohnt, dass sie den Krieg weiterführen.
Vom Plan B wurde, wie das Wall Street Journal damals berichtete, bereits Ende Februar bei einem Treffen im Weißen Haus gesprochen. Zitiert wird aus dem Kreis von US-Verteidigungsminister Carter, dem CIA-Chef John Brennan und dem Vorsitzenden des Generalstabs Joseph Dunford eine Ankündigung, über Maßnahmen nachzudenken, "die den Russen richtig Schmerzen bereiten".