UK: Debatte um Labour-Duldung durch Sinn Féin
Die irisch-nationalistische Partei hat zwei Wochen vor den britischen Unterhauswahlen einen Wunschzettel veröffentlicht
Die Partei Sinn Féin (die sowohl in der Republik Irland als auch in Nordirland bei Wahlen antritt) ließ ihre Sitze im Westminster-Unterhaus bislang unbesetzt, weil sie ihre Abgeordneten lieber in Dublin als in London sähe und nicht möchte, dass sie der Königin einen Treueeid schwören. Angesichts von Umfragen, nach denen bei der nächsten Wahl weder die Tories noch Labour eine absolute Mandatsmehrheit schaffen, hat die Partei gestern jedoch Forderungen veröffentlicht, die sich teilweise wie Voraussetzungen für die Duldung einer Regierung lesen.
Die erste davon ist, dass die britische Regierung dem derzeit mit etwa fünf Milliarden Pfund subventionierten 1,8-Millionen-Einwohner-Landesteil Nordirland zusätzliche eineinhalb Milliarden Pfund zur Verfügung stellt. Für eine Labour Party, die im Wahlkampf mit weniger Schulden wirbt, wäre diese Summe eine gewisse Herausforderung - immerhin liegt sie 200 Millionen Pfund über dem Betrag, den Großbritannien jährlich für seine Geheimdienste ausgibt.
Über die Verwendung der zusätzlichen eineinhalb Milliarden Pfund soll die Nordirland-Versammlung in Stormont entscheiden, in der Sinn Féin 29 von insgesamt 108 Sitzen hat. Die Partei selbst schlägt vor, das Geld unter anderem für die Subvention der Kinderbetreuung zu verwenden, die ihrer Ansicht nach höchstens 15 Prozent des Familieneinkommens betragen darf.
Außerdem soll Stormont die vollständige Hoheit über die Einkommensteuern, Unternehmenssteuern, Staatsschulden, Renten und die Mindestlohnhöhe in Nordirland bekommen. Die Unternehmenssteuern will Sinn Féin von derzeit UK-weit 20 auf 12,5 Prozent senken, damit die Region besser mit der Republik Irland konkurrieren kann, die ebenfalls 12,5 Prozent nimmt.
Eine Senkung des Unternehmenssteuersatzes könnte jedoch nach EU-Recht dazu führen, dass London 325 Millionen Pfund weniger nach Stormont überweisen darf, wenn diese Mittel nicht streng zweckgebundenen sind. Niedrigere Unternehmenssteuern und höhere allgemeine Zuschüsse für Nordirland wären zusammen nur dann möglich, wenn Großbritannien aus der EU aussteigt - was Sinn Féin explizit nicht möchte. Weil sie befürchtet, dass eine Mehrheit der Briten 2017 für einen Abschied von Brüssel stimmt, fordert die Partei sogar ein getrenntes Referendum für Nordirland.
Für eine Volksabstimmung über einen Anschluss an Irland will Sinn Féin lediglich werben. Diese Zurückhaltung wird verständlicher, wenn man berücksichtigt, dass sich vor zwei Jahren nur gut 20 Prozent der Einwohner Nordirlands für einen solchen Landeswechsel aussprachen - und fast 80 Prozent für einen Verbleib bei Großbritannien. Auch wenn sich der Anteil der Anschlussbefürworter vergrößert haben könnte, nachdem sich die Republik Irland von einer Staatspleite entfernt hat, wird er wahrscheinlich noch ziemlich weit von einer Mehrheit entfernt sein. Deshalb steht auch die protestantische Democratic Unionist Party (DUP) in der Frage eines Referendums ganz hinter der offiziellen Forderung ihrer katholischen Widersacher.
Dass Sinn Féin die Hoffnung auf einen Anschluss an Irland noch nicht ganz aufgegeben hat, liegt unter anderem am demographischen Wandel: Die nordirischen Katholiken weisen nämlich eine höhere Geburtenrate auf als die Protestanten. Zwischen 2004 und 2014 sank deren Anteil von 53 auf 49 Prozent, während der der Katholiken von 44 auf 45 Prozent stieg.
Allerdings sind beileibe nicht alle nordirischen Katholiken für eine Aufnahme durch den südlichen Nachbarn: 2013 sprachen sich 38 Prozent von ihnen explizit für einen Verbleib im Vereinigten Königreich aus. Nur 35 Prozent entschieden sich damals für Irland. Weitere 18 Prozent wollten sich nicht an einer Abstimmung beteiligten und neun Prozent wussten nicht, wie sie sich entscheiden würden.
Obwohl britische und irische Medien bereits darüber spekulieren, ist eine Labour-Regierung, die sich von Sinn Féin dulden lässt, ein eher unwahrscheinliches Szenario. Weniger wegen der finanziellen Forderungen und dem Ruf nach mehr Autonomie, sondern vor allem wegen des Imageschadens, den die Sozialdemokraten dadurch erleiden würden.
Das liegt daran, dass der Partei von Großbritannien aus jahrzehntelang vorgeworfen wurde, der politische Arm der IRA zu sein. Diese Terrorgruppe ermordete alleine zwischen 1972 und 1997 fast 1.800 Menschen - vor allem durch Sprengstoffanschläge. Auch wenn sich die Situation nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 entspannte, ist dieser Bombenterror vielen Briten immer noch in Erinnerung.
Sinn-Féin-Politiker bestritten zwar stets, Fassaden der Terrorgruppe zu sein - aber ihre Distanzierungen fielen oft bemerkenswert vage aus. Noch heute verkauft die Partei T-Shirts mit Aufschriften wie "IRA - Undefeated Army" und nennt Terroristen "Óglaigh na hÉireann" ("Kämpfer Irlands").
Gegenüber Telepolis betont die Sinn-Féin-Pressestelle außerdem, dass man vorhabe, die Sitze im Westminsterparlament auch weiterhin nicht zu besetzen. Das nun veröffentliche Papier sei trotz seiner Formulierungen nicht als Angebot für eine Duldung gedacht, sondern dazu da, dass die Wähler wüssten, welche Forderungen Sinn Féin an eine fertige Regierung mit eigener Mehrheit stellen wird. Die Kandidatin Michelle Gildernew die im Wahlkreis Fermanagh and South Tyrone antritt, schloss im Gespräch mit der Lokalpresse allerdings nicht aus, dass sie ihr Mandat diesmal vielleicht doch wahrnimmt.
Sehr viel wahrscheinlicher als die Duldung einer Labour-Regierung durch Sinn Féin ist eine durch die Scottish National Party (SNP). Sie könnte nicht nur fünf Mandate, sondern etwa 50 erringen und damit drittstärkste Partei im Westminster-Unterhaus werden. Die SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon wirbt inzwischen dafür, dass eine Duldung zu SNP-Bedingungen auch Engländern nutzen würde, weil sie die Sozialdemokraten zwinge, von ihrem im Wahlkampf postulierten Sparkurs abzuweichen und mehr Geld auszugeben.
Die 140 Milliarden Pfund, die der SNP-Vorsitzenden als Mehrausgaben vorschweben, würden unter anderem in den Bau von Häusern, in Heizkostenzuschüsse und an Rentner fließen. Der BBC sagte Sturgeon, sie bekomme deshalb inzwischen massenhaft Mails von Engländern, die bedauerten, dass man in ihren Wahlkreisen nicht für die SNP stimmen kann.
Das Geld für die Mehrausgaben soll nicht nur aus Steuern für Banker, Briten mit einem Jahreseinkommen über 150.000 Pfund und Besitzer von wertvollen Häusern sowie aus Einsparungen bei der Nuklearrüstung kommen, sondern auch aus neuen Schulden, für die der schottische Liberaldemokrat Alistair Carmichael jährlich 3,1 Milliarden Euro an zusätzlicher Zinsbelastung errechnet hat.
Die walisische Regionalpartei Plaid Cymru vertritt ähnliche Forderungen wie ihr schottisches Äquivalent, weshalb wohl auch sie eine Labour-Regierung mittragen würde, wenn es auf ein paar Stimmen ankommt. Als klarer Gegner der SNP positioniert sich dagegen die EU-kritische United Kingdom Independence Party (UKIP). Ihr Vorsitzender Nigel Farage hält nichts von neuen Staatsschulden - vor allem dann, wenn das Geld "über den Hadrianswall gekippt wird".
Er möchte stattdessen sicherstellen, dass die Abgeordneten aus Schottland, Wales und Nordirland nicht mehr mit abstimmen dürfen, wenn es im Westminsterparlament um rein englische Angelegenheiten geht (vgl. England den Engländern?) Faktisch hätte England dann bei solchen Abstimmungen - ebenso wie Schottland, Wales und Nordirland - ein eigenes Regionalparlament.
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