US-Regierung erneut im Propagandakrieg?

Angeblich soll Husseins Gefangennahme durch US-Soldaten nur ein kalkulierter Mediencoup gewesen sein, er sei schon zuvor von Kurden festgenommen und für die Gefangennahme betäubt worden

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Gleich nach der Gefangennahme von Saddam Hussein in seinem Erdloch - sind die ersten Spekulationen laut geworden, dass dies eine Inszenierung gewesen sei ("Ich will einen voll funktionierenden Saddam"). Hussein sei schon länger Gefangener gewesen und nur unter den richtigen Propagandabedingungen - gefangen wie eine Ratte - aus dem schmutzigen Erdloch von amerikanischen Soldaten geholt worden. Wenn die Informationen der britischen Zeitung Sunday Express stimmen sollten, dann haben die Verschwörungstheoretiker recht gehabt.

Bild: Alexis Dworsky, Technolution

Die Gefangennahme war tatsächlich bilderbuchreif und deren Bekanntgabe, wie schon bald berichtet wurde, bereits im Sommer bis ins Detail geplant worden, nachdem die Tötung der beiden Hussein-Söhne nicht den richtigen Eindruck gemacht hatte. Iraker sollten bei der Festnahme eine wichtige Rolle spielen und die Bilder - das primäre Gut in der Aufmerksamkeitsgesellschaft - möglichst schnell weltweit publiziert werden, um Verschwörungstheorien keinen Raum zu lassen, die freilich dennoch kursierten.

Gary Thatcher, verantwortlich für die "Medienstrategie" der Koalitionsverwaltung unter Bremer, sollte vermeiden, dass wieder Skepsis über die Identität Saddams wie bei seinen beiden Söhnen aufkam. Damals hatte man schließlich Reporter eingeladen, die sich die Leichen anschauen und Bilder von ihnen machen durften, um zu beweisen, dass die Hussein-Söhne auch wirklich tot sind. Thatcher arbeitete Strategien für die beiden Varianten aus: Hussein wird lebendig gefangen oder er wurde erschossen. Für die Version "lebendig" sollte der Kurde Talabani, Mitglied des Regierungsrats, zuerst die Festnahme, wie auch geschehen, verkünden, dann erst wollte man sie offiziell bekannt geben. Vermeiden sollte man, dass Bilder in Umlauf kamen, die ihn als Märtyrer oder als Helden darstellten. Daher seien die Bilder der angeblichen medizinischen Untersuchung besser gewesen, als man dies jemals erhoffen konnte:

Die Bilder der medizinischen Untersuchung, als nach Läusen in seinen Haaren gesucht und seine Zunge mit dem Stäbchen heruntgedrückt wurde, zeugen von einer ganz gewöhnlichen Routine und haben grundsätzlich demonstriert, dass er ein ganz normaler Sterblicher, kein Supermensch, war, dass er keine Bedrohung mehr darstellte. Unsere Planung war gut. Aber Saddam half uns letztlich unermesslich dabei. Er trug auf eine Weise dazu bei, die wir niemals erträumt hätten - er ließ es zu, dass er in einen solch herunter gekommenen Zustand geriet und so verhärmt aussah.

Amerikanische Soldaten waren, so die Geschichte, durch einen Verrat auf das Versteck Husseins hingewiesen worden. In einer auch noch nach einem Hollywoodfilm benannten Operation "Rote Morgendämmerung" (Red Dawn) spazierten dann Soldaten der 4. Infanteriedivision - trotz den Namens der Operation seltsamerweise am Sonntag Abend - ohne Gegenwahr auf den Bauernhof in Adwar und fanden schließlich das Erdloch, in dem sich Hussein versteckt hatte. Auch dieser habe sich nicht gewehrt, sei verwirrt und dreckig gewesen. Die Bilder des bärtigen, verwahrlosten und betäubt wirkenden Diktators, für den nicht einmal Handschellen notwendig waren, sollten natürlich demütigend wirken, was auch etwa UN-Generalsekretär Kofi Annan kritisierte.

Bald kamen Spekulationen auf, dass Saddam schon lange ein Gefangener gewesen sein müsste, zumal er aus der Erdhöhle auch gar nicht selbst hätte herauskommen können. Seine Tochter meinte, er müsse unter Drogen gestanden haben.

US-Soldaten finden den Eingang zum Versteck Husseins

Yesterday's successful capture was the result of close coordination of intelligence and a rapid, skillfully-executed military action by U.S. forces. It reflects hard work, the courage and the determination of U.S. and coalition forces serving in Iraq. Americans can be enormously proud of them. And, it is important to remember, that each is a volunteer. Each stepped forward to serve and to help fight the global war on terror.

US-Verteidigungsminister Rumsfeld am 14.12.

Angeblich sei Hussein nun auch in der Tat nicht von amerikanischen Truppen gefangen genommen worden, sondern von kurdischen Milizen der Patriotic Union of Kurdistan (PUK). Diese hätten Kenntnis von seinem Aufenthaltsort durch einen Angehörigen des al-Jabour-Stammes erhalten, dessen Tochter von Hussein-Sohn Udai vergewaltigt worden sei. Diese Informationen sollen laut Sunday Express von einem Angehörigen des britischen Militärgeheimdienstes stammen. Bevor die Amerikaner kamen, hätten die Kurden ihn mit Medikamenten betäubt.

Küche des Bauernhofs, bei dem Hussein gefunden wurde

Ein ehemaliger irakischer Geheimdienstoffizier habe der Zeitung zudem gesagt, dass Talabanis PUK Saddam schon länger gefangen genommen hatte, ihn aber erst von den Amerikaners festnehmen ließen, als man eine Vereinbarung getroffen habe. Tatsächlich hieß es auch in den ersten Meldungen, dass Hussein von kurdischen Milizen unter der Führung von Qusrat Rasul Ali gefunden worden sei, die von US-Soldaten nue begleitet worden seien.

Hussein ist also nach dem Sunday Express nicht durch eine aufwändige und langwierige Geheimdienstarbeit der Briten und Amerikaner aufgespürt worden - und auch dies noch zu einer passenden Zeit, um für US-Präsident Bush gewissermaßen als Weihnachtsgeschenk zu dienen. Prompt stiegen denn auch nach der Festnahme die Popularitätswerte des US-Präsidenten in die Höhe. Die neue Version bringt, ob wahr oder nicht, vermutlich Unruhe mit sich. Schon titelte al-Dschasira: "Saddam: Unter Drogen gesetzt und verraten." Und sie könnte, unabhängig vom Wahrheitswert, Konflikte zwischen den Kurden und den Schiiten und Sunniten schüren.

Wenn die neue Version zutreffen und die Gefangennahme einmal mehr ein Propagandacoup der "Spindoktoren" der US-Regierung gewesen sein sollte, dann müsste man auch mit höchster Skepsis den neueren Informationen begegnen, dass der verwirrte und verwahrloste Hussein aus seinem Erdloch ohne jedes Kommunikationsmittel, aber mit Hunderten von Millionen US-Dollar ausgestattet, über die Hilfe einer weniger Getreuer den Widerstand im ganzen Irak organisiert, zumindest aber genaue Kenntnis darüber gehabt haben soll, wenn er auch nicht im Einzelnen jeden Schritt geplant habe. Dass Hussein ein aktive Rolle gespielt haben soll und der Widerstand tatsächlich vorwiegend auf Hussein-Getreue zurückgeht, ist stets die Argumentation der US-Regierung gewesen.