Über den Umgang mit Versuchstieren
Die EU berät über eine Neufassung der Richtlinie zu Tierversuchen, vermutlich wird sich wenig ändern
Der Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung des EU-Parlaments hat am Dienstag über eine Neufassung der Richtlinie 86/609/EEC beraten. Diese Richtlinie von 1986 setzt Rahmenbedingungen für den Umgang mit Versuchstieren, die von den EU-Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen. In der Neufassung sollten strenge Vorschriften zum Tierschutz eingebracht werden.
Vorgesehen ist ein Verbot zur Forschung an Schimpansen, Gorillas, Orang-Utans und Bonobo-Affen. Wirbellose Tiere, Larven und Embryos sollten besser geschützt, genauere Vorgaben zu einer artgerechten Haltung gemacht werden. Wichtig ist auch die Einbindung der allgemein akzeptierten drei R: Reduction, Refinement and Replacement. Also die Verminderung der Anzahl von Versuchen, die bessere Durchführung von diesen, beispielsweise durch die Gabe von Schmerzmitteln und Narkotika an die Tiere, und schließlich die Ersetzung der Tierversuche durch andere geeignete Verfahren.
In der Sitzung des Landwirtschaftsausschusses wurde letzte Woche über viele zusätzliche Eingaben beraten. Hauptsächlich wurden dabei nach der Devise, Tierversuche zu reduzieren, aber die Forschung nicht einzuschränken, einige Vorschläge wieder aufgeweicht. Der Schutz von Embryos entfällt zum Beispiel ganz aus dem Papier. Es wird auch kein Forschungsverbot an Primaten oder Hunden und Katzen geben. Auch in der Wildnis gefangene Tiere dürfen weiterhin verwendet werden, allerdings nur wenn sie aus einer überlebensfähigen Kolonie stammen.
Die Forschungsorganisationen befürchten noch immer zu weit gehende Einschnitte, welche zu einem Stillstand biomedizinischer Wissenschaft führen könnten. Tierschützern fürchten hingegen, dass auf den Druck der Biomedizinlobby die Richtlinie in entscheidenden Punkten aufgeweicht wird, was ja auch schon im Ausschuss passiert ist.
Neu ist dieser Konflikt keineswegs. Schon seit Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es die Tierschutzbewegung, die sich für einen humanen Umgang mit Tieren einsetzt, damals inspiriert von grausamen Vivisektionen. Noch heute werden in der EU extrem viele Tierexperimente durchgeführt, vor allem an Mäusen. Laut dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz wurden 2007 allein in Deutschland 2,6 Mio. Wirbeltiere, davon über 1,5 Mio. Mäuse, verwendet.
Erste Tierschutzgesetze wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts erlassen, mit England in der Vorreiterrolle. Das erste deutsche Gesetz führten1933 ausgerechnet die Nazis ein. Es verbot das absichtliche grausame Quälen von Tieren und Vivisektionen komplett - im krassen Gegensatz zu den Menschenversuchen im Dritten Reich. Nach dem Krieg wurden diese Vorschriften zum Teil übernommen und 1972 ein neues Tierschutzgesetz geschaffen, das seit dem immer weiter verschärft wurde. Wissenschaftler waren naturgemäß dagegen, in ihren Forschungen eingeschränkt zu werden, und argumentierten, dass solche Experimente für die Grundlagenforschung und somit das Fortschreiten der Medizin unumgänglich seien.
Auch was die Revision der Richtlinie 86/609/EEC betrifft, wird von beiden Seiten natürlich massive Lobbyarbeit geleistet. Britische Biowissenschaftler unterzeichneten eine Stellungnahme, in der sie den Versuch, die 3 R (s.o.) einzubinden, begrüßen,
… aber wir bleiben zutiefst besorgt, dass Bestandteile dieses Entwurfs möglicherweise ungünstige Auswirkungen auf die biowissenschaftliche Forschung, auf den medizinischen und wissenschaftlichen Fortschritt und auf die wissenschaftliche und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Vereinigten Königreichs und Europa haben könnten.
In Deutschland unterzeichnete die Nationale Akademie der Wissenschaften eine ähnliche Stellungnahme. Besonderer Punkt des Anstoßes ist die Ausweitung auf Embryos und Nichtwirbeltiere, deren Leidensempfinden noch nicht nachgewiesen ist. Das bringe nur zusätzliche Bürokratie und keinen Nutzen für das Wohlergehen der Tiere. Auch sei ein Forschungsstopp an Affen ein großer Rückschlag für die Gehirn- und Immunsystemerforschung und könnte sogar Probleme bei der Impfstoffbereitstellung hervorrufen. Denn die Forschung an Nichtmenschenaffen soll nur noch zur Erforschung von lebensbedrohlichen Krankheiten erlaubt sein. Alternativen zu Tierversuchen sind nicht immer einfach, da man an isolierten Zellverbänden keine Auswirkungen auf den gesamten Organismus feststellen kann.
Die Tierschutzorganisationen fordern vor allem klarere Formulierungen und eine Ausweitung der Versuchsverbote auch für andere Tiere. Außerdem sollen auch Nicht-Wirbeltiere mehr unter den Schutz von Gesetzen stehen. Sie fürchten, dass die Richtlinie zu einer bloßen politischen Willensbekundung ohne große praktische Folgen wird, und hoffen, weitere Restriktionen einbringen zu können. Die Aussagekraft von Versuchen mit Tieren wird auch in Frage gestellt, was teilweise durch eine kürzlich in Nature Methods veröffentlichen Studie (Environmental standardization: cure or cause of poor reproducibility in animal experiments?) bestätigt wird. Darin wird behauptet, dass die standardisierte Durchführung von Versuchen zu verwässerten Ergebnissen führt.
Auch die sogenannten Lebensschützer melden sich zu Wort, und sehen sich darin bestätigt, dass selbst Tiere schon mehr wert als ungeborenes menschliches Leben seien. Eine Alternative für Tierversuche sind nämlich Experimente an Stammzellen:
Tiere sollten niemals brutal gequält werden, aber vorzuschlagen, dass menschliche Embryos stattdessen für die Forschung verwendet werden sollen, ist äußerst verwerflich.
Es kann noch etwas dauern, bis die Richtlinie in Kraft tritt. Es ist zwar kaum zu erwarten, dass die Forschung dadurch deutlich erschwert wird, denn viele Versuche werden weiterhin möglich sein. Außerdem wurden die Vorschläge, die eine deutliche Änderung bewirken dürfen, bereits im Landwirtschaftsausschuss aus dem Protokoll gestrichen. Die Diskussion um Tierrechte ist in diesem Punkt ethisch recht schwierig, da man das momentane Wohlergehen von Tieren gegen den potenziellen Nutzen im Kampf gegen Krankheiten aufwiegen muss. Nicht vergessen werden darf, wie auch aus den Stellungnahmen der Wissenschaftlicher ersichtlich ist, der wirtschaftliche Gesichtspunkt. Denn die mittlerweile aus allen Bereichen bekannten Argumente von der drohenden Abwanderung ins Ausland und dem Verlust von Arbeitsplätzen werden auch in der Argumentation mancher Tierversuchsbefürworter hervorgehoben. Allerdings erfüllen Tierversuche auch in der nicht wirtschaftlich orientierten biowissenschaftlichen Grundlagenforschung eine zentrale Rolle.