Türkische Armee: Der nächste völkerrechtswidrige Einmarsch?
Seite 2: Barzani in der Zwickmühle
Abgeordnete der kurdischen Oppositionsparteien PUK und Gorran im Regionalparlament der Kurdischen Regierung forderten sowohl die Regierung der irakischen Nationalversammlung als auch die Barzani-Partei KDP auf, Verantwortung zu übernehmen und die Türkei zum Abzug ihrer Truppen aus dem Irak zu zwingen.
Die Türkei versuche die Kontrolle über die Region durch den Einsatz von noch mehr Truppen, weiteren Militärbasen und Geheimdienstagenten in der Region zu erlangen. Sie würden das Land einfach als ihr eigenes Territorium behandeln, indem die türkische Gendarmerie in den Dörfern der Region um Erbil Militärbasen errichte.
Die Politiker drängten in ihrer Erklärung auf die Umsetzung der Entscheidung Nummer 37 des Parlamentsgesetzes 2003, die den Abzug der türkischen Truppen aus dem Nordirak vorsieht und mahnten an, die Unabhängigkeit zu bewahren und sich nicht mit der Türkei über Besatzungsoptionen abzustimmen.
Sie fordern darüber hinaus die Vereinten Nationen auf, sich für den Schutz der kurdischen Region Nordirak und des kurdischen Volkes einzusetzen und der türkischen Invasion Einhalt zu gebieten.
Die KDP, die Partei des konservativen Barzani-Clans, widersetzt sich den türkischen Invasionsplänen nicht. Einerseits ist es ihr nur recht, wenn andere die Konkurrenz, in diesem Fall die PKK, ausschalten, und anderseits hält sie die Füße still, denn die kurdische Autonomieregion im Nordirak ist zu über 90% von Importen aus der Türkei abhängig.
Baumaterialien, Eisen/Stahl, Zement, Elektronik, Mehl, Gemüse, Kleidung und viele weitere Produkte werden aus der Türkei importiert. Selbst das Trinkwasser, Linsen, Butter, Nudeln und Tomatenmark werden importiert. Eine Kunststoff- und Aluminium-Fabrik und sechs türkische Zementfabriken gibt es in der Region. Die Mas-Fabrik in Sulaimaniyya produziert täglich 18.000 Tonnen Zement.
Der Gewinn fließt nicht in die Region, sondern direkt in die Taschen des türkischen Staates. "Weil es in der Region keine Produktion, keine Fabriken gibt, hat der türkische Staat mit seinen Fabriken und Firmen die gesamten Handelsnetzwerke der Region unter Kontrolle."
Nach Angaben des Unternehmerverbands von Sulaimaniyya befinden sich in den drei Provinzen der Autonomen Region Kurdistan, Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya 5.000 ausländische Unternehmen. 2.000 dieser Firmen sind türkische Unternehmen. Das heißt, 40 Prozent des ausländischen Kapitals im Nordirak ist türkisches Kapital.
Der Leiter des Unternehmerverbands von Sulaimaniyya, Soran Ehmed, berichtet, dass die Verwaltung des Öls, die Infrastruktur der Städte, der Straßenbau und die Stromversorgung von Firmen aus der Türkei betrieben werden. Die Ölförderung aus der in Tawge befindlichen größten Ölquelle der Region kontrolliert das türkische Unternehmen General Energy.
Nach dem Referendum: Keine echte Regierung im Nordirak
Im Umkehrschluss heißt das, dass die KRG mit dazu beiträgt, die wackelnde türkische Wirtschaft am Leben zu halten. Die Türkei andererseits kann den nordirakischen Kurden von heute auf morgen den Waren- und Wasserhahn abdrehen und sie aushungern. Dazu kommt, dass es momentan keine wirkliche Regierung im Nordirak gibt. Das Parlament tagt kaum noch.
Die Parteien PUK und Gorran, die angeblich neben der KDP an der Regierung beteiligt sind, sind de-facto nicht mehr Teil von ihr. Das entgegen aller Warnungen im In- und Ausland vom ehemaligen Präsidenten der kurdischen Regionalregierung, Massud Barsani, durchgesetzte Unabhängigkeitsreferendum endete im Desaster.
Die irakische Regierung akzeptierte das Referendum nicht und schickte ihr Militär gen Norden. Sie sperrte den Flugverkehr zu den Flughäfen von Erbil und Sulaimaniyya. Die kurdische Regionalregierung musste die Kontrolle und Verteidigung der Grenzübergänge der irakischen Regierung überlassen.
Die schiitische Miliz Heşdî-Şabî übernahm gemeinsam mit dem irakischen Militär die Kontrolle über Kirkuk, Xurmatû, Germiyan, Maxmur und Şengal. Somit verlor die kurdische Autonomieregion 51% ihres bis dahin kontrollierten Territoriums.
Es entstand ein Chaos, von dem sich die kurdische Autonomieregion bis heute nicht erholt hat. Die Türkei nutzte die Gunst der Stunde und beschloss auf der Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats (MGK) am 22. September 2017 die Besetzung der Region.
Gab es bis dahin gegenseitige Konsultationen und Freundschaftsbekundungen bis hin zu Absprachen in der Bekämpfung der PKK, so warf Erdogan seinem Freund Barzani nun Verrat vor:
Setz Dich auf Deinen Platz. Was willst Du noch. Wir werden jetzt eingreifen. Glaubst Du, Du kannst dortbleiben? Wir werden Dir die Wasserquellen abschneiden. Wir werden Dir alle Einkommensquellen abschneiden. Ihr werdet kein Trinkwasser mehr finden. Wir haben nicht geglaubt, dass Barzani so einen Fehler machen würde. In einer Zeit, in der unsere Beziehungen sehr gut sind, ist so etwas Verrat.
Erdogan