UN-Reform 2025: Neue Charta für eine neue Weltordnung
NGO-Bündnis will UN-Charta reformieren. Die Kampagne startet nach einer Konferenz in Nairobi. Wie werden die Vetomächte reagieren?
Ein Internationales Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs), das sich auf der Zivilkonferenz der Vereinten Nationen im Mai 2024 in Nairobi gründete, startet einen neuen Versuch, eine Reform der UN-Charta voranzutreiben. Um den Herausforderungen der heutigen Welt wirksam begegnen zu können, muss die Charta neu justiert und wirkmächtiger werden.
Deshalb fordern die NGOs die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf, sich auf Artikel 109 der UN-Charta zu berufen, um eine allgemeine Konferenz zur Überprüfung und Aktualisierung der Charta einberufen zu können.
Die NGO-Kampagne zielt darauf ab, grundlegende Änderungen der Machtverteilung in der UN sowie Strategien zur Lösung von Krisen und neuen Bedrohungen wie Klimawandel und künstlicher Intelligenz festzuschreiben. Die UN müssen effektiver, integrativer und gerechter werden.
Eine Generalkonferenz der UN-Charta, wie in der Charta selbst vorgesehen, bietet einen Weg nach vorn. Artikel 109 fordert eine Generalkonferenz, wenn sie von zwei Dritteln der Mitglieder der Generalversammlung und neun Mitgliedern des Sicherheitsrats unterstützt wird.
Die angestrebte UN-Überprüfungskonferenz müsse über eine Reform der UN-Charta beraten und folgende Ziele anvisieren:
• Den Sicherheitsrat repräsentativer gestalten und den Einsatz des Vetos einschränken.
• Einbeziehung der Umwelt als Säule der UNO und Schaffung eines Earth Governance Council – neben dem Sicherheitsrat, dem Wirtschafts- und Sozialrat und einem hochrangigen Menschenrechtsrat – zur Bekämpfung des Klimawandels.
• Die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs verbindlich und universell machen.
• Die Gleichstellung der Geschlechter in den Amtszeiten der Generalsekretärin durchsetzen. Mehr Inklusion und Bürgerbeteiligung, zum Beispiel durch die Schaffung einer UN-Parlamentsversammlung.
• Während die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats kein Veto gegen die Abhaltung der Konferenz einlegen können, tritt eine Änderung der Charta (empfohlen durch eine Zweidrittelmehrheit der Konferenz) nur in Kraft, wenn sie von zwei Dritteln der UN-Mitglieder ratifiziert wird, einschließlich aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats. Das ist eine große Hürde, die es zu überwinden gilt.
Der Kampagne gehören renommierte internationale NGOs an – u. a. Democracy without Borders, Oxfam, Pax Christi, Coalition UN we need, Trust Africa, World Federal Movement, Global Governance Forum.
Sie baut auf eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung. Bis März 2025 sollen sich bis zu 100 internationale NGOs der Initiative anschließen. Deren Aufgabe wäre es, in ihren Ländern Regierungen dafür zu gewinnen, das Reformvorhaben zu unterstützen. Lobbyarbeit zu leisten und mit PR-Kampagnen die Öffentlichkeit und Medien zu informieren.
Deutsche Diplomatin als Präsidentin der UN-Generalversammlung?
Eine besondere Unterstützung der NGO-Kampagne könnte auch von Deutschland ausgehen. 80 Jahre nach Gründung der UN soll die deutsche Chef-Diplomatin Helga Schmid nächste Präsidentin der UN-Generalversammlung werden. Sie wurde im Juni 2024 von der Bundesregierung für diesen herausgehobenen Posten nominiert.
Helga Schmid war als Chefunterhändlerin des Europäischen Auswärtigen Dienstes federführend eingebunden in die Verhandlungen für eine Atomvereinbarung mit dem Iran. Sie gilt als die Hauptautorin des 100-Seiten-Vertrages, den sie mit dem späteren iranischen Präsidenten Rohani 2015 erfolgreich ausgehandelt hatte. Von 2021 bis 2024 war sie Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Helga Schmidt wird dann tätig sein, wenn sie auf der 80. Generalversammlung im September 2025 gewählt wird. Und wir hoffen, dass wir damit ein besonderes Zeichen setzen können 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg.
Antje Leendertse, deutsche UN-Botschafterin
Außerdem wird Deutschland wieder für einen nicht-ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat für die Jahre 2027 und 2028 kandidieren.
Die UN-Charta – Ein Wegweiser für den Weltfrieden!
Am 24. Oktober 1945 trat die UN-Charta in Kraft. Der Tag gilt gleichzeitig auch als Gründungsdatum der Vereinten Nationen. In der UN-Charta verpflichten sich die Mitgliedsstaaten zur Gleichberechtigung aller Nationen, der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten, der Einhaltung internationaler Vereinbarungen sowie zur internationalen Kooperation und gegenseitiger Toleranz.
Die UN-Charta legt das Hauptgewicht auf den Erhalt des Friedens, auf fundamentale Menschenrechte und die unantastbare Würde eines jeden Menschen:
Präambel
Wir, die Völker der Vereinten Nationen – (sind) fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat.Artikel 1
Auszug aus der UN-Charta
Die Vereinten Nationen setzen sich folgende Ziele:
1. Den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren und zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen.
Bereits diese Auszüge aus der Präambel und dem ersten Artikel der Charta verdeutlichen den zutiefst humanistischen Grundgedanken der Vereinten Nationen, mit denen ein vertrauenswürdiges Gremium für den internationalen Austausch geschaffen werden sollte. Aktuell gehören den Vereinten Nationen 193 Staaten an. Die Bundesrepublik Deutschland trat den Vereinten Nationen am 18. September 1973 bei.
Die UN-Charta ist und bleibt Ausdruck der Hoffnung der Menschheit auf Frieden. Sie baut auf Gewaltlosigkeit zwischen Staaten, der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder und der Gleichberechtigung und Selbstbestimmung aller Menschen.
Zukunftspakt stellt die Weichen für eine Reform der Vereinten Nationen
2025 ist ein bedeutendes Jahr der Vereinten Nationen. Der am vergangenen 22. September von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedete Zukunftspakt, an dessen Entstehung über 600 internationale NGOs und die weltweite Zivilgesellschaft engagiert mitwirkten, ist ein Hoffnungszeichen für eine vielleicht friedlichere Zukunft der Weltgemeinschaft.
Die Weltgemeinschaft könnte mit dem Zukunftspakt den Weg für eine Reform der UN öffnen und die Weichen stellen für den Kampf gegen Hunger und Armut, für Friedenssicherung, die Reform der internationalen Finanzarchitektur bis zu Klimaschutz und Künstlicher Intelligenz.
Dass der Pakt gelungen ist, obwohl wir auf den letzten Metern noch wirklich Schwierigkeiten hatten, den Konsens herzustellen. Und dass der Multilateralismus lebt, das war wirklich sehr schön und auch ein Erfolg für uns.
Antje Leendertse
Vordringliches Ziel ist die Reform des Sicherheitsrats. Ihn mit mehr ständigen Sitzen auszustatten und einem afrikanischen, einem südamerikanischen Staat sowie Indien eine ständige Repräsentanz und ein Mitentscheidungsrecht zu ermöglichen.
Dem müssten allerdings die derzeitigen Vetomächte im Rat zustimmen. Die Aufhebung des Vetorechts und die Einführung eines Mehrheitsprinzips wären sicher eine sinnvolle Maßnahme, scheint aber aktuell nicht durchsetzbar.
Auch die Generalversammlung müsste aufgewertet und die Position des Generalsekretärs gestärkt werden. Wichtige Vorhaben, die einer Realisierung bedürften und von den Vetomächten mitgetragen werden müssten.
Die internationale NGO-Koalition könnte mit ihrer Kampagne einen wichtigen Beitrag zur notwendigen Reform des UN-Sicherheitsrates leisten. Sie ist weltweit vernetzt und ähnelt in ihrer strategischen und operativen Struktur und Kompetenz der erfolgreichen Kampagne zum Verbot der Atomwaffen (ICAN). Sie führte 2021 zum Inkrafttreten des UN-Atomwaffenverbotsvertrags.
Es ist allerdings mit erheblichem Gegenwind seitens der Vetomächte im Sicherheitsrat zu rechnen. Sie werden das Vorhaben mit allen Mitteln torpedieren.
Deshalb muss Kärrnerarbeit geleistet und mit Konstanz, Beharrlichkeit und Stehvermögen das angestrebte Ziel einer reformierten UN-Charta verfolgt werden. Es ist davon auszugehen, dass Generalsekretär António Guterres die Kampagne nach Kräften unterstützen wird.
2025 ist ein wichtiges Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen: Die im Zukunftspakt beschlossenen Reformen sollen auf den Weg gebracht und die Einmaligkeit der UN-Charta bekräftigt werden. Ungeachtet aller Konflikte und trotz häufiger Verstöße gegen die gemeinsamen Grundsätze gilt die Verabschiedung der Charta und die damit verbundene Gründung der Vereinten Nationen am 24. Oktober 1945 als ein wesentlicher Meilenstein in der Geschichte der Menschheit.
Eine Vision, die Völker verbindet und Menschen zusammenführt.
Rolf Bader, geb. 1950, Diplom-Pädagoge, ehem. Offizier der Bundeswehr, ehem. Geschäftsführer der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte:innen für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte:innen in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW).