UN: China unterzeichnet Text mit "russischer Aggression"
Resolutionstext mit eindeutiger Kennzeichnung russischer Handlungen in der Ukraine und in Georgien wird von China abgesegnet. Den Kreml wird das nicht freuen. Was signalisiert Peking damit?
China hat Einfluss auf die russische Regierung. Auf China kommt es an, wenn es um Russlands Position im Ukraine-Krieg geht. So lauten die gegenwärtigen Annahmen in der westlichen Diplomatie. Daher ließ eine Abstimmung in der UN-Vollversammlung, Ende April, die Augenbrauen bei Beobachtern hochgehen.
Der chinesische UN-Vertreter stimmte nämlich mit "Ja" für eine Resolution, in deren Wortlaut Russlands Handlungen gegen die Ukraine – und Georgien – als "Aggression" bezeichnet werden. Das Signal wurde von ukrainischen Medien aufgenommen. Von Expertenseite ist dies ein Anlass, das Signal genauer anzuschauen.
Die Resolution
Abstimmungen über eine Resolution in der UN-Vollversammlung sind nicht bindend. Das muss man zum Hintergrund wissen.
Zu beachten ist auch, dass in der Resolution, über die abgestimmt wurde, nicht der Ukraine-Krieg im Vordergrund stand. In ihr geht es um die Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und anderen Organisationen, in der Hauptsache zwischen der UN und dem Europarat (Text in Englisch hier).
Der politisch neuralgische Wortlaut
Das Augenmerk richtet sich auf Absatz neun der Vorbemerkungen zur Resolution. Eingeleitet mit der Formel "Recognizing", das aufgrund der rechtlichen Prägung mit "in Anerkennung" übersetzt werden kann, heißt es in dem Textabschnitt, der im Fokus steht:
Ferner in der Anerkennung, dass die beispiellosen Herausforderungen, vor denen Europa jetzt steht nach der Aggression (!) der Russischen Föderation gegen die Ukraine und zuvor gegen Georgien sowie die Beendigung der Mitgliedschaft der Russischen Föderation im Europarat, zu einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den Vereinten Nationen und dem Europarat fordern.
Im englisch-sprachigen Original:
Recognizing also that the unprecedented challenges now facing Europe following the aggression (!) by the Russian Federation against Ukraine, and against Georgia prior to that, and the cessation of the membership of the Russian Federation in the Council of Europe, call for strengthened cooperation between the United Nations and the Council of Europe.
UN-Resolution A/77/L.65
Weiter interessant ist in diesem Absatz neun die Liste der Forderungen, die darin aufgestellt werden. Darin tauchen auf: "die Entschädigung der Opfer von Feindseligkeiten" sowie die Anforderung, diejenigen, "die für Verstöße gegen das Völkerrecht verantwortlich sind, vor Gericht zu stellen".
Wer dafür stimmte
Russland, Belarus, Nicaragua, Syrien und Nordkorea stimmten gegen die Resolution. Die Mehrheit, 122 Staaten, stimmte dafür.
Darunter, wie es The New Voice of Ukraine herausstellt, auch "russlandfreundliche Staaten" wie Kasachstan, Armenien, Indien, Brasilien und eben auch China.
Das chinesische Signal
Allerdings im Fall von China mit einem zusätzlichen Signal. Es gab in der Debatte über die Resolution eine gesonderte über diesen Absatz Neun, die der Abstimmung über die gesamte Entschließung vorausging, wie der Historiker und Publizist russischer Herkunft, Sergej S. Radchenko, beobachtete:
"Bei der ersten (Abstimmung, Einf. d. A.) ging es darum, ob Absatz neun in die Resolution aufgenommen werden sollte. China (sowie Armenien und Kasachstan) enthielten sich der Stimme…"
Der Absatz wurde aber mehrheitlich angenommen und China (so auch Armenien und Kasachstan) stimmte anschließend für die Resolution und damit auch für deren Text. Für Radchenko ist das ein Signal, das Beachtung verdient.
Zwar enthalte die Resolution keine Verurteilung der russischen Aggression, aber immerhin den politisch heiklen Wortlaut. Das sei schon was. Zumal der russische Delegierte in der Debatte die "Politisierung" der Resolution beklagt und "alle verantwortungsbewussten Mitglieder der internationalen Gemeinschaft" dazu aufgefordert habe, dagegen zu stimmen.
Drei Folgerungen
Im Kontext der kürzlichen Ereignisse, die für Aufmerksamkeit sorgten – Xi Jinpings Besuch in Moskau, die Hinweise auf eine verstärkte militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und China und das Telefongespräch zwischen Xi Jinping und Selenskyj – zieht der Historiker drei Folgerungen aus dem Abstimmungsverhalten Chinas:
Erstens wolle Peking damit den Anschein erwecken, "in dem Konflikt neutraler zu sein, als es tatsächlich ist". Ein Muster, das Radchenko auch im Telefongespräch zwischen dem chinesischen Staatspräsidenten und seinem ukrainischen Amtskollegen sieht.
Zweitens, so interpretiert Radchenko, sendet Peking damit ein klares Zeichen an den Kreml, dessen Herrscher daran erinnert werden soll, dass man dort wenig Einfluss auf China habe und akzeptieren müsse, was vonseiten der Pekinger Führung "vorgesetzt" werde.
Drittens wertet der britische Historiker mit Schwerpunkten "Kalter Krieg" und das sino-sowjetische Verhältnis das Abstimmungssignal als Zeichen für Einschränkungen der chinesischen Unterstützung.
Zwar neige China weiterhin zu Russland, aber es sei "bestrebt, den Konflikt einzufrieren, anstatt ihn auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern oder zu eskalieren". Im Interesse Chinas läge ein "geschwächtes, isoliertes Russland, das nach dem Krieg Peking verpflichtet ist".