Türkische Armee: Der nächste völkerrechtswidrige Einmarsch?
- Türkische Armee: Der nächste völkerrechtswidrige Einmarsch?
- Barzani in der Zwickmühle
- Unklare Haltung der irakischen und iranischen Regierung
- Es regt sich Widerstand in der Türkei
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Angeblich plant Erdogan die Besetzung von Teilen des Nordirak, um bei den Wahlen zu punkten
Kurz vor den Wahlen am 24. Juni will Erdogan noch einmal punkten. Nach der völkerrechtswidrigen Besetzung von Afrin in Nordsyrien ist jetzt der Nordirak dran. Anscheinend geschieht auch dies mit Billigung des Westens. Ziel sind diesmal die Kandil-Berge an der Grenze zum Iran, dort wo sich das Hauptquartier der PKK befindet.
Weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit bereitet Erdogan einen erneuten völkerrechtswidrigen Einmarsch in den Nordirak vor. Als im April/Mai deutlich wurde, dass ein Vormarsch von Afrin nach Manbidsch (auch Manbij; kurd.: Minbic) zumindest aktuell noch keine Option ist, musste sich die türkische Regierung mit den USA einigen (Unklarheit über türkisch-amerikanischen Manbidsch-Deal). Das sollte möglichst ohne Gesichtsverlust vonstatten gehen.
Daher wurde nach einem Treffen des US-Außenministeriums mit türkischen Regierungsvertretern verkündet: "Die Grundpfeiler für eine Zusammenarbeit bei der Gewährleistung von Sicherheit und Stabilität in Manbidsch wurden gemeinsam festgelegt."
Dabei ging es aber nicht um einen gemeinsamen Plan, der in der türkischen Besetzung enden sollte, wie es die Türkei verlauten lässt, sondern um das Abstecken von Grenzen für die türkischen Eroberungspläne.
Vereinbart wurden gemeinsame Patrouillen von US- und türkischem Militär an der Waffenstillstandslinie nördlich von Manbidsch. In Manbidsch und Umgebung soll - zum Ärger der Türkei - weiter der von den SDF ausgebildete und von der Bevölkerung gewählte Militärrat für Sicherheit sorgen.
Bei diesem Deal der US-Regierung wurde die türkische Besetzung Afrins und die damit einhergehende, noch immer andauernde Vertreibung der kurdischen Bevölkerung in Kauf genommen.
Akzeptiert werden die demographischen Veränderungen durch die Ansiedlung von Islamisten und ihrer Familien aus Ghouta, Damaskus, Idlib und Aleppo, aus dem Kaukasus und aus Zentralasien, sowie die Vergewaltigung von Frauen und die Plünderungen. Mit Afrin, Jarablus und Al-Bab auf syrischem Territorium soll sich Erdogan erst mal zufriedengeben.
Bestandteil der Gespräche sollen auch die Pläne der Türkei über eine weitere Besetzung von Teilen des Nordiraks in den Kandil-Bergen gewesen sein. Für Erdogan ist kurz vor den Wahlen ein weiterer militärischer Erfolg wichtig. Denn damit kann er von den wachsenden innenpolitischen Plänen ablenken und die türkischen Massen, das hat Afrin gezeigt, mit osmanischem Tamtam begeistern.
Die türkischen Invasionspläne
Erdogan hat in letzter Zeit kein Hehl daraus gemacht, worin seine neo-osmanischen Pläne bestehen: Die Besetzung und "Säuberung" des gesamten kurdischen Siedlungsraumes von Nordsyrien bis Nordirak. Immer wieder weist Erdogan darauf hin, dass Aleppo und Mosul laut dem Nationalpakt ("Misak-i Milli") von 1920 der Türkei gehören.
Nach der Karte dieses Nationalpaktes sollten die syrischen Städte Rakka, Dêra Zor, Aleppo, Idlib, …al- Bab, Minbic, Serêkaniya …die irakischen Provinzen Silêmanî, Mosul, (inkl. Şengal), die Provinz Kerkûk, sowie Selanîk (Bulgarien), Batum (Georgien), Nahçivan (Armenien) und Varna (Bulgarien) Teil des türkischen Territoriums sein.
Der Vertrag von Lausanne 1923 zog allerdings die heutigen Grenzen zwischen der Türkei und den umliegenden Ländern etwas anders. Der türkische Staat hatte zwar das Abkommen von Ankara 1926 unterzeichnet, welches das Gebiet des heutigen Nordiraks dem Irak zuteilte, betrachtete aber dennoch den Nordirak weiterhin als ureigenes Territorium. Im Oktober 2016 erklärte Erdogan:
Wenn wir Misak-i Milli verstehen, dann verstehen wir auch unsere Verantwortung für Syrien und den Irak. Wenn wir heute sagen, dass wir eine Verantwortung für Mosul haben, dann müssen wir diese sowohl im Feld als auch am Verhandlungstisch tragen.
Erdogan
Und Devlet Bahçeli, der Generalsekretär der faschistischen türkischen Partei MHP tönte: "Kerkûk ist die 82. und Mosul die 83. Provinz der Türkei."
Die Pläne zur Besetzung des Nordiraks sind nicht neu. Türkische Sondereinheiten und Militärbasen auf irakischem Territorium gibt es schon seit 25 Jahren. Nach der Anerkennung der kurdischen Regionalregierung im Jahr 1994 errichtete der türkische Staat in 18 verschiedenen Regionen des Nordirak Militärbasen, eine davon ist 25 km von der kurdischen Hauptstadt Erbil entfernt.
Mindestens 5.000 türkische Soldaten, in der Regel Spezialeinheiten, sollen sich in den Militärbasen befinden. In der Militärbasis Bamernê befindet sich neben einem Panzerbataillon auch ein Flughafen. In den Militärbasen Zaxo und Dohuk sollen sich auch Stützpunkte des türkischen Geheimdienstes MIT befinden. 2015 errichteten die türkischen Militärs bei Mosul die Başika-Militärbasis.
Diese ist ca. 100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt und befindet sich an einem strategisch bedeutsamen Punkt im Dreieck Kerkûk, Mosul und der Hauptstadt Erbil. Nach Angaben des türkischen Staates befinden sich dort 600 Soldaten, Panzer, Panzerfahrzeuge und große Mengen an Waffen. Im März 2018 wurden dort 3.500 weitere Soldaten stationiert.
Schon seit dem vergangenen Jahr mehren sich die türkischen Angriffe auf den Nordirak: Im Frühjahr 2017 wurden grenznahe Dörfer bombardiert und die Bevölkerung wurde daran gehindert, ihre Toten zu bergen. Am 25. April 2017 bombardierten türkische Kampfflugzeuge das Shengal-Gebirge, jenes Gebirge, auf den sich zehntausende Eziden 2014 auf der Flucht vor dem IS zurückgezogen hatten.
Am 20. September 2017 griffen die türkischen Militärs Dörfer in Behdinan an, sieben Zivilisten starben. Am 14. Dezember 2017 marschierte das türkische Militär von der türkischen Provinz Hakkari aus in den Nordirak ein. Helikopter setzten Soldaten in den Regionen Geliyê Reş, Çiyayê Siro, Çiyayê Evdilkofi, Ava Hecibegê ab.
Seit dem Frühjahr 2018 nahmen die Angriffe der türkischen Armee im Nordirak weiter zu. Dörfer in der Grenzregion Türkei- Nordirak wurden besetzt und die Region wurde von Helikoptern und Militärflugzeugen aus bombardiert.
Bis heute überfliegen Drohnen die Gebiete 24 Stunden am Tag. Türkische Militäreinheiten werden von Hubschraubern in den irakisch-kurdischen Bergen abgesetzt, damit sie Stellungen und Lager errichten.
Um nach Qandil zu gelangen, müsste die türkische Armee ein für Fahrzeuge unpassierbares Gebiet mit hohen Bergen und tiefen Tälern erobern. Derzeit konzentriert sich die türkische Armee auf das Gebiet Bradost, das zur Region Erbil gehört.
Dort wurden vor kurzem 3 neue Militärbasen errichtet. Am 11. März 2018 brachte der türkische Staat ein großes Truppenkontingent an der Grenze bei Soran in Stellung. Diese Region wird von den Peschmerga-Einheiten der Barzani-Partei KDP kontrolliert. Es kam im März und April 2018 zu mehreren Angriffen auf kurdische Dörfer in der Region, hunderte Zivilisten mussten ihre Dörfer verlassen.
Auf Demonstrationen äußerten die Bewohner der Region scharfe Kritik an den Peschmerga und dem türkischen Militär. Nicht die PKK müsse abziehen, sondern die Türkei, erklärten die Bewohner.
Gegenwärtig versuchen etwa 1500 türkische Soldaten, sowie Gendarmerie und Sondereinsatzbataillone der türkischen Armee, einen Korridor für den Vormarsch von Sidekan nach Qandil zum Hauptquartier der PKK zu öffnen. In den vergangenen zwei Wochen sollen weitere Kommandoeinheiten als Verstärkung eingetroffen sein, die Angriffe in der Region auf PKK-Stellungen ausführen würden, berichtet al-Monitor.
Begleitet würden diese Operationen mit F-16 Bombern, Sturmhubschraubern und bewaffneten Drohnen. Dabei wurden, so die Meldungen aus der Türkei, angeblich 26 PKK-Mitglieder bei einem Luftangriff am 12. Juni getötet.
Die türkischen Medien versuchen kurz vor der Wahl mit einpeitschenden Parolen wie "den Sumpf im Nordirak entwässern" und "den Kopf der Schlange abschneiden" sowie Erfolgsmeldungen über die "Eroberung von Kandil" für Erdogan Stimmung zu machen. In 90 Tagen würde die türkische Flagge über Kandil wehen, hieß es beispielsweise.
Ein Insider, der namentlich nicht genannt werden wollte, erklärte al-Monitor die momentane Situation so: Das grundlegende Ziel sei es, die PKK zu demoralisieren. Durch die Verlagerung des Kampfes gegen die PKK von Nordsyrien in den Nordirak solle die Legitimität der PKK mit ihrer Fokussierung auf den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) untergraben werden.
Die Türkei wolle den USA und den anderen westlichen Ländern ihre Entschlossenheit im Kampf gegen die PKK zeigen und gleichzeitig Bagdad und Erbil zu verstehen geben, dass die Sicherheit der Türkei im Nordirak beginnt. Realistisch ist der Plan der Türkei nicht, berichtet der anonyme Insider, der selbst im Jahr 2000 im Kandil-Gebiet an Militäroperationen beteiligt war.
Schon die extremen Wetterbedingungen würden die türkische Armee mehr herausfordern als die militärische Stärke der PKK. Kandil ist eine raue Gebirgsregion mit einer durchschnittlichen Höhe von 2.200 Metern und Hunderten von tiefen Schluchten. Im Norden zur Türkei werden die Berge rauer, daher gibt es dort nur etwa 600 kleine Dörfer.
Die PKK habe dort jedoch Tausende von Höhlen mit Beton verstärkt. Daher würden Luftangriffe die Aktivitäten der PKK nicht ernsthaft beeinträchtigen. Ohne die Unterstützung der irakischen und der kurdischen Regionalregierung seien die türkischen Pläne wenig erfolgversprechend.
Spätestens ab Oktober bis März könne man wegen der extremen Wetterbedingungen keine Operationen durchführen. Also ist Eile für das türkische Militär angesagt, denn Erdogan will vor dem 24. Juni Erfolge vermelden. Daher behaupten nun türkische Medien kühn, die Armee stünde 24 km vor Kandil.