Tunesien: Ein Großteil der Jugend "hat die Nase voll" und will raus
Nach einer Studie erklärt sich ein hoher Prozentsatz dazu bereit, auch auf illegale Weise zu emigrieren. Medien erklären dies mit der prekären Lage der Jugend
Ein ziemlich hoher Anteil von jungen Tunesiern, etwa 45 Prozent, ist dazu bereit, ihr Land zu verlassen, selbst auf illegale Weise, so lauten die Überschriften zu mehreren News-Artikeln in Tunesien. Grundlage für die Zahlen ist eine Studie des tunesischen Forums für ökonomische und soziale Rechte (FTDES), dessen deutscher Partner die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist.
Zur Gänze veröffentlicht scheint die Studie noch nicht zu sein. Auf der Webseite des FTDES findet sich kein Hinweis auf die Untersuchung über "Die Jungen und die illegale Migration in Tunesien", laut Untertitel1 eine Feldstudie über Stereotypen, Praktiken und Erwartungen.
So werden nur ein paar Zahlen über ein Phänomen bekannt gemacht, das tunesische Medien salopp damit umschreiben, dass die jungen Landesbewohner "die Nase voll haben". Aus der englisch-sprachigen Meldung der tunesischen Nachrichtenagentur TAP geht hervor, dass die Zahlen höchstwahrscheinlich aus einem Gespräch mit dem FTDES-Kommunikationsbeauftragten Romdhane Ben Amor stammen.
Sie sind sehr spärlich, geben aber einen Eindruck wieder. Immerhin wurden wurden 1.200 junge Tunesier aus sechs verschiedenen Gouvernements befragt (governorates (Tunis, El Kef, Gafsa, Kasserine, Medenine, Mahdia) mit einem leichten Männerüberhang (53,3 %) und der Eigentümlichkeit, dass 50 Prozent der Befragten ihre Schulausbildung in der weiterführenden Schule abgebrochen haben. Gut ein Viertel verfügt über einen Universitätsabschluss, knapp unter einem Viertel ist arbeitslos und 70 Prozent werden als "Jobsuchende" bezeichnet.
Eine große Malaise
Dieser Aufschlüsselung, die die schwierige Situationen bereits veranschaulicht, folgt ein zweites Resultat der Studie, die mit dem eingangs genannten Prozentzahlen etwas im Hader liegt. Am Ende der TAP-Meldung heißt es nämlich, dass 21 Prozent der Jugendlichen angaben, dass sie bereit sind auszuwandern, sogar "illegal", wenn sich die Möglichkeit dazu ergebe, und dass 15 Prozent äußerten, dass sie im Kontakt mit "Schleusern" stünden.
Auch etwas ausführlichere, französisch-sprachige Meldungen liefern wenig mehr Zahlenmaterial - außer dass 81% Prozent der Befragten zudem angaben, dass sie über die nötigen Finanzmittel für eine illegale Ausreise verfügen.
Dass fast die Hälfte der Jungen das Land verlassen will auf eine Weise, die viel Geld kostet und lebensgefährlich ist, sei eine "große Malaise", kommentiert African Manager mit dem Hinweis, dass es doch die Jugend sei, für die man das Land aufbaue und dass dieses Projekt jeden Wert verliere, wenn die Jugend große Lust habe, das Land zu verlassen.
Das tunesische Medium Realities.com sucht nicht lange nach Erklärungen: Die Studie verdeutliche die "Verunsicherung der tunesischen Jugend", wird dort kommentiert. Seit dem Aufstand vom 14.Januar 2011 sei die Jugend Opfer einer "Prekarität ohne Vorläufer". Es waren mehrere Demonstrationen, die bereits im Dezember 2010 begonnen hatten, die letztlich zur Abdankung des Autokraten Ben Ali führten und ein wichtiger Beweggrund wie auch Auslöser dafür war prekäre Situation der Jungen, wäre hier zu ergänzen.
Datteln und Tourismus...
Eine Jubelmeldung und eine Zwischenbilanz zeigen Eckpunkte der schwierigen wirtschaftliche Lage in Tunesien an, wo die Arbeitslosigkeit bei etwa 15 Prozent liegt und die Jugendarbeitslosigkeit laut taz am Jahresanfang 2016 bei 40 Prozent stagnierte. Gefeiert wurde diese Tage der Dattelexport, der eine Rekordhöhe erreichte und Tunesien mit Einnahmen von 189 Millionen Euro weltweit an die Spitze setzt.
Im Tourismus geht es um mehr Geld. Nach dem Terror-Attentat im Touristenort Sousse im Juni 2015 (und zuvor im März im viel frequentierten Museum Bardo in der Hauptstadt Tunis) machte man sich auf 500 Millionen US-Dollar Verlust gefasst.
Die jüngsten Zahlen bestätigen das nicht direkt, sie zeigen aber einen beträchtlichen Rückgang der Einnahmen. Auffallend sind den Rückgänge der Touristen aus europäischen Ländern: Frankreich, 50 Prozent weniger, Deutschland und Italien, mehr als 70 Prozent weniger, Großbritannien 90 Prozent weniger.
Aber zwischen Datteln und Tourismus müsste es noch eine Reihe anderer Wirtschaftsbereiche geben … Nach einem Bericht von Le Monde versprechen sich Investoren aber auch nicht viel von Tunesien. In Deutschland sorgte Tunesien vor ein paar Tagen kurz für Aufmerksamkeit.
...und Auffanglager nach Plänen der deutschen Regierung
Laut Informationen des Spiegel gibt es im deutschen Innenministerium Pläne, Auffanglager bzw. Hot-Spots für Ausreisewillige in Tunesien einzurichten - unter der Leitung der UN. Der Abteilungsleiter Bundespolizei im Innenministerium, Helmut Teichmann, soll "bei Kollegen in Italien und der EU-Kommission" um Unterstützung für den Plan werben.
Wie die Zeit berichtet, hatte Bundeskanzlerin Merkel schon vor Monaten vorgeschlagen, "mit Tunesien und Ägypten einen ähnlichen Flüchtlingspakt auszuhandeln wie mit der Türkei". Zudem habe man 2016 bereits einen zweistelligen Millionenbetrag in Tunesiens Grenzschutz investiert.