Über die militärische Involvierung Russlands im Ukraine-Konflikt gibt es keine belastbaren Fakten

Der zerstörte Flughafen Donezk. Bild: DPR

Der Wissenschaftliche Dienst spricht von wenigen belastbaren Fakten und Analysen und vor allem von zahlreiche Spekulationen, was indirekt Behauptungen von Regierungen, EU und Nato, aber auch von Medien kritisiert

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Ein Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zur "russischen Einflussnahme im Donbass-Krieg", der am 9. Dezember vorgelegt wurde, hat bislang wenig Beachtung gefunden. Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass seine Erkenntnisse nicht nur die Politik der EU und der Nato nicht stützen, sondern auch medienkritisch sind.

Dass staatliche russische Medien wie RT oder Sputnik hingegen über den Bericht mit dem Titel "Intervention in Bürgerkriegsgebieten: Zur Rolle Russlands im Ost-Ukraine-Konflikt" berichten, liegt auf der Hand. Sputnik stellt dies so heraus:

Seit Beginn des Ukrainekonflikts wird von westlichen Medien und Politikern behauptet, dass russische Truppen in der Ostukraine kämpfen. Bewiesen wurde dies nie. Nun muss sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages eingestehen, dass keine Erkenntnisse über eine "militärische Involvierung Russlands im Ukraine-Konflikt" vorliegen.

Sputnik

Der rhetorische Kniff mit dem "sogar" soll die Bedeutung des Berichts erhöhen und suggeriert entweder, dass der Wissenschaftliche Dienst bislang auch von der Anwesenheit russischer Truppen ausgegangen sei oder nicht unabhängig arbeitet. Der Dienst schreibt:

Über Umfang, Qualität und Ausmaß der militärischen Involvierung Russlands im Ukraine-Konflikt gibt neben wenigen belastbaren Fakten und Analysen vor allem zahlreiche Spekulationen, zum Teil widersprüchliche Berichte und Pressemeldungen, verschiedene Dementi aber insgesamt kein eindeutiges Lagebild. Auch der Bundesregierung liegen nach eigenen Angaben offenbar keine belastbaren Erkenntnisse vor. Wie viel Einfluss Russland heute auf die Separatisten in der Ostukraine tatsächlich ausübt, lässt sich daher kaum verlässlich ausmachen.

Wissenschaftlicher Dienst

Auffällig ist zwar, dass der Dienst ausschließlich Medien wie Spiegel, Zeit oder Deutschlandfunk oder die Stiftung Wissenbschaft und Politik (SWP) oder die International Crisis Group zitiert, die auch von der russischen Truppenpräsenz oder von einer russischen Militäroperation in der Ostukraine am Beginn des bewaffneten Konflikts gesprochen haben. Aber er kommt dann doch zu dem Schluss, was eigentlich eine herbe Medienkritik ist, dass nichts wirklich belegt ist, sondern es sich weitgehend um Spekulationen handelt:

Die Frage, ob pro-russische Separatisten in der Donbass-Region derzeit von Moskau aus kontrolliert und gesteuert werden, oder ob sich noch reguläre russische Truppen auf ukrainischem Territorium aufhalten, lässt sich ohne belastbares Faktenmaterial - insbesondere ohne entsprechende Geheimdienstinformationen - nicht zuverlässig beantworten.

Wissenschaftlicher Dienst

Ein "interner bewaffneter Konflikt"

Der Dienst schließt die mögliche Anwesenheit russischer Soldaten oder aktive militärische Unterstützung durch Russland nicht aus, sondern weist nur darauf hin, dass es dafür keine belastbaren Beweise gibt. Zentral geht es dem Dienst aber um eine völkerrechtliche Einschätzung der russischen Einflussnahme auf die Separatisten und den Konflikt, der mangels von Beweisen für eine Intervention oder eine effektive bzw. allgemeine Steuerung der Separatisten als ein "nicht-internationaler (interner) bewaffneter Konflikt" bezeichnet wird. Von einer Intervention könne man bei einer bloßen Finanzierung oder Ausrüstung kämpfender Gruppen noch nicht sprechen

Die nach dem Putsch an die Macht gelangte ukrainische Regierung hat von Beginn an hingegen alles gemacht, um den Konflikt als internationalen darzustellen, weswegen die Separatisten als von Russland militärisch unterstützte Terroristen dargestellt wurden, gegen die mit Panzern und Kampfflugzeugen vorgegangen werden muss. Kiew erlaubte auch die Aufstellung von Milizen oder nichtstaatlichen Kämpfern, die erst nach einiger Zeit dem Innenministerium unterstellt wurden. Dass der Dienst nicht auf den Abschuss der MH17 eingeht, kann erstaunen, schließlich kam das Gemeinsame Ermittlungsteam (JIT) zu dem Schluss, dass russisches Militär aus Russland ein Buk-System in die Ostukraine gebracht und wieder zurückgeholt hat, es möglicherweise auch von russischen Soldaten bedient wurde. Aber die Beweislage ist auch hier dünn. An das Thema wollte man sich wohl nicht hinwagen.

Ob die Masseneinbürgerung ukrainischer Bürger, die seit letztem Jahr durch ein vereinfachtes Verfahren einen russischen Pass erhalten können, das völkerrechtliche Interventionsverbot verletzt, sei hoch umstritten, aber nach dem Dienst wäre dies eine Intervention nur dann, wenn die Einbürgerung einen "Zwangscharakter" habe. Was die wirtschaftliche Unterstützung betrifft, sagt der Dienst, was dann wohl nicht wirklich als Bestandteil der hybriden Kriegsführung bezeichnet werden kann:

Moskau leistet wirtschaftliche und humanitäre Hilfe und Unterstützung beim Aufbau der Staatlichkeit in den von pro-russischen Separatisten kontrollierten aber international nicht anerkannten "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk, die infolge einer ukrainischen Handelsblockade vollständig darauf angewiesen sind, Rohstoffe aus Russland zu beziehen und eigene Produkte dorthin zu liefern.

Wissenschaftlicher Dienst

Skeptisch sieht der Dienst offenbar auch die von der Ukraine vor dem Internationalen Gerichtshof angestrebte gerichtliche Klärung der Frage, ob Russland mit der Unterstützung der Separatisten einen illegalen Stellvertreterkrieg führt, bei dem diese terroristische Akte begehen. Der Gerichtshof habe als vorsorgliche Maßnahme 2017 zwar Russland aufgefordert, jede Diskriminierung von Minderheiten auf der Krim einzustellen, aber es kam zu dem Schluss, dass die Ukraine keine ausreichenden Beweise vorgelegt habe, dass Russland auf staatlicher Ebene Terrorismus finanziert. Der Ausgang des Hauptsacheverfahren werde "allgemein als ungewisse eingeschätzt" (Schlappe für Kiew vor dem Internationalen Gerichtshof).

Was der Wissenschaftliche Dienst mit seinem Sachstand der Regierung ermöglicht, sind offenere Verhandlungen für eine friedliche Lösung des internen Konflikts, zumal auch die neue ukrainische Regierung bei allen Schwierigkeiten mit den Nationalisten darauf setzt.