US-Militärlabor forscht mit Genen des gefährlichsten Grippevirus
Kritiker warnen vor den Risiken, den Erreger der Spanischen Grippe wieder zu beleben, zumal Grippe möglicherweise am besten für eine Biowaffe geeignet wäre
Eine der verheerendsten Epidemien der Neuzeit war die Spanische Grippe, die im März 1918, noch vor Ende des Ersten Weltkriegs in den USA, ausbrach und sich dann wohl wegen des Krieges schnell über Europa und schließlich auf der ganzen Welt verbreitete. Drei Schübe gab es, bis die Epidemie, die vermutlich noch mehr Todesopfer in kürzerer Zeit als die Pestepidemie des 14. Jahrhunderts forderte, 1919 wieder verschwand. Zwischen 20 und 40 Millionen sollen an der Spanische Grippe gestorben sein, weitaus mehr Menschen, als im Ersten Weltkrieg umkamen. Über 500 Millionen Menschen waren infiziert. Noch ist unbekannt, warum dieser Grippeerreger so verheerend und auch für jüngere Menschen so gefährlich war.
Seit der Epidemie ist diese Form der Grippe ausgestorben - und stellt also auch keine Bedrohung mehr dar. Allerdings warnen Experten davor, dass es jeder Zeit zu einer vielleicht ähnlich gefährlichen Grippeepidemie wieder kommen könnte. Das Grippevirus ist deswegen besonders gefährlich, weil er durch fortwährende Veränderung seiner Hülle in immer neuen Varianten auftritt, die nicht vom Immunsystem erkannt werden können. Zudem können die Influenza-Viren auch eine ganze Reihe von Tieren wie Schweine, Pferde und vor allem viele Vogelarten infizieren. Wird ein Tier gleichzeitig mit verschiedenen Influenza-Viren infiziert, so kann daraus eine mutierte Variante entstehen, die wiederum auf den Menschen überspringen kann.
Die Wissenschaftler des Sunshine Project haben nun herausgefunden, dass in einem Labor der amerikanischen Armee versucht wird, den Erreger der Spanischen Grippe wieder zu beleben. Der Forschungsgruppe am Armed Forces Institute for Pathology in Washington unter der Leitung von Jeffery Taubenberger ist es schon in den 90er Jahren gelungen, genetisches Material der Spanischen Grippe aus der Leiche eines US-Soldaten zu isolieren, der 1919 an der Grippe gestorben war.
Die Army-Wissenschaftler sind nicht die einzigen, die herausfinden wollen, warum der Erreger der Spanischen Grippe so gefährlich sein konnte (Fasttracks wundersame Wandlungen). Auch britische Wissenschaftler unter der Leitung von John Oxford exhumieren Grippeopfer aus der Zeit, um Hinweise auf den genetischen Code zu erhalten. Nachdem man vergeblich versucht hatte, taugliches Material aus dem Gewebe von Grippeopfern, die im Permafrost von Alaska und Spitzbergen gefunden wurden, zu isolieren, haben sich die britischen Wissenschaftler Grippeopfern zugewandt, die in London gefunden wurden.
Die britischen Wissenschaftlern wollen allerdings angeblich nur den genetischen Code analysieren. Um darüber womöglich Aufschluss für Schutzmittel vor künftigen Epidemien zu gewinnen. Die Army-Wissenschaftler, die 1999 ein Gen eines Influenza-Virus der Spanischen Grippe vollständig sequenziert hatten und weiterhin Genstücke zusammentragen, ohne dadurch bislang zu Ergebnissen zu kommen, experimentieren bereits auf andere Weise mit dem genetischen Material des ausgestorbenen Erregers. Sie haben bereits mehrere Gene isoliert und sie in Grippeviren eingeführt. Bei einem Experiment aus dem Jahr 2002 wurden die Gene für Hämagglutinin und Neuraminidase in einen Virusstamm eingebracht. Für Mäuse erwies sich dies als tödliche Mischung, während Kontrollgruppen, die mit dem nicht-erweiterten Virusstamm infiziert wurden, keine Krankheitsphänomene zeigten.
Die Wissenschaftler argumentieren, sie würden deswegen die Erreger der Spanischen Grippe sequenzieren und deren Gene zur Wiederbelebung in Virenstämme einführen, um die Wirksamkeit heutiger Grippemedikamente testen zu können. Heimlich wird diese Forschung in keiner Weise betreiben, also vermutlich auch keine Viren als Biowaffen entwickelt. Gleichwohl, so kritisiert das Sunshine Project, wird mit dieser Forschung ein äußerst gefährlicher Virus möglicherweise wieder belebt, der längst ausgestorben ist und vermutlich auf natürliche Weise nicht mehr entstehen würde.
Die Spanische Grippe 1918 war hochansteckend und tötete im Vergleich zu heutigen Grippeviren einen ungewöhnlich hohen Anteil der Infizierten, darunter auch viele jüngere Menschen. Die Spanische Grippe allein sorgte dafür, dass 1918 die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA um fast 10 Jahre sank. Grippeviren werden deshalb heute als mögliche biologische Waffen sehr ernst genommen, erst vor zwei Wochen wurden in den USA 15 Millionen Dollar Forschungsgelder bewilligt, um einen Schutz speziell gegen bioterroristische Angriffe mit Grippeviren zu entwickeln.
Es ist völlig widersinnig, einen gefährlichen Erreger künstlich herzustellen, nur um dann eine Behandlung dagegen zu entwickeln. Unvorstellbar, was passiert, wenn dieses Virus in die falschen Hände gerät. Die genetische Analyse von Grippestämmen hat ohne Zweifel eine wichtige Bedeutung für die medizinische Grundlagenforschung. Aber das rechtfertigt nicht, ausgerechnet den gefährlichsten aller Grippestämme, der zudem seit langem ausgestorben ist, wieder zu beleben.
Jan van Aken, Biologe vom Sunshine Project in Hamburg
Edward Hammond warnt, dass mit dieser Forschung ein biologischer Rüstungswettlauf einsetzen oder verstärkt werden könnte. Und er sagt auch wohl zu recht, dass dann, wenn eine solche Forschung mit hochgefährlichen Virenstämmen in militärischen Labors in China, Russland oder vielleicht auch in Iran betrieben würde, dies mit Sicherheit als "smoking gun für ein offensives Biowaffen-Programm" betrachtet werden würde.
Diese Asymmetrie der Bedrohung ist seit dem "Krieg gegen den Terrorismus" tatsächlich oft genug gebraucht worden, um Aufrüstung in jeder Hinsicht zu legitimieren und zugleich zu verharmlosen, weil sie ja im Dienste der "Guten" steht. Erst im Juli haben Mohammad Madjid, Scott Lillibridge, Parsa Mirhaji und Ward Casscells in dem Artikel "Influenza als Biowaffe" im Journal of the Royal Society of Medicine davor gewarnt, man müsse nach dem 11.9. damit rechnen, dass Grippeviren als biologische Waffen für Anschläge verwendet werden können, eben weil sie so hochgefährlich sind. So gehen die Autoren davon aus, dass jedes Jahr durchaschnittlich nicht nur 20.000 Menschen an Grippe alleine in den USA sterben, wie gesagt wird, sondern eher 90.000. Im Vergleich dazu ist der Milzbrandanschlag vom Oktober 2001 eine Lappalie gewesen, aber auch die Sars-Epidemie zu Beginn dieses Jahres.
Schon allein die "normale" Sterblichkeit, der hohe Grad der Ansteckbarkeit und die schnelle Inkubationszeit würden das Grippevirus zu einem Ziel genetischer Manipulation im Dienste von Militärs oder Terroristen machen. Dazu kommt, dass das Virus - wenn auch (noch) nicht das der Spanischen Grippe - etwa im Gegensatz zu Pocken überall vorhanden ist - auch in Tierpopulationen. Eine Grippeepidemie, die durch einen Anschlag verursacht wird, könnte auch lange Zeit oder für immer gar nicht als Anschlag erkannt werden. Die Forschung wäre - dies natürlich im Gegensatz zu der am Virus der Spanischen Grippe - bislang wohl unverdächtig, nicht einmal als "dual use" verdächtig.
Aus all diesen Gründen sei der Schutz vor neuartigen Grippeviren, gleichgültig ob in Form einer natürlichen Pandemie oder einer gewollten Verbreitung durch künstliche erzeugte Erreger, wichtiger als der vor Pocken. Dass man in den USA durchaus damit rechnet und somit die Forschung an einer Wiederbelebung des Virus der Spanischen Grippe in einem diffusen Licht steht, belegt der Umstand, dass vor wenigen Wissenschaftler der Stanford University eine Förderung von 15 Millionen Dollar erhalten haben, um das Grippevirus zu analysieren und Mittel zu entwickeln, wie man sich vor ihm schützen könnte, wenn er als Biowaffe eingesetzt wird. Einer der beteiligten Forscher sagte denn auch:
Die Grippe hat drei Mal im vergangenen Jahrhundert einen besonders hässlichen Trick ausgeführt und sich in einen Virus verwandelt, vor dem niemand Immunität entwickelt hatte und der eine weltweite Pandemie mit Millionen von Toten verursachte. Niemand weiß genau, wie man eine Pandemie reproduzieren könnte, aber wir sind wirklich nahe daran zu wissen, wie man die Sequenz des Virus reproduziert, der die Pandemie von 1919 verursachte.