UN-Vertreter kritisiert Süddeutsche Zeitung: "Fragwürdige Methoden"

Seite 2: Replik auf die Süddeutsche Zeitung des UN-Sonderberichterstatters. Von Nils Melzer

In der Süddeutschen Zeitung vom 25.01.2022 werfen mir Thomas Kirchner und Ronen Steinke bereits im Titel "fragwürdige Methoden" vor und behaupteten online sogar, ich betätige mich als "schriller Kronzeuge von Coronaleugnern und Putin-Freunden".

Die dick aufgetragene Kritik an meiner Amtsführung als UN-Sonderberichterstatter erstaunt, zumal ich mir viel Zeit genommen habe, Herrn Kirchner meine Arbeitsmethoden und Beweggründe telefonisch darzulegen. Doch eine differenzierte Darstellung scheint nicht das Ziel des Artikels zu sein.

Anstatt sich ernsthaft mit den unbequemen Fakten zu befassen, die meinen öffentlichen Stellungnahmen zugrunde liegen, drängen mich die Autoren mit befremdlichem Eifer in die Ecke der Verschwörungstheoretiker. Hierzu verweisen sie auf ihnen suspekte Medien, Podiumsgäste und Twitter-Accounts, als ob ich für die Integrität aller geradezustehen hätte, mit denen ich beruflich zu tun habe.

Ob in Kriegsgebieten, in Gefängnissen, in der Diplomatie oder in der Medienlandschaft: ein wirkungsvoller Einsatz für die Menschenrechte verlangt immer, dass man mit allen relevanten Akteuren im Dialog bleibt, auch wenn man abweichender Meinung ist.

Weiter stoßen sich die Autoren offenbar daran, dass ich Folter und Misshandlung selbst dann kritisiere, wenn die Opfer nicht politisch korrekt sind, zivilen Ungehorsam praktizieren, oder sich vielleicht sogar strafbar gemacht haben. Was sie vergessen ist, dass das Folterverbot absolut und ausnahmslos gilt.

Sie würden vermutlich anerkennen, dass ich nicht zum "Al-Qaida-Apologeten" werde, nur weil ich die Folter in Guantánamo kritisiere. Genauso wenig werde ich aber zum "Coronaleugner", "Putin-Freund" oder "Verschwörungstheoretiker", nur weil ich das brutale Niederwerfen, Zusammenschlagen oder Zerfleischen von wehrlosen Demonstranten durch westliche Polizeibeamte und deren Diensthunde anprangere.

Straflose Grausamkeit traumatisiert und verbittert nicht nur die direkt Involvierten, sondern auch Millionen von stummen Zuschauern im Netz und brutalisiert somit die gesamte Gesellschaft. Anders als im Artikel suggeriert, ist es mit entsprechender Erfahrung und Sachkenntnis sehr wohl möglich, auf der Basis eines aussagekräftigen "Filmchens" ohne weitere Untersuchung auf Folter zu schließen – so wie im besagten Fall der niederländischen Polizei oder eben auch im Fall George Floyd.

Dass die betroffenen Polizeikräfte an meinen Misshandlungsvorwürfen keine Freude haben, erstaunt nicht. Alle UN-Sonderberichterstatter erhalten regelmäßig Beschwerden — häufig auch aus Moskau und Peking –, welche wie die Herren Kirchner und Steinke der Meinung sind, dass wir in unserer Mandatsausübung "zu weit" gehen. Meist dienen solche prozeduralen Bedenken allerdings vor allem dazu, von der Grausamkeit und Schädlichkeit der monierten Verbrechen abzulenken und die eigenen Verantwortlichkeiten auszublenden.

Es ist wie beim Foul im Fußballspiel: Niemand mag es, wenn ihm Folter vorgeworfen wird und auch die moralische Selbstgerechtigkeit des politischen Gegners ist stets garantiert. Dass es dem Schiedsrichter einfach nur um die Einhaltung der Regeln gehen könnte – und zwar auch beim Vorzeigefußballer des Favoritenteams –, wird in der Hitze des Gefechts oft nicht mehr verstanden. Genau das macht unsere Arbeit als UN-Sonderberichterstatter nicht nur unverzichtbar, sondern auch zermürbend und undankbar, zumal es dabei um so viel mehr geht als um ein Ballspiel.

Ich bedauere es daher sehr, dass sich die Autoren offenbar weder für das ungeheure Leiden von Millionen von Folter- und Misshandlungsopfern interressieren, noch für die enormen Schwierigkeiten, denen man im täglichen Kampf gegen die Unmenschlichkeit ausgesetzt ist — allen voran die weitverbreitete Tendenz zur Gleichgültigkeit, Leugnung und Schönfärberei.

Leider begnügen sich die Autoren jedoch nicht mit der Verzerrung von Fakten, sondern sie reichern diese zusätzlich auch noch mit Unwahrheiten an. So habe ich nie behauptet, die zwei im Fall Assange involvierten Schwedinnen seien "völlig unglaubwürdig".

Wie ich in meinem Buch "Der Fall Julian Assange — Geschichte einer Verfolgung" (Piper 2021, S. 121) unmissverständlich klarstelle, ist das Gegenteil der Fall. Auch der unredliche Versuch, mich in die Ecke der "Kreml-Apologeten", "Rechtsextremisten", "Verschwörungsideologen", "Hass-Propagandisten" oder der "QAnon-Szene" zu drängen, ist geradezu grotesk.

Wer aus beruflichen Gründen Twitter-Accounts beobachtet, sich auf unbestrittenermaßen authentische Videos bezieht oder auch außerhalb des journalistischen Mainstreams sachlich fundierte Interviews gibt, markiert damit wohl professionelles Engagement, nicht aber politische Sympathie. Es gibt einen Punkt, an dem aus kritischem Journalismus böswilliger Rufmord wird.

Was mich hingegen freut ist, dass mir Menschen, die mich näher kennen, im Gespräch mit den Autoren offenbar "hohen Idealismus" und eine "David-gegen-Goliath-Mentalität" bescheinigt haben — tatsächlich eine unverzichtbare Eigenschaft im Abnützungskampf gegen die widerspenstige Lethargie staatlicher Behörden bei der Durchsetzung des Folter- und Misshandlungsverbotes.

Nils Melzer ist Völkerrechtsprofessor in Glasgow und Genf, sowie UN-Sonderberichterstatter für Folter

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