USA greifen Terroristen in Idlib an
Ziel der ungewöhnlichen Militäroperation in einer Zone, wo Russland die Lufthoheit besitzt, war laut US-Centcom die Führung von "al-Qaida in Syrien"
Die USA haben am Sonntag ein Ziel in Idlib angegriffen, das ist außergewöhnlich und seit mehr als zwei Jahren nicht geschehen. Beobachter gehen davon aus, dass dem Absprachen zwischen den USA, Russland und der Türkei zugrundeliegen. Offiziell wird dies allerdings von russischer Seite dementiert. Präsidentensprecher Dmitry Peskow sagte, dass es keinen Zusammenhang zum Treffen zwischen Putin und Trump in Oskaka gebe.
Allerdings hat Russland die Lufthoheit über die Region. Man kann mindestens davon ausgehen, dass die USA Russland über den Angriff, mutmaßlich mit Raketen, vorab informiert haben und klar war, dass dies auf keinen Widerspruch trifft. Das Ziel war ein Ausbildungslager von al-Qaida-Terroristen, so das Statement des US-Central-Command. Darin wird "Idlib" als Ziel des Angriffes der US-Streitkräfte nicht genannt, stattdessen heißt es, dass der Angriff "westlich von Aleppo" ausgeführt wurde.
Bemerkenswert ist, dass die Führung von "al-Qaida in Syrien" Ziel des Angriffs war. Bislang war das verwendete Akronym "AQ-S" noch nicht groß aufgefallen eben so wenig wie der Begriff "al-Qaida in Syria". Sucht man nach exakt diesem Begriff, liefert Google lediglich den genannten Angriff der US-Luftwaffe.
Im Kommunikee der Centcom heißt es, dass die AQ-S-Funktionäre ("operatives"), denen der Angriff galt, "verantwortlich für Planungen waren, Angriffe außerhalb Syriens auszuführen, die US-Bürger, unsere Partner und das Leben Unschuldiger bedrohen". Dieses Argument gehört laut Experten (in diesem Fall soll einmal auf Charles Lister rekurriert werden) zu den beiden Bedingungen, die einen US-Angriff auf die Zone westlich von Aleppo unter russischer Lufthoheit ermöglichen. Die andere Bedingung verlangt laut dem britischen Beobachter Lister, dass das Ziel ein al-Qaida-Führer ist.
Darüber hinaus stellt die CentCom-Kurzmeldung am Ende fest, dass "Nordwest-Syrien ein sicherer Zufluchtsort (safe haven) bleibt, wo AQ-S-Führer aktiv terroristische Aktivitäten durchführen, eingeschlossen Planungen für Angriffen innerhalb der Region und im Westen".
Auch das ist erstaunlich wegen der Nähe zur Argumentation der syrischen Regierung, die ihre Militäreinsätze mit dem Kampf gegen Dschihadisten begründet, die, wie die al-Nusra-Front/Hayat Tahrir al-Scham, mit al-Qaida verbunden ist. Dass Idlib ein safe haven für al-Qaida und Verbündete ist, das hatte als "großes Problem" in der US-Administration so deutlich bislang nur Brett McGurk im Jahr 2017 ausgesprochen: "Idlib is the largest safe haven of Al-Qaeda since 9/11."
Damals empfand die Türkei diese Äußerung als provokativ. Auf den jüngsten Militärschlag der USA gegen "al-Qaida in Syrien" erfolgten aber bisher keine empörten Reaktionen aus Ankara. Das könnte einen einfachen Grund haben.
Al-Qaida in Syrien (AQ-S)
Zu den angeblich acht (manche Quellen schreiben von sechs) getöteten "AQ-S-Funktionären", Kämpfern oder "Anführern", so genau lässt sich das anhand der Namen nicht erschließen, gehörten laut Beobachtern Personen, die mit der Hurras-ad-Din-Führung im Streit lagen wie auch mit Hayat Tahrir al-Scham. Sie waren Abspalter; Grund des Streits war, dass Abu Dhar, Abu Yahya und Abu Omar für den größeren Dschihad eintraten, einen, der sich nicht auf Syrien beschränkt.
Das passte weder ins Konzept des al-Nusra/HTS-Führers al-Golani, noch in das der Führung von Hurras ad-Din, das direkt über einen Treueeid an Zawahiri mit al-Qaida verbunden ist. Hurras ad-Din ist in Idlib ein wichtiger Vertreter von al-Qaida - aber völlig, bis hin zum Zugang zu Waffen, von al-Nusrah/HTS abhängig, die Idlib beherrscht.
Aus diesem Grund hat auch die Türkei ein Interesse daran, sich mit HTS - milde ausgedrückt - auf einen guten Fuß zu stellen. Die Türkei ist bekanntlich Garantiemacht der Opposition und ist laut der Sotschi-Vereinbarung mit Russland für Idlib zuständig.
So kann man, ohne zu spekulieren, behaupten, dass der US-Angriff, der Dissidenten der Linie von HTS-Chef Abu Muhammed al-Golani (häufig auch Abu Mohammad al-Julani geschrieben) gilt, diesem nutzt und dadurch auch nicht gerade gegen die Interessen der Türkei gerichtet ist, die darauf achtet, sich es nicht mit der Macht in Idlib zu verscherzen.
Böse Zungen sprechen davon, dass es gute Beziehung zwischen HTS und dem türkischen Geheimdienst gebe. In den beinahe zwei Jahren, die seit dem Sotschi-Abkommen vergangen sind, gab es keine Zeichen, die einem gewissen Einverständnis klar und entschieden widersprochen hätten.
HTS-Chef Al-Golani versucht den früheren Namen der Gruppe al-Nusra vergessen zu machen (die syrische Regierung bleibt gleichwohl beharrlich bei der Benennung), weil dieser noch aus Zeiten stammt, wo man sich offen zur Verbindung zur Mutterorganisation al-Qaida bekannt hat. Er investiert seit Jahren viel in Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, um seine HTS-Dschihadisten als "syrische Revolutionäre" zu propagieren, die gegen das Regime von Baschar al-Assad kämpfen und mit dem al-Qaida-Terror nichts zu tun haben.
Wenn nun die USA damit beginnen, eine kleine Gruppe wie Hurras ad-Din mit "al-Qaida in Syrien" gleichzusetzen und den großen Elefanten al-Nusra/HTS auszusparen, so geht damit auch einher, dass HTS-Chef Al-Golani weiter aus der Schusslinie bleibt.
Zurückhaltung der USA gegenüber al-Nusra
Auffällig war die Zurückhaltung der USA gegenüber al-Nusra schon in früheren Jahren, als sich beispielsweise der russische Außenminister Lawrow und der US-Ex-Außenminister Kerry über den Umgang der USA mit al-Nusra in Aleppo stritten. Auffällig war auch, dass sich HTS-Chef Al-Golani völlig frei sichtbar und entspannt in Idlib auf offenem Feld vor Kameras bewegte. Er befürchtet ganz offensichtlich nicht, dass man ihm ernsthaft ans Leder will.
Welche konkreten Informationen die USA über die Terror-Bedrohung hatten, die von den getöteten Dschihadisten, hauptsächlich aus Tunesien, Ägypten und Algerien, ausging, bleibt offen. Das US-Magazin Long War Journal geht davon aus, dass die Information, die beim internen Streit der Dschihadisten nach außen drang, nämlich, dass auch Ziele außerhalb von Syrien zur Debatte stehen, als operative Basis für den Angriff genügte.
Da der Angriff sehr ungewöhnlich ist, stellt sich die Frage, was genau die Botschaft lautet, die davon ausgeht und an wen sie gerichtet ist.
Klar ist nur, dass es ein Schlag ist gegen diejenigen Dschihadisten, die im internen Streit, der seit langem durch die Reihen der "Gotteskrieger" zieht, damit hervorgetan haben, dass sie eine Kooperation mit der Türkei ablehnen und sie als "haram" bewerten. Sie sind noch alte al-Qaida-Schule. Die neuere geht geschickter vor.