USA: Nach den Wahlen ist vor dem politischen Stillstand

Bei den Zwischenwahlen zum US-Kongress könnten die Republikaner die Mehrheit erhalten. Damit droht im mächtigsten Land der Welt der politische Betrieb erneut einzurasten. Über Ursachen und Konsequenzen einer absurden Macht-Mechanik.

In dreißig der letzten 32 Jahre ist es den beiden großen US-Parteien, Demokraten wie Republikanern, nicht gelungen, ungeteilte Kontrolle über Exekutive und Legislative des politischen Systems zu erreichen. Wenn eine Partei das Weiße Haus kontrollierte, stellte die andere die Mehrheit in einer oder sogar beiden Kammern des Parlaments, dem Senat und dem Repräsentantenhaus.

Das hat zu andauerndem politischen Stillstand geführt, da Vorschläge aus dem Weißen Haus blockiert wurden. Selbst erfolgreiche Vorstöße wurden bei dem Versuch verwässert, wackelige Mehrheiten auf die Beine zu stellen.

John B. Judis ist leitender Redakteur von Talking Points Memo und Autor zahlreicher Bücher zu Politik und politischer Theorie.

Seit dem vergangenen Jahr hatten Joe Biden und die Demokraten eine – wenn auch unsichere – Kontrolle über Legislative und Exekutive. Im Senat haben Demokraten wie Republikaner jeweils 50 Sitze, wobei die Vizepräsidentin als Zünglein an der Waage fungieren kann.

Politische Differenzen innerhalb der Demokratischen Partei machten es jedoch bereits schwierig, auf 50 Stimmen zu kommen, während die Oppositionspartei im Senat bei den meisten Gesetzesinitiativen, so dem Wahlrecht oder Abtreibungsgesetzen, auf den sogenannten "Filibuster" zurückgreifen kann. Dieser macht eine Mehrheit von 60 Stimmen erforderlich, um die entsprechenden Gesetze zu verabschieden. Lediglich einfachere Haushaltsmaßnahmen können mit einfacher Mehrheit beschlossen werden.

Bei den midterm elections im November 2022 könnten die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus wiedergewinnen, was der Biden-Administration die Verabschiedung wichtiger Gesetzespakete erschweren dürfte, selbst wenn die Demokraten den Senat halten. Dies könnte drastische Konsequenzen haben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Monatszeitschrift Welttrends.

So hat es der politische Stillstand zwischen Exekutive und Legislative in den letzten sechs Jahren von Obamas achtjähriger Amtszeit unmöglich gemacht, die Folgen der schweren Rezession abzumildern, die Infrastruktur instand zu setzen, oder das Land besser auf den internationalen Wettbewerb in einer kriselnden Weltwirtschaft vorzubereiten. Sollte die Regierungsmacht nach den Wahlen im November wie- der geteilt sein, dürfte dies ähnlich nachteilige Auswirkungen auf das Land und die Welt haben. So könnte das Repräsentantenhaus nicht mehr bereit sein, großzügige Militärhilfen an die Ukraine zu bewilligen

Gründe für den Stillstand in der US-Parteipolitik

Dieser Stillstand hat zweierlei Gründe, wobei einer davon bis in die Gründungsphase der USA zurückreicht. Der andere liegt in Machtverschiebungen und veränderten Parteikoalitionen der vergangenen 50 Jahre begründet. Um eine Tyrannei zu verhindern, erfanden die Gründerväter der USA ein System, das den Stillstand geradezu einlud. Diese Struktur sollte, wie es James Madison in The Federalist ausdrückte, "ein Hindernis (...) für unangemessene Gesetzesakte" darstellen.

Die US-Verfassung etablierte eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative, die jeweils die Initiativen der anderen blockieren können. Die Verteilung der Macht zwischen den Bundesstaaten, die etwa kleineren, dünn besiedelten Staaten wie Delaware und Wyoming gleiche Stimmrechte im Senat einräumt, macht es für die Mehrheit zudem schwer, ihren Willen durchzusetzen. Dies zeigte sich zuletzt eindrucksvoll in der Tatsache, dass der kleine, kohlefördernde Bundesstaat West Virgina in der Lage war, die Klimagesetzgebung nach seinem Willen zu gestalten.

Der zweite Grund geht auf den Niedergang der informellen, Demokratischen Koalition zurück, die die US-Politik zwischen 1932 und 1968 dominiert hatte. Diese lose Koalition führender Strömungen der US-amerikanischen Politik hatte in dieser Zeit für 24 Jahre uneingeschränkte Kontrolle über die Regierung und konnte auf diese Weise signifikante Gesetzesvorhaben, vom Social Security Act (1935), dem National Labor Relations Act (1935) bis hin zu Medicare (1965) und der Bürgerrechtsgesetzgebung (1964), verabschieden.

Zwar erhielten diese Vorhaben einige Unterstützung vonseiten des Unternehmertums, so von der extraktiven Industrie oder der Wall Street, wurden aber letztlich von der Arbeiterbewegung getragen, die bis in die 1950er Jahre etwa ein Drittel der nicht in der Landarbeit tätigen Lohnabhängigen repräsentierte. Dieser Mikrokosmos war emblematisch für den Demokratischen Pluralismus des New Deal, der die Arbeiterschaft als Gegengewicht zum Unternehmertum in Stellung brachte.

Auch wenn die Unternehmer immer noch das endgültige Zustandekommen der Gesetzesvorhaben prägten, waren sie dennoch gezwungen, auf die Forderungen der Arbeiterschaft einzugehen. All dies änderte sich gegen Ende der 1960er Jahre. Die Unterstützung der Demokraten für die Bürgerrechtsgesetzgebung sowie für die Armutsbekämpfung, die sich nach Unruhen an in den Städten lebende Afroamerikaner richtete, entfremdete der Partei viele weiße Demokraten aus der Arbeiterschicht, insbesondere in den Südstaaten.

Die Unterstützung der Demokratischen Partei für die Aufhebung der Rassentrennung an Schulen, in deren Zuge schwarze Kinder mit Bussen an weiße Schulen gebracht wurden und umgekehrt, sorgte zudem für Entfremdung bei weißen Wählern in den Städten, die zunehmend in die Vorstädte flohen und zum Niedergang der städtischen Parteimaschinerie beitrugen. Nachdem sich die Demokraten mit der Gegenkultur und dem Feminismus der 1960er Jahre identifizierten, wandten sich auch Evangelikale vom Land, die entweder Demokraten gewesen waren oder kein Interesse an Politik hatten, von der Partei ab.

Gleichzeitig wechselten viele Wähler mit College-Ausbildung, die in Berufen wie dem Lehramt oder der Krankenpflege arbeiteten, zu den Demokraten, während sich die Republikaner den weißen backlash zunutze machten sowie die religiöse Rechte für sich gewinnen konnten.

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