USA: Run auf Waffen und Munition

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Mehr Waffen, Schießereien, Tote und Verletzte: Das Gun Violence Archiv sieht die USA auf ein Rekordjahr zusteuern. Auch die Wahlen spielen dabei eine Rolle

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Die USA streben auf ein Rekordjahr zu. 513 Schießereien mit mehreren Beteiligten und mehreren Verletzten - "mass shootings" - zählt das Gun Violence Archive heute. Im vergangenen Jahr waren es 418, vor sechs Jahren 269. In diesem Jahr sehe es ganz so aus, als ob die Zahl von 600 überschritten werde. Einen solchen Wert habe man bis dato noch nicht registriert. Insgesamt 34.336 Tote durch Gun Violence zählt die Webseite am 20. Oktober für das laufende Jahr in den USA.

Eine Boulevardwebseite, üblicherweise bekannt für "Enthüllungsstorys" mit Stars und Prominenten, berichtet über einen Run auf Waffengeschäfte, besonders in Michigan, aber nicht nur dort: "Das war ein großes Jahr für den Verkauf von Feuerwaffen": "guns fly off the shelves" (wörtlich von DeepL mit "Geschütze (oder Waffen) fliegen aus den Regalen" übersetzt).

Bereits im August deutete sich ein Rekordjahr für Waffenverkäufe an, schon im Sommer wurde von Warteschlangen vor den Geschäften berichtet, vom Ausverkauf der Geschäfte, von Nachschubproblemen und von einer auffällig hohen Zahl an Erstverkäufern: Fast 5 Millionen laut eines Berichts der National Shooting Sports Foundation (NSSF). Unsicherheit, bzw. der große Wunsch nach Selbstverteidigung, angesichts der vielen Krisen - die Corona-Pandemie, der Wirtschaftseinbruch, explodierende Arbeitslosenzahlen und schließlich die Massenproteste mit Gewaltausschreitungen - wurden an dieser Stelle als Gründe aufgeführt (Guns 'n Protests).

Am 21. September feierte die Lobbyorganisation National Shooting Sports Foundation (NSSF) den Run auf die Waffen. "Die Verkäufe von Waffen und Munition schnellten dieses Jahr in die Höhe", so der CEO Joe Bartozzi. Im Durchschnitt seien die Munitionsverkäufe um 139 Prozent gestiegen und die Waffenverkäufe um 95 Prozent; aufgefallen seien die Erstkäufer, die Hälfte unter 40 Jahre alt, davon wiederum die Hälfe unter 30-Jährige. 40 Prozent der Waffenkäufer seien Frauen, die Waffen zu ihrem Schutz kaufen würden, so Bartozzi. Verkaufsschlager waren ihm zufolge: "Semi-automatic handguns, shotguns, and modern sporting rifles."

Bartozzi, der sich im April dafür einsetzte, dass Waffengeschäfte von Corona-Maßnahmen ausgeschlossen und geöffnet bleiben, zählt außer den oben genannten Gründen auch die Präsidentschaftswahl 2020 zu den Motiven für die neuen Waffenkäufer.

Und sie lassen sich das etwas kosten. Im Durchschnitt gaben Erstkäufer 515 US-Dollar für ihre erste Waffe aus und in etwa nochmal denselben Betrag (504 US-Dollar) für Zubehör. Ein Viertel der Erstkäufer soll noch im gleichen Jahr ein zweites Mal Waffen kaufen gehen, so die Auswertung des NSSF-Berichts durch all4shooters.com. Dort wird die Rangliste der Motive nicht mit politischem, sondern privatem Akzent wiedergegeben: Verteidigung der Wohnung (home defense): 87,3 Prozent; Selbstverteidigung (76,5 Prozent); gemeinsame Schießaktivitäten mit Familie und Freunden (73,2 Prozent).

Furcht vor Eskalationen

Beruhigend sind die Berichte von der Aufrüstung der US-Amerikaner nicht. Ob Trump, der Spannungen mit Spekulationen über die Tage nach der Wahl hochtreibt, damit "bloß" den Wahlkampf anheizt, oder ob, wie es nicht wenige befürchten, danach gewalttätige Auseinandersetzungen zu befürchten sind, kann derzeit niemand mit Bestimmtheit sagen. Gewiss ist nur, dass das Interesse an solchen Berichten bei Medien und Publikum sehr hoch ist.

Unrealistisch ist die Furcht vor Eskalationen aber nicht. In welchem Land sonst wird darüber diskutiert, in welchen Wahllokalen Waffentragen erlaubt ist?

In Michigan, wo die "Waffen aus den Regalen fliegen", hat Trump am Samstag die dortige Gouverneurin, Gretchen Whitmer und deren Regierung wegen ihrer strikten Corona-Maßnahmen neuerdings angegriffen. Auf die Forderung des Publikums seiner Wahlkampfveranstaltung "Lock her up" ("Sperr sie ein"), reagierte er mit "lock them all up" ("Sperrt sie alle ein").

Man hat sich bei Trump schon an grenzwertige Äußerungen - und auch an solche, die bisherige Grenzen dessen, was zum Repertoire von Spitzenpolitikern gehörte, weit hinter sich lassen - gewöhnt, sodass diese Bemerkung schon kaum mehr besonders ausschlägt. Allerdings gibt es dazu die Vorgeschichte, dass die Gouverneurin Ende April mit einer Horde schwer Bewaffneter zu tun hatte, die sich Zutritt zum Parlamentsgebäude von Michigan verschafft hatten - aus "Protest" gegen die Corona-Maßnahmen. Whitmer wurde ein Plakat hingehalten, das verkündete, dass "Tyrannen den Strick bekommen".

Anfang Oktober wurden über das FBI Entführungspläne bekannt, Whitmers Aufenthaltsort wurde ausspioniert, angeblich gab es laut FBI Pläne, sie "vor Gericht zu stellen". 13 Personen wurden festgenommen. Sieben der Festgenommenen sollen Verbindungen zur rechtsextremistischen Miliz "The Wolverine Watchmen" haben. Ihr Vorgehen ist das einer terroristischen Vereinigung, so die Einstufung von Beobachtern.

Es ist ausgeschlossen, dass der amtierende Präsident über diese Hintergründe nicht Bescheid weiß. Seine Äußerung in Michigan wird von den bewaffneten Gegnern der Gouverneurin als ermutigend verstanden, auch das weiß er.