Türkische Regierung veranlasst Nato-Sondersitzung

Beraten werden soll das weitere Vorgehen der Türkei in Syrien und im Irak. Die Türkei wünscht einen "Sicherheitskorridor" in Nordsyrien

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Auf Wunsch der türkischen Regierung gibt es am morgigen Dienstag eine Sondersitzung der Nato: Thema der Zusammenkunft der 28 Botschafter ist das weitere Vorgehen der Türkei in Syrien und im Irak. Laut Tagesschau beruft sich die Regierung in Ankara auf Artikel 4 des Nordatlantikvertrags:

Die Parteien werden einander konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebiets, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist.

Die Türkei sieht sich von zwei Terroristengruppen bedroht, dem IS und der PKK. So lautet ihre Erklärung für die militärischen Angriffe der letzten Tage, welche die Türkei nicht unerwartet, aber doch sehr plötzlich zu einer offen agierenden aktiven Kriegspartei gemacht haben. Angegriffen wurden Ziele in Nachbarländern: IS-Stellungen in Syrien (Türkische Luftwaffe greift IS-Stellungen an) und PKK-Ziele im Nordirak.

Das hat gravierende Folgen für die innenpolitische Situation in der Türkei, für den Konflikt zwischen der Regierung und den Kurden, der in der Türkei von einer massiven Verhaftungswelle begleitet wird, für die Frontverläufe und Bündnisse im syrischen Krieg und zuletzt für das demokratische Projekt im syrischem Kriegsgebiet, in Rojava.

Außerordentliche Parlamentssitzung - "Sicherheitszone"

Für den Tag nach der Nato-Sondersitzung ist ein außerordentliches Treffen des türkischen Parlaments, das eigentlich in den Ferien ist, anberaumt. Beide Treffen dürften ein Thema gemeinsam haben: die Schaffung einer "Sicherheitszone" bzw. "Sicherheitskorridors" in Nordsyrien, wie Premierminister Ahmet Davutoğlu andeutete.

Erdoğan propagiert den Wunsch nach Einrichtung einer solchen Pufferzone schon lange. Bislang haben sich die Natopartner, allen voran die USA, dem aber entgegengestellt. Seit dem Anschlag in der südosttürkischen Stadt Suruç hat sich die Situation geändert.

Argumentierte die türkische Regierung für ihr "sicherheitspolitisches Konzept" bislang vor allem mit Hinweis auf die beachtlichen Mengen von Flüchtlingen, die man bereits aufgenommen hat (knapp zwei Millionen) und die weiterhin ins Land strömen - und mit dem Hinweis auf die Gefahr von Angriffen von syrischem Gebiet aus, so hat sie nun dafür einen Beweis für die Weltöffentlichkeit. Allerdings bilden Hintergründe und Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Anschlag in Suruç Ungereimtheiten (Suruc-Anschlag: Verschwörungstheorien und Rachemorde).

Nicht der IS ist das Ziel, sondern die Kurden

Wie auch die nachfolgenden Militäraktionen, dem widersprechen, was die türkische erst publikumsträchtig verkündete: den Krieg gegen den IS. Manche gehen soweit, dass sie behaupten, die Türkei habe nur leere Ziele des IS beschossen, der Hauptangriff gelte den Kurden, um eine weitere Ausdehnung oder Konsolidierung kurdischer Gebiete im Norden Syriens zu verhindern. Laut CNN Türk wurden Freitagnacht keine Angriffe mehr gegen den IS geflogen, dafür viele auf kurdische Ziele

Hauptziel der Militäraktionen ist demnach weniger der IS als die PKK und verbündete Gruppierungen wie die YPG in Kobanê und Rojava. Gestützt wird diese Sicht durch Hinweise, wonach die Türkei mit dem IS über Händel und Geschäfte verbunden ist. Offenkundig ist, dass die Türkei dem IS an der Grenze viel gewähren hat lassen, währenddessen sie kurdischen Helfern für Kobanê den Übertritt in kritischen Situationen mehrmals verweigerte.

Für die Nato-Partner ist die anti-kurdische Strategie der Türkei nichts, wozu sie investigative Fähigkeit bräuchte, um sie zu erkennen. Das Problem ist, dass die USA auf kurdische Einheiten baut, um gegen den IS im Irak vorzugehen. Auch Deutschland sieht die Kurden im Nordirak als wichtige Partner im Krieg gegen den IS. Allerdings bezeichnen beide Staaten die kurdische Partei PKK als terrorristische Gruppierung.

Der nordirakische Kurdenführer Barsani, dessen Clan im irakischen Kurdistan eine mächtige Rolle spielt, soll sich gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten mit den Aktionen der Türkei einverstanden gezeigt haben, hieß es zunächst, dann aber, so berichtet, soll er ganz anderes gesagt haben und vor einer Eskalation gewarnt haben.

Die Trennung zwischen guten "Peshmerga-Kurden" und terroristischen PKK-YPG- Kurden ist keine politisch tragfähige Grundlage. Die Aufkündigung des Waffenstillstands zwischen PKK und der Türkei wird auch Kurden betreffen, die nicht in der PKK sind. Dass es jetzt in der Türkei zu größeren Spannungen kommt, deutet die Tragweite des militärischen Vorgehens an.

Angeblich hat die Türkei die Zustimmung der USA zu einem Sicherheitskorridor, den Kämpfer der Freien Syrischen Armee sichern sollen, so eine Meldung von Hurriyet. Ob dem tatsächlich so ist, ob die USA das große Risiko auf sich nehmen, ihre kurdischen Partner vor den Kopf zu stoßen, mit der Unterstützung einer Aktion, die in erster Linie der Türkei territoriale und machtpolitische Vorteile gegen Kurden bringt, wird sich am Dienstag zeigen.