USA: Der Wirklichkeitsverlust ratloser Demokraten
Joe Biden liegt in Umfragen hinter Trump zurück. Das liberale Lager hält an Auffassung fest, dass dies am manischen Medienzirkus liegt. Das ist die falsche Spur.
Donald Trump kann nur gewinnen – zumindest, wenn man seinen fanatischeren Fans Glauben schenken darf. Selbst wenn der Kandidat der Republikaner die Wahl im November verlieren sollte, kann es sich, wie er zuletzt insistierend betonte, nur um einen weiteren Wahlbetrug der Demokraten handeln.
Auch die Demokraten suchen schon jetzt nach Erklärungen für eine mögliche Wahlniederlage. Mit gutem Grund: Trump liegt vorn im Rennen um das Weiße Haus.
Laut einer Umfrage der New York Times in Zusammenarbeit mit dem Siena College Anfang Mai führt er weiterhin in fünf wichtigen Swing States. Insbesondere in Nevada scheint Joe Biden inzwischen deutlich hinter seinem Herausforderer zurückgefallen zu sein.
Panik unter Demokraten
Verständlich also, dass sich unter den Liberalen in Politik und Medien zunehmend Panik breitmacht. So haben maßgebliche Redner der Demokratischen Partei bereits damit begonnen, den eigenen Nachwuchs – College-Studierende –, für eine mögliche Wahlniederlage im November verantwortlich zu machen.
Umfragen bestätigen, dass Joe Biden in den letzten Wochen bei jungen und nicht-weißen Wählern an politischem Rückhalt verloren hat. Jetzt sucht man händeringend nach Erklärungen für diesen Trend.
Hillary Clinton behauptete Anfang dieses Monats in einem Interview in der Talkshow Morning Joe auf MSNBC, die meisten jungen Leute, mit denen sie in Kontakt komme, wüssten bedenklich wenig über die Geschichte des Mittleren Ostens oder anderer Orte auf der Erde.
Wer weiß, vielleicht kann sich die Demokratische Partei diese herablassende Art sogar leisten?
Fehler im System
Die Wählerschaft in den USA wird im November vor den gleichen beiden Wahlmöglichkeiten stehen wie in den vorangegangenen Jahren. Drittkandidaten wie RFK Jr haben wenig Einfluss auf den Ausgang der Wahl.
Dank des zwei-Parteien-Systems hat Biden in Anbetracht der Alternative weiterhin Chancen auf eine Wiederwahl. Doch gerade mit diesem Mangel an Auswahl zeigen sich viele in den USA unzufrieden.
Fast 70 Prozent der Wähler sind überzeugt, dass das politische und wirtschaftliche System des Landes grundlegend geändert oder sogar ganz abgeschafft werden muss.
Für die aktuelle Misere machen viele beide Parteien verantwortlich. Selbst für die Änderungen in den Abtreibungsgesetzgebungen wird Biden von gut 17 Prozent der Wählerschaft mitverantwortlich gemacht.
Diese Politikverdrossenheit ist für viele liberale US-Medien schwer begreiflich. Also sucht man den aktuellen politischen Trend ausschließlich durch die aktuelle Berichterstattung in den USA zu begründen.
Ursachensuche landet bei abgestumpften Medienkonsumenten
Im Magazin The Atlantic lieferte Charles Sykes vergangenen Monat einige Vorschläge, wie Journalisten im Zeitalter der Informationsflut der daraus resultierenden "Banalität der Verrücktheit" entgegenwirken könnten.
Sykes beklagt primär den Umstand, dass das ständige skandalöse Verhalten Trumps die Medienkonsumenten abgestumpft habe. Damit sei "echte" journalistische Berichterstattung praktisch unmöglich geworden.
Der Journalist bezieht sich unter anderem auf eine Beschwerde des ehemaligen White House Communications Director, Dan Pfeiffer. Der regte sich darüber auf, dass die infame Behauptung Trumps, wonach Präsident Biden vor seiner State of the Union Address Kokain konsumiert haben soll, nicht genug allgemeine Entrüstung ausgelöst habe.
Auch Trumps Forderung, man solle General Milley hinrichten lassen, sei in der Medienflut untergegangen.
Journalisten müssten – die erfolgreiche Online-Wahlkampfführung Donald Trumps im Jahr 2016 vor Augen – ferner auch die Gefahren des digitalen Raums bedenken.
Verengung des Blickfeldes
Sykes beklagt, man habe sich damals zu spät um "ausländische Interventionen" und den Einfluss von Bots in sozialen Netzwerken gesorgt. Immerhin jedoch konnte die bescheidene Einflussnahme Russlands auf den Wahlkampf, der damals noch auf den Seiten Facebooks tobte, den Demokraten später als Erklärung ihrer Wahlniederlage dienen.
Und mit seiner Einschätzung, dass man sich dieses Jahr besonders über ein von Elon Musk kontrolliertes X (Twitter) Sorgen machen, hat Sykes leider recht.
Doch zeigt sich anhand von Sykes Artikel auch eine unter Anhängern der Demokraten sehr verbreitete Verengung des politischen Blickfeldes.
Das richtet sich in der Überzeugung ein, dass für die aktuelle Misere der Liberalen nicht die wirtschaftlichen oder politischen Realitäten, sondern immer nur die Medien und das Messaging verantwortlich sein sollen.
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Deshalb erweist sich auch Beobachtung, dass politische Inhalte auf videolastigen Medien wie TikTok hauptsächlich darin bestehen, die Kandidaten in einer alltäglichen oder zumindest unterhaltsamen Situation zu zeigen, als redundant.
Wunsch nach politischer Veränderung?
Diese Form der Medienkritik ignoriert, dass keiner der beiden Kandidaten eine politische Vision vorweisen kann, die dem Wunsch nach politischer Veränderung eines Großteils der US-Bevölkerung gleichkäme.
Wird im November dann der chinesische Einfluss auf TikTok für die Wiederwahl Trumps verantwortlich gemacht?
Am Ende des Artikels in The Atlantic sind einige Vorschläge zu lesen, wie man der "Banalität der Verrücktheit" beikommen kann.
Es sei wichtig, sich nicht auf Trumps Äußerungen zu konzentrieren, sondern vielmehr auf die dunkle Botschaft, die dahinterstecke. Außerdem dürften die Journalisten nicht müde werden, ihren Leserinnen und Zuschauern die Abnormalität der aktuellen politischen Situation vor Augen zu führen.
Aber der Ausruf "none of this is normal" dürfte wenig Einfluss auf jüngere Leser oder Zuschauer haben, da die acht Jahre seit Trumps Wahl zum US-Präsidenten einen Großteil ihrer Lebensdauer ausmachen und somit Normalität für sie bedeuten.
Eine Erfahrung von Wirklichkeit
Die "Ära der guten Vibes" endete am 11. September 2001 durch den Anschlag auf das World Trade Center und den darauffolgenden Irakkrieg. Obwohl Präsident Obamas Wahlkampf für kurze Zeit wieder etwas Stimmung in den Laden bringen konnte, mit der Finanzkrise 2018 stand fest: Die Party ist vorbei.
Damit hatte die materielle Wirklichkeit sowohl Wall Street als auch die gefährdete US-amerikanische untere Mittelschicht eingeholt. Damals wurde der Glauben vieler US-Bürger in den immerwährenden Wohlstand, die Macht und in das politische System ihres Landes erschüttert.
Das ist ein Trend in der Erfahrung der Wirklichkeit, der von Trump besser verkörpert wird und den die Liberalen fürchten.
Wo ist die Basis für eine echte Auseinandersetzung mit den politischen Realitäten?
Sykes wirbt für eine faire und ausgewogene Wahlkampfberichterstattung. Er betont jedoch, dass diese Fairness nicht zu weit gehen sollte. Eine Einladung Trumps gegenüber Putin, er könne gerne "europäische Länder erobern" (Sykes), müsse mindestens so viel mediale Aufmerksamkeit erfahren wie der Umstand, dass der aktuelle Präsident regelmäßig altersbedingt in eine Art Trance-Zustand verfällt.
Letztlich zeigen Sykes Überlegungen zur Rolle der Presse im aktuellen Wahlkampf, dass es den liberalen Medien genauso unmöglich ist, über den eigenen Tellerrand zu blicken wie der Partei der Demokraten.
Die Unfähigkeit oder der Unwillen, die materiellen Nöte und Sorgen der Bevölkerung direkt zu adressieren, macht eine echte Auseinandersetzung mit den politischen Realitäten unmöglich.
Somit muss man den Grund für allgemeine Unzufriedenheit in der Bevölkerung eben in ausländischen Einflüssen, mangelnder Erziehung in den Geschichtswissenschaften oder schlechte PR suchen – nur leider vergeblich.