UN-Kommission widerspricht OPCW-Bericht zu Syrien

Karte der UN-Syrien-Kommission mit Chemiewaffenangriffen. Douma ist nicht dabei. Bild: ohchr.org

UNO-Kommission zu Syrien sieht mutmaßlichen Chemiewaffenangriff im April 2018 nicht als erwiesen an. Kritik an OPCW-Generalsekretär

Ein umstrittener Bericht der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) über einen mutmaßlichen Chemiewaffenangriff der syrischen Armee Anfang April 2018 wird von den Vereinten Nationen infrage gestellt.

Nach Recherchen von Telepolis wertet die in Genf ansässige UNO-Untersuchungskommission zur Lage in Syrien den Zwischenfall am 7. April 2018 nicht als bewiesenen Chemiewaffenangriff der syrischen Armee. Das Gremium widerspricht damit indirekt dem OPCW-Bericht, der laut ehemaligen Mitarbeitern der Organisation manipuliert worden ist.

Die OPCW hatte den mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz der Führung von Baschar al-Assad angelastet und dieser These widersprechende Erkenntnisse von Experten, die vor Ort Untersuchungen durchgeführt hatten, zensiert. Die OPCW lieferte damit eine Rechtfertigung für Luftangriffe der USA, Großbritanniens und Frankreichs.

Nach dem mutmaßlichen Angriff mit chemischen Waffen in Douma nahe der Hauptstadt Damaskus waren die Leichen von rund 50 Zivilisten geborgen worden. Die USA, Großbritannien und Frankreich bombardierten bereits wenige Tage nach den Ereignissen – noch während der OPCW-Ermittlungen – Einrichtungen der Assad-Regierung und der syrischen Armee.

Auf Telepolis-Anfrage bestätigte das Sekretariat der UN-Syrien-Kommission nun, dass "der Vorfall vom 7. April 2018 in Douma nicht zu den 38 Chemiewaffenangriffen in Syrien gezählt wird, die der Bericht A/HRC/46/54 der Kommission aufführt". Diese 38 Angriffen habe die Kommission "mit den nach unserer Ansicht erforderlichen Beweisstandard untersuchen können", heißt es in der Antwort weiter.

Die Syrien-Kommission der UNO erkennt damit den umstrittenen Abschlussbericht der OPCW nicht an.

Deutscher Ex-Diplomat geht von Revision des OPCW-Berichtes aus

Der ehemalige deutsche UN-Diplomat Hans-Christof von Sponeck hatte sich vor wenigen Wochen gegenüber Telepolis dafür ausgesprochen, den OPCW-Bericht zu überarbeiten. Von Sponeck äußerte sich im September zu dem Fall, nachdem die britische BBC einen eigenen Bericht über die Kritiker der OPCW als Fehldarstellung widerrufen hat. "Dem Eingeständnis der BBC werden noch weitere folgen", so der Ex-Diplomat.

Von Sponeck gehört zu den Mitbegründern der "Berlin Group 21", einem Zusammenschluss von Experten, die sich für die Aufklärung des mutmaßlich gefälschten OPCW-Berichtes einsetzen. Die Gruppe hatte im vergangenen Jahr für Schlagzeilen gesorgt, weil ein britisches Mitglied auf eine angebliche Kontaktaufnahme russischer Nachrichtendienste eingegangen war. Die Kontaktaufnahme entpuppte sich später als fingiert. Die Berlin Group 21 hat sich von dem Mann inzwischen getrennt.

Auf der Internetseite der Gruppe heißt es, man handele aus Besorgnis über die langwierige Kontroverse und die politischen Auswirkungen rund um den OPCW-Bericht und die Untersuchung des angeblichen Chemiewaffenangriffes im syrischen Douma im April 2018:

Seit der Veröffentlichung des Abschlussberichts durch die OPCW im März 2019 hat eine Reihe besorgniserregender Entwicklungen ernsthafte und wesentliche Bedenken hinsichtlich der Durchführung dieser Untersuchung aufgeworfen. Zu diesen Entwicklungen gehört, dass OPCW-Inspektoren, die an der Untersuchung beteiligt waren, erhebliche verfahrenstechnische und wissenschaftliche Fehler (…) festgestellt haben, die dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt wurden. Es ist hinreichend bekannt, dass einige leitende Inspektoren (…) ablehnen, wie die Untersuchung ihre Schlussfolgerungen begründet.

Sie beschuldigen die OPCW-Leitung, unbegründete oder möglicherweise manipulierte Ergebnisse mit schwerwiegendsten geopolitischen und sicherheitspolitischen Auswirkungen akzeptiert zu haben. Die Aufrufe einiger Mitglieder des Exekutivrates der OPCW, allen Inspektoren Gehör zu ermöglichen, wurden zudem ignoriert.

Die Bedenken der Inspektoren werden vom ersten Generaldirektor der OVCW, José Bustani, geteilt. Eine beträchtliche Anzahl namhafter Personen hat Transparenz und Rechenschaftspflicht bei der OVCW gefordert.

Berlin Group 21

Gegenüber Telepolis führte Von Sponeck aus, "die der Öffentlichkeit inzwischen zugegangenen Beweise, nach denen die OPCW mit Unterstützung, oder wohl besser, unter Druck westlicher Länder, ein gefährliches Falschspiel gespielt hat, sind frappierend". Seine Gruppe stehe daher weiterhin in Kontakt mit den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen, um eine Klärung zu erreichen.

Briefe an UN-Gremien

Die Mitglieder der Berlin Group 21 haben sich in diesem Kontext nun an den UN-Menschenrechtsrat und die UN-Syrien-Kommission gewandt. In den Schreiben, die heute auf der Seite der Gruppe veröffentlicht werden und Telepolis vorab vorlagen, erheben die Experten schwere Vorwürfe gegen den OPCW-Generalsekretär Fernando Arias.

Arias hatte im Juni vor dem UN-Sicherheitsrat die Forderung mehrerer Dutzend Fachleute nach einer unabhängigen Untersuchungskommission über den Douma-Zwischenfall und die mutmaßliche Manipulation der OPCW zurückgewiesen.

Arias habe dabei in irreführender Weise versucht, die Schlussfolgerung des OPCW-Berichtes mit der Falschbehauptung zu verteidigen, die UN-Syrien-Kommission sei zum gleichen Schluss gekommen wie seine Organisation, heißt es in den Telepolis vorliegenden Schreiben.

"Diese Behauptung des Generaldirektors ist irreführend", schreibt die Berlin Group 21 nun in einem Brief an den Vorsitzenden des UN-Menschenrechtsrates, Nazat Shameem Khan:

Keiner der beiden Berichte der Kommission von 2018 enthält Schlussfolgerungen hinsichtlich des Einsatzes von Chlor als Kampfstoff in Douma, und sie äußern in der Tat die von uns und den Inspektoren geteilten Bedenken hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, dass Chlorgas die Ursache des Todes der 43 Zivilisten in Douma war.

Berlin Group 21

In einem der Berichte der Kommission von 2018, auf den sich Arias vor dem UN-Sicherheitsrat bezog, wird der mögliche Einsatz von Chlorgas zwar erwähnt. Es heißt dazu aber, "dies allein erklärt noch nicht die anderen berichteten Symptome, die eher mit dem Einsatz eines anderen chemischen Kampfstoffs, höchstwahrscheinlich eines Nervengases, übereinstimmen". Die Ermittlungen der Kommission seien noch nicht abgeschlossen. (A/HRC/38/CRP.3: S. 14)

Die Mitglieder der "Berlin Group 21" bezeichnen es in ihren Briefen an Nazat Shameem Khan und die UN-Syrien-Kommission als "beschämend und peinlich für die Vereinten Nationen, dass bis heute kein ernsthafter Versuch unternommen worden ist, auf die wiederholten Forderungen von Experten und Organisationen nach Transparenz bei der OPCW in Bezug auf ihre umstrittene Douma-Untersuchung zu reagieren".

Als der ehemalige beigeordnete UN-Generalsekretärs Hans von Sponeck eine von 28 internationalen Fachleuten unterzeichnete Erklärung an Arias sandte, habe der OPCW-Generalsekretär die Annahme des Briefs verweigert: "Der Umschlag kam ungeöffnet zurück."