US-Wahl 2024: Die Kluft der Demokraten zur weißen Arbeiterschaft

Anhänger von Kamala Harris und Joe Biden vor einem Transparent mit der Aufschrift "Stellt die Seele dieser Nation wieder her" (Übersetzung von "Biden/Harris - restore the soul of this nation"

Unterstützer von Kamala Harris und Joe Biden vor der Ausbildungsstätte der International Brotherhood of Electrical Workers, September 2020. Bild: Aaron of L.A. Photography / Shutterstock.com

Ist die Entfremdung ein unüberwindbares Hindernis? Von der Hoffnungsträgerin zur Mainstream-Kandidatin: Kamala Harris und das Biden-Dilemma. Analyse.

In zwanzig Tagen finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt und das Rennen um das Weiße Haus könnte laut einer aktuellen Umfrage von NBC knapper nicht sein.

Nach einer anfänglichen Welle der Begeisterung für die demokratische Kandidatin Kamala Harris ist der Vizepräsidentschaftswahlkampf wieder auf dem harten Boden der politischen Realität angekommen.

Schwierigkeit mit weißer Wählerschaft ohne College-Abschluss

Wie die Kandidatinnen und Kandidaten der Demokratischen Partei vor ihr tut sie sich schwer, ein politisches Programm zu formulieren, das die weiße Wählerschaft ohne College-Abschluss überzeugt. Aktuell wird auch von Schwierigkeiten bei der Unterstützung der schwarzen Wählerschaft berichtet.

Obwohl aktuelle Meinungsumfragen Kamala Harris einen schwachen Vorsprung einräumen, hat ihr republikanischer Konkurrent weiterhin eine realistische Chance auf eine zweite Amtszeit im Weißen Haus.

Der Grund für den anfänglichen Erfolg von Harris ist leicht zu benennen: Für kurze Zeit stand sie in den Augen der Öffentlichkeit für politischen Wandel. Als Harris am 22. Juli Joe Biden als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ablöste, galt sie als Alternative zu zwei weithin bekannten und ungeliebten Präsidenten. Das verschaffte Harris zumindest vorübergehend einen politischen Vorteil.

Harris: Nie eine wirkliche Außenseiterin

Denn immer mehr Amerikaner sind mit der Politik der beiden großen Parteien unzufrieden und tendieren daher zu Außenseiterkandidaten. 2016 war es Donald Trump, der mit seinem Image als politischer Außenseiter gegen die altgediente Technokratin Hillary Clinton gewann.

Doch anders als Donald Trump war Harris nie eine wirkliche Außenseiterin. Im Gegenteil: Sie dient der aktuellen demokratischen Regierung als Vizepräsidentin. Harris' Kampagne macht auch kaum Anstalten, sich von der Biden-Regierung und ihrer politischen Plattform zu distanzieren.

In einem Interview mit ABC News antwortete Harris auf die Frage, ob sie sich an eine Situation erinnern könne, in der sie anders gehandelt hätte als Präsident Biden: "Es gibt nicht eine Sache, die ihr in den Sinn käme."

So viel Loyalität ist löblich, könnte einer Präsidentschaftskandidatin aber strategisch zum Nachteil gereichen. Immerhin waren Bidens Umfragewerte vor der Übernahme von Harris im Keller. Hinzu kommt: Ohne starke eigene politische Plattform entpuppt sich Harris als Mainstream-Demokratin.

Die Bürde des politischen Erbes der Demokratischen Partei

Damit erbt sie die Bürde des politischen Erbes der Demokratischen Partei. Wie vor ihr Hillary Clinton hat Kamala Harris große Schwierigkeiten, die weiße Arbeiterklasse von ihrer politischen Botschaft zu überzeugen.

Das ist ein Problem, weil diese Gruppe etwa ein Drittel der amerikanischen Wählerschaft ausmacht. 2020 stimmten zwei von drei weißen Wählern ohne College-Abschluss für Donald Trump.

Als Grund wird oft die konservative Sichtweise dieser Wählergruppe genannt, die sie anfällig für Trumps rechtspopulistische Rhetorik mache.

Das ist nicht falsch, zwar hatte auch ein progressiver Demokrat wie Bernie Sanders Schwierigkeiten, die weiße Arbeiterschaft davon zu überzeugen, ihre wirtschaftlichen Interessen in den Vordergrund zu stellen.

Entfremdung: Demokratische Partei und weiße Arbeiterklasse

Aber historisch hat sich die Demokratische Partei von der weißen Arbeiterklasse abgewandt, nicht umgekehrt. In den Swing States des Rust Belt, wo die Deindustrialisierung der USA am deutlichsten zu spüren ist, haben die Clinton-Jahre, insbesondere durch das NAFTA-Abkommen, tiefe Narben hinterlassen.

Das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA), das US-Arbeiter in direkte Konkurrenz zu mexikanischen Niedriglohnarbeitern brachte, hat der US-Wirtschaft einen Aufschwung beschert, aber den Arbeitern, deren Arbeitsplätze unweigerlich ins Ausland abwanderten, die Lebensgrundlage entzogen.

Der Wandel der Demokratischen Partei von Vertretern der Arbeiterschaft zu einer neoliberal-technokratischen Partei der ExpertInnen erlaubte es den Republikanern, sich als die neue Partei der Arbeiterklasse zu inszenieren.

2020 hat Trump NAFTA offiziell aufgekündigt. Damit löste er zumindest symbolisch sein Wahlversprechen ein, Arbeitsplätze in die USA zurückzuholen.

Wie erfolgreich der selbsternannte beste "Dealmaker" bei seiner Mission tatsächlich war, ist allerdings fraglich.

Im Gegensatz zu Hillary Clinton, die noch im Wahlkampf die Politik ihres Mannes gegen Trump verteidigte, hielt Biden am freihandelskritischen Kurs seines Vorgängers fest. Zudem gilt Biden weithin als gewerkschaftsfreundlicher Präsident.

Gewerkschaften entziehen Harris Unterstützung im Wahlkampf

Aber auch das konnte bei den letzten Wahlen nicht über das Imageproblem der Liberalen hinwegtäuschen. Es ist eine Sache, den Rückhalt, das endorsement, der Gewerkschaftsführung zu bekommen, aber eine ganz andere, ob und wen die Mitglieder wählen.

Zudem sind die Mitgliederzahlen der US-Gewerkschaften und damit ihr politisches Gewicht während Bidens Amtszeit auf einen historischen Tiefstand gesunken. Kamala Harris hat nun selbst diese weitgehend symbolische Unterstützung verloren.

Sowohl die Teamster-Gewerkschaft als auch die International Association of Fire Fighters haben beschlossen, die demokratische Kandidatin nicht offiziell zu unterstützen.

Kürzlich konnten die Demokraten nur mit Mühe einen Streik der Hafenarbeiter an der Ostküste abwenden, der kurz vor der Wahl die Stabilität wichtiger Lieferketten ernsthaft gefährdet hätte. Bei dieser Nachrichtenlage kann auch das volksnahe Auftreten von Kamala Harris' Running Mate Tim Walz nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Ansehen der Demokraten bei den amerikanischen Arbeitern, ob gewerkschaftlich organisiert oder nicht, schwerbeschädigt ist.

Vielleicht wird Kamala Harris trotzdem die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten. Doch die politische Zukunft der Demokratischen Partei hängt davon ab, ob sie das zerbrochene Vertrauen wieder reparieren kann.