USA und Nato üben mit Defender-Europe 20 einen Krieg mit Russland
Nächstes Jahr wird die Verlegung einer US-Division nach Europa mit der Drehscheibe Deutschland geprobt - die größte Militärübung seit 25 Jahren. Was die Bevölkerung bei einem Kriegsfall zu erwarten hat, wird lieber nicht thematisiert
Nach dem Nato-Treffen in Brüssel geben sich Ben Hodges, während der Eskalation mit Russland Kommandeur der US Army Europe (2014-2017), und Bradley Bowman von der neokonservativen Foundation for Defense of Democracies in einem Kommentar betont optimistisch und feiern die Nato - wie diese sich selbst in ihrer gemeinsamen Erklärung - ausgerechnet als Wertegemeinschaft: "Die Nato ist grundsätzlich eine Allianz freier Nationen, um demokratische Prinzipien gegen autoritäre Gegner zu verteidigen." Mit keinem Wort wird dabei natürlich auf das Nato-Mitglied Türkei eingegangen, kraft Definition sind die autoritären Staaten ja keine Mitgliedsstaaten.
Klar ist auch, dass das Böse der Wertegemeinschaft, gegründet auf "Prinzipien der Demokratie, der individuellen Freiheit und der Herrschaft des Rechts" rein defensiv sein soll, Angriffskriege, Bruch des Völkerrechts, Verschleppungen, Folter und Guantanamo, "gezielte Tötungen" mit Drohnen und Spezialeinheiten, Zerstörung ganzer Städte oder Unterstützung repressiver Regime gibt es nicht. Die transatlantische Verteidigungsallianz verteidigt sich am Hindukusch, im Nahen Osten oder in Afrika, aber auch im Cyberspace, im Weltraum wird nun auch verteidigt. Dafür sind die die Feinde klar: Russland, dazu wurde nun auch China genommen, hier soll die Nato auch in den Wirtschaftskrieg einsteigen und chinesische Technik etwa von Huawei abwehren. Wer das nicht mache, werde vom Informationsfluss der US-Geheimdienste abgeschnitten.
Durch den Artikel 5, erstmals wegen der 9/11-Terrorangriffe angewandt, um die USA gegen al-Qaida mit einer Invasion in Afghanistan zu verteidigen, habe die Nato seit 70 Jahren "russische militärische Aggression abgeschreckt", schreiben die beiden Autoren. Dabei erwecken sie den Eindruck, dass die Sowjetunion und später Russland nur darauf gewartet haben, endlich Richtung Westen loszumarschieren.
Die USA seien auch weit davon entfernt, sich von der Nato bzw. dem "transatlantischen Band zwischen Europa und Nordamerika" zurückzuziehen. Schließlich habe auch Donald Trump die gemeinsame Erklärung unterschrieben. Senat und Repräsentantenhaus hätten mit großer Mehrheit sowieso ein Verbot für einen Rückzug der USA ausgesprochen. Nach einer Umfrage hätten 62 Prozent der US-Bürger eine positive Einschätzung der Nato. Und schließlich seien 64.000 US-Soldaten in Europa stationiert, davon 35.000 alleine in Deutschland.
Besonders wird darauf verwiesen, dass nächstes Jahr die US-Streitkräfte mit einigen Nato-Ländern mit Defender-Europe 20 die "größte Verlegung von in den USA stationierten Truppen nach Europa für eine Übung seit 25 Jahren" ausführen werden. Die Größe wird immer wieder betont, als ob es darum ginge, endlich wieder in die militärischen Dimensionen des Kalten Kriegs zurückzukehren.
Defender-Europe: Krieg gegen einen gleich starken Gegner
Angekündigt wird die Teilnahme von 20.000 Soldaten aus den USA, also eine Division, sowie 9.000 in Europa stationierte Soldaten. Insgesamt sollten es 37.000 Soldaten sein, davon 8.000 aus den europäischen Ländern. Mit der Nationalgarde, die nach einer Meldung vom 4. Dezember mit 7.000 Männern und Frauen mitmachen, dürften es dann 44.000 Soldaten werden.
Material werde aus vier US-Bundesstaaten in acht europäische Länder verfrachtet und dann zu verschiedenen Stützpunkten multinationaler Verbände an Übungsorten gebracht. Umschlagpunkte sind u.a. Antwerpen (Belgien), Vlissingen (Niederlande), Bremerhaven und Paldiski (Estland). Auch aus den Army-Lagern in Belgien, Deutschland und den Niederlanden wird Gerät eingesetzt und über Tausende von Kilometer weiter mit der Bahn und auf der Straße transportiert, was dann alle monatelang mitkriegen werden. Das erfordere den Einsatz von "zehntausenden Soldaten und Zivilisten" in den Ländern, die Bundeswehr beteuert stolz: Deutschland sei die "zentrale logistische Drehscheibe". Während der Übung im April und Mai 2020 werden auch andere jährliche Übungen wie Saber Strike 20, Dynamic Front 20 und 5 weitere stattfinden. Auch Georgien soll in die Übung mit einbezogen werden.
Ziel der US-Truppen sei es, einsatzbereit zu sein, "um gegen jeden nahezu gleichwertigen Gegner in einem gemeinsamen, auf unterschiedlichen Schlachtfeldern stattfindenden Konflikt hoher Intensität verlegt zu werden, zu kämpfen und eindeutig zu gewinnen". Übungen werden u.a. in Belgien, den Niederlande, natürlich in Deutschland als Drehscheibe und Hauptstützpunkt, Polen und in den baltischen sowie den nordischen Staaten stattfinden. Beteiligt sein sollen insgesamt 18 Nato-Staaten.
Die Bundeswehr sagt dazu: "Mit der Übung geben die USA ein deutliches Bekenntnis zur Sicherheit Europas und gleichzeitig zeigt die Übung auch, dass europäische Partner gemeinsame Vorhaben verlässlich unterstützen und umsetzen." Bislang habe man nur die Verlegung bzw. die Rotation einer Brigade geübt, jetzt dürfen die europäischen Streitkräfte und Deutschland als "Host Nation" die Verlegung einer fünfmal so großen Division unterstützen. Dabei kann man immer fragen, ob die USA Europa schützen oder als Basis sichern wollen, wozu die "russische Aggression" beschworen werden muss.
Getestet werden sollen alle Systeme, die mit einer "strategischen Verstärkung" oder der Verlegung größerer Kampfeinheiten verbunden sind, um eine "kollektive Verteidigung" mit den alliierten Streitkräften und der europäischen Logistik, Infrastruktur und Interoperabilität zu ermöglichen. Es geht um die Gewährleistung der "militärischen Mobilität", die faktisch, nicht nur simuliert erprobt werden soll.
In Zukunft sollen Defender-Übungen jedes Jahr stattfinden, einmal mit Schwerpunkt in Europa gegen Russland und einmal mit Schwerpunkt im pazifischen Raum gegen China. Da soll auch die Nato, transatlantisch hin oder her, eine größere Rolle spielen. Geprobt werden auch neue Militärtechniken und KI-Anwendungen für viele Zwecke, beispielsweise zum Durchforsten von Bildern, um Panzer zu entdecken, oder um Drohnen abzuschießen oder Artilleriebeschuss zu koordinieren.
Kriegsspiele: Aber was ist mit der Bevölkerung?
Fest steht, das wird ein wahrer Klimaevent, den Klima-Fußabdruck wird die Nato wohl nicht erfassen, wäre aber äußerst interessant. Schließlich bleiben die Emissionen, die von den Streitkräften verursacht werden, gerne unbeachtet. Auch die Umwelt- und Klimafolgen von militärischen Interventionen wie in Afghanistan, Libyen, Syrien oder im Irak werden kaum erörtert. Da werden für die gute Sache und die nationale Sicherheit Menschen getötet, Gebäude und Infrastruktur sowie die Umwelt zerstört.
Interessant ist aber auch, dass man sich zwar auf einen Krieg mit einem fast gleichwertigen Gegner vorbereitet, der zudem wie Russland auch über Atomwaffen verfügt, aber es offensichtlich in der militärischen Planung nur um die schnelle Truppenverlegung an die Front geht, aber kein Gedanke daran verschwendet wird, was die Folgen eines solchen Konflikts wären, der jedenfalls verheerende Schäden und große Verluste für die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten mit sich bringen würde. Wie schützt man die Bevölkerung? Müssen nun wieder Bunker gebaut und Luftschutzmaßnahmen getroffen werden? Müssten zu solchen Übungen nicht auch die Menschen aufgeklärt werden, was auf sie zukäme, wenn die Nato mit solchen Kriegsspielen die Situation eskaliert und die Gefahr für einen wirklichen Kriegsausbruch erhöht? Nun müssen vielleicht die Militärs nicht davon sprechen, aber die Regierungen - die Bundesregierung oder unsere Verteidigungsminister AKK - sollten nicht bloß davon schwafeln, die Rüstungsausgaben zu erhöhen, um mehr "Verantwortung" zu übernehmen, wie man heute Hochrüsten und Militäreinsätze moralisierend umschreibt.
Schon allein, um die Waffenexporte zu steigern, ist es gut, Konflikte zu verschärfen und Ängste zu schüren. Das funktioniert, wie der gerade veröffentlichte Sipri-Bericht zeigt. Für 420 Milliarden US-Dollar wurden 2018 Waffen exportiert, 4,6 Prozent mehr als ein Jahr zuvor - aber 47 Prozent mehr als 2002! Die 9/11-Anschläge waren mit Afghanistan- und Irak-Krieg also Brandbeschleuniger, die vor allem den amerikanischen Rüstungskonzerne Profite einspielten.
Erfasst wurden nur die Verkäufe der 100 größten Rüstungskonzerne, China blieb ausgeschlossen. Die wirklichen Verkäufe sind also wahrscheinlich deutlich höher. Die US-Rüstungskonzerne erzielten einen Anteil von 59 Prozent an allen Waffenverkäufen, 7,2 Prozent mehr als 2017. Die fünf größten Rüstungskonzerne befinde sich in den USA. Weit dahinter kommen die russischen Rüstungskonzerne mit einem Anteil von 8,6 Prozent, was weniger als 2017 war, obgleich Russland auch stark auf Rüstungsexporte setzt. An dritter und vierter Stelle kommen britische und französische Rüstungsunternehmen, deutsche an fünfter Stelle. Die Exporte deutscher und britischer Rüstungskonzerne sind zurückgegangen.