US-Repräsentantenhaus erklärt Massenmord an Armeniern zum Genozid
Türkischer Außenminister kritisiert "beschämenden Versuch, die Geschichte für Tagespolitik zu missbrauchen"
Gestern forderte das US-Repräsentantenhaus den amerikanischen Präsidenten Donald Trump dazu auf, neue Sanktionen gegen die Türkei zu verhängen. Darüber hinaus erklärte es mit 405 zu 11 Stimmen den Massenmord Armeniern während des Ersten Weltkrieges offiziell zum Genozid. Bemühungen, so eine Resolution zu verabschieden, gab es bereits seit langer Zeit. Ihnen wurde bis Dienstag immer wieder entgegengehalten, solch eine Erklärung würde das Verhältnis zum NATO-Partner Türkei zu sehr beschädigen.
Dass die Resolution nun eine Mehrheit fand, wertet man in Ankara als "Rache" für die türkische Syrienpolitik, die sich derzeit vor allem gegen die im Kampf gegen den IS-Kalifen mit den Amerikanern verbündeten kurdischen YPG-Milizen richtet. Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu kritisierte die Resolution deshalb als "beschämenden Versuch, die Geschichte für Tagespolitik zu missbrauchen".
Zwei Extreme
An die aktuellen Ereignisse erinnerten allerdings auch mehrere Kongressabgeordnete, die Parallelen zwischen dem Schicksal der Armenier im Osmanischen Reich und dem der Kurden im erweiterten Herrschaftsbereich von Recep Tayyip Erdoğan zogen. Ein insofern problematischer Vergleich, als historische Dokumente zeigen, dass ein großer Teil der damaligen Täter kurdische Angehörige von Hamidiye-Stammesmilizen waren, die Armenier nicht nur töteten, sondern sich auch am Eigentum ihrer vertriebenen Nachbarn bereicherten (vgl. Die kurdische Verantwortung für den Massenmord an Armeniern).
Symbol für das entgegengesetzte Extrem unter den Abgeordneten ist in US-Medienberichten heute Ilhan Omar (vgl. Neue US-Linke: Mit altem Gepäck unterwegs). Sie hatte sich sich bereits in der Vergangenheit auffällig Erdoğan-freundlich gegeben und weigerte sich jetzt mit einer Handvoll weniger bekannter Abgeordneter, für die Resolution zu stimmen. Ihr Verhalten, das viel Aufmerksamkeit findet, könnte indirekt auch dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders schaden, für den sich die aus Ilhan Omar, Alexandria Ocasio Cortez, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley bestehende umstrittene "Squad" inzwischen zu drei Vierteln öffentlich ausgesprochen hat.
Deportationsziele lagen teilweise deutlich näher an der Front als die Herkunftsgebiete
Außerhalb der Türkei ist mittlerweile relativ unstrittig, dass während des Ersten Weltkrieges eine enorm große Zahl von Armeniern und Assyrern bei Deportationen ums Leben kam - sowohl durch direkte Gewaltausübung als auch durch Hunger, Durst und Erschöpfung. In Briefen deutscher Diplomaten werden Teile der damaligen politischen Führung des Osmanischen Reiches zitiert, die im Gespräch offen zugaben, dass die "Verbannung" das Ziel habe, "die Armenier zu vernichten".
Auch Ingenieure, Militärs und andere damals im Orient lebende Europäer und Amerikaner äußerten immer wieder die Überzeugung, dass das von der osmanischen Regierung angeführte Argument, man würde die Armenier lediglich aus militärischen Gründen aus Anatolien deportieren, unter anderem deshalb ein Vorwand sei, weil es keinerlei Anzeichen dafür gab, dass man sich um so etwas wie eine Versorgung mit Lebensmitteln überhaupt Gedanken machte und die Deportationsziele teilweise deutlich näher an der Front lagen als die Herkunftsgebiete.
Talaat Pascha lehnte Hilfsleistungsangebote aus befreundeten und neutralen Ländern ab
Vorhaben wie das des Gouverneurs von Aleppo, wenigstens provisorische Unterkünfte für die Deportierten zu errichten, lehnte das von Talaat Pascha geführte osmanische Innenministerium ebenso ab wie Hilfsleistungsangebote aus befreundeten und neutralen Ländern. Als dies Helfer schließlich doch einmal schafften, empfingen sie die armenischen Frauen mit den Worten, sie sollten ihnen lieber Gift statt Brot bringen, damit das Elend schneller ein Ende habe.
Tatsächlich, so der angesichts solcher Erlebnisse geäußerte Verdacht vieler Zeitzeugen, handelte es sich bei den angeblichen Deportationen um absichtlich angeordnete Todesmärsche, bei denen die nicht nur von der Jungtürken-Bewegung als Fremde im Volkskörper empfundenen Armenier durch Hunger und Erschöpfung getötet werden sollten.
Deutscher Militärs und Politiker verbaten sich damals ein Einschreiten gegen das Treiben immer wieder mit dem Verweis darauf, dass man den Bündnispartner noch brauche und ihn deshalb nicht vor den Kopf stoßen dürfe. Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg fasste diese Haltung in dem bemerkenswert offenen Satz zusammen, es sei das "einzige Ziel" der Reichsregierung, "die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zugrunde gehen oder nicht" (vgl. Mit Stöcken im Anus tot liegen gelassen).
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