US-Gesundheitsbehörde empfiehlt, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden

Bild: al-Grishin/Pixabay.com

Die Mobilität war zu Beginn der Pandemie um bis zu 90 Prozent eingebrochen, jetzt wird wieder der Vor-Corona-Level erreicht, aber die lange propagierten öffentlichen Verkehrsmittel werden nicht mehr so häufig genutzt

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Schlagartig ging die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel nach Beginn der Covid-19-Pandemie und vor allem mit den unterschiedlichen "Bleib Zuhause"-Lockdowns zurück. Wenn die Menschen sich noch bewegen durften, beschränkten sie sich weitgehend auf die Nutzung von Autos und von Fahrrädern, sofern sie nicht weiter arbeiten mussten und sich ins Homeoffice zurückziehen konnten. Landesweit ist in den USA die Automobilität ab dem 13. März auf etwa 55 Prozent des Verkehrsaufkommens verglichen zum Februar zurückgegangen. Seit Mitte April steigt die Mobilität wieder an und hat mit größeren Unterschieden zwischen den einzelnen Bundesstaaten, z.B. Wyoming 135% vs New York mit 82%, mit landesweit 93 Prozent fast wieder das Niveau der Vor-Corona-Zeit erreicht.

Auffällig war schon von Anfang an, wie Mobilitätsdaten aus den USA zeigten, dass die weniger Privilegierten, in den USA vor allem die Schwarzen, weiterhin mehr mobil waren als die Angehörigen der gut verdienenden Schichten: "Zuhausebleiben ist ein Luxus". Vermieden wurden die öffentlichen Verkehrsmittel.

Nach dem Apple mobility index, der die Nutzung der Navigations-App erfasst, sind etwa in München um den 10. März herum nach den Verboten von Großveranstaltungen Autofahrten, aber auch parallel dazu die Mobilität als Fußgänger massiv um etwa 80 Prozent eingebrochen. Das sind natürlich nur Schätzwerte, weil die Benutzung der Navigation keineswegs jede Fahrt abbildet, vor allem nicht diejenigen, in der näheren Umgebung oder Routinefahrten oder -gänge. Aber es gibt wahrscheinlich eine Größenordnung an. Umfragen bestätigen, dass viele Menschen Angst vor der Nutzung der öffentlicher Verkehrsmittel entwickelt haben, was schon zuvor bestehende Abneigungen verstärkt haben könnte.

Öffentlicher Nahverkehr wird gemieden

Nach einer aktuellen Umfrage wollen 70 Prozent der Londoner nicht mehr öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Ähnlich das Ergebnis einer Umfrage des DLR-Instituts für Verkehrsforschung im Mai:

Der privat genutzte PKW weist gegenüber anderen Verkehrsmitteln aktuell einen deutlichen Wohlfühlfaktor auf. Fast alle Befragten gaben an, sich im Auto wohler oder genauso wohl zu fühlen wie vor der Krise. Das ist bei keinem anderen Verkehrsmittel der Fall. Zu den großen Verlierern gehören alle öffentlichen Verkehrsmittel.

Der Kauf eines Fahrzeugs wird zur Option in Haushalten, die bislang ohne auskamen oder sich dies nicht leisten wollten. Das wird auch von anderen Umfragen bestätigt. In Deutschland sagten in einer Umfrage 76 Prozent, dass sie öffentliche Verkehrsmittel als unsicher einstufen. Auch bei jungen Menschen ist das Interesse am eigenen Auto wieder gestiegen. Das Konzept des Sharing hat dagegen an Attraktivität eingebüßt, weil man die Viren nicht teilen will und Hygiene bei gemeinsam genutzten Dingen nicht gewährleistet werden kann.

Ab Ende März wurde mit den am 23. März erlassenen Verschärfungen aber kontinuierlich wieder mehr gefahren und auch mehr zu Fuß gegangen. Mitte Juni wurde fast wieder die normale Mobilität erreicht, allerdings ist auffällig, dass im Unterschied zur Vor-Corona-Zeit mehr gefahren und weniger gegangen wird. Ähnlich ist dies in Berlin ebenfalls mit einem Rückgang um 80 Prozent, hier wird aber auch die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erfasst. Auch hier ist das Fahren wieder im Juni in die Normalität zurückgekehrt, es wird aber deutlich weniger gegangen und noch weniger werden die öffentlichen Verkehrsmittel genutzt. In Hamburg ist die Mobilität im März um 60 Prozent gefallen, aber hier steht die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel an erster Stelle.

In Paris ging die Mobilität mit dem scharfen Lockdown gleich um 90 Prozent zurück, erst Ende Mai stieg sie wieder an, erreicht aber auch im Juni noch nicht wieder Vor-Korona-Größen. In London brach die Mobilität Anfang April um über 70 Prozent ein und ist jetzt noch weit entfernt von der Zeit vor Beginn der Pandemie. Auffällig ist hier, dass mehr gefahren wird, während noch Februar am meisten gegangen wurde. In vielen Städten wie Singapur, New York, Seattle, Sydney oder Sao Paulo wird deutlich, dass die öffentlichen Verkehrsmittel gemieden werden. Dazu trug auch bei, dass in manchen Städten wie in New York den Menschen geraten wurde, die öffentlichen Verkehrsmittel zu meiden. Uber wurde auch gemieden, oft auch E-Scooter, während der Kauf von Fahrrädern ebenso anstieg wie die Nutzung von Leihfahrrädern.

Es könnte länger dauern, wenn überhaupt, bis die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln wieder in die Vor-Corona-Dimension zurückkehrt. Das ist fatal, denn zur Reduktion der Emissionen zum Klimaschutz sollte ja gerade die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ausgebaut werden. Das würde zudem die Luftverschmutzung mindern, die jährlich weltweit Millionen von Toten fordert, und die vom Individualverkehr befreiten Städte wieder menschenfreundlicher machen. Auch wenn die Fahrradnutzung zunimmt und von Städten mit neuen Fahrradwegen auf Kosten des Autoverkehrs und von Parkplätzen gefördert wird, deutet vieles darauf hin, dass Autos, in denen man alleine oder mit der Familie fährt, wieder mehr genutzt werden.

Individuelle motorisierte Schutzkapseln mit Empfehlung der Gesundheitsbehörde

Das schlechte Image könnte sich umkehren, wenn man in öffentlichen Verkehrsmitteln nun nicht nur fürchtet, angesteckt werden zu können, sondern sich auch anderweitig unsicher fühlt und sich nicht mehr körperlich in den Massen und im vorgegebenen zeitlichen und räumlichen Rahmen der Fahrpläne bewegen will. Die Distanz zu Fremden wird in den Schutzräumen von Autos, die als SUVs sowieso Panzern ähneln, gewahrt, auch wenn die individuellen motorisierten Kapseln dann dicht an dicht in Staus festsitzen und viel Zeit mit der Suche nach Parkplätzen verbracht werden muss. Covid-19 war, wie jede Seuche, ein anti-urbanes Phänomen. Wenn nun öffentliche Verkehrsmittel mit Masken und eventuell mit Temperaturmessung, vielleicht auch bald nur mit Immunitätsausweisen benutzt werden können, aber soziale Distanzierung nicht garantiert werden kann, ist das gegenüber der Nutzung des eigenen Autos oder des Fahrrads wenig einladend.

Problematisch ist die Empfehlung der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC für Arbeitgeber, Angestellte aufzufordern, öffentliche Verkehrsmittel zu vermeiden:

Wenn möglich, bieten Sie Angestellten an, Verkehrsmittel zu nutzen, die einen engen Kontakt mit anderen minimieren (z.B. zu Fuß gehen, fahren oder das Auto entweder alleine oder mit Haushaltsangehörigen zu nutzen.

Zwar heißt es, man könne nicht sagen, ob eine Fortbewegungsart sicherer ist als andere, aber versichert: "Flughäfen, Busstationen, Bahnhöfe und Rastplätze sind Orte, an denen Reisende dem Virus in der Luft und auf Oberflächen ausgesetzte sein können. Es sind auch Orte, wo die soziale Distanzierung schwierig sein kann (einen Abstand von 2 Metern zu anderen Menschen einzuhalten)." Schon zuvor fuhren 76 Prozent der Pendler alleine.

"Das Werben für die Nutzung von Privatfahrzeugen als Gesundheitsstrategie ist wie die Verschreibung von Zucker zum Schutz der Zähne", kritisiert Lawrence Frank, Professor für Stadtplanung an der University of British Columbia. "Unsere Straßen können die wachsende Nachfrage nicht aufnehmen, die von einer zunehmenden Auto-Abhängigkeit entstehen wird. Die Staus werden wahrscheinlich untragbar werden." Als Folge der Pandemie rechnen manche damit, dass mehr Menschen aus den Städten in weniger dicht besiedelte Vorstädte oder aufs Land ziehen, was den Verkehrsfluss noch erhöhen würde. Wenn Unternehmen ihren Angestellten zunehmend das Arbeiten vom Homeoffice gestatten würden, könnte dies den Pendelverkehr reduzieren, aber auch den Auszug aus der Stadt fördern.

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