Überfall in Berlin: Exilierte und Verfolger
In der deutschen Hauptstadt wurde ein aus der Türkei geflohener Journalist überfallen, den der türkische Innenminister zuvor persönlich in einem Tweet beschimpft haben soll
Erk Acarer lebt seit April 2017 in Berlin, weil er als regierungskritischer Journalist in der Türkei nicht mehr gefahrlos arbeiten konnte - zu seinen Schwerpunktthemen gehörten die Verbindungen staatlicher Akteure zur Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) und die Verharmlosung sexualisierter Gewalt gegen Kinder durch die Religionsbehörde Diyanet. In Deutschland setzte Acarer seine Arbeit fort - und sie zog laut einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur ANF solche Kreise, dass er im April in einem Tweet des zornigen türkischen Innenministers Süleyman Soylu direkt als Clown und als Trottel beschimpft wurde.
Am gestrigen Mittwochabend wurde Acarer dann in der deutschen Hauptstadt überfallen und verletzt: "Ich wurde in meinem Haus in Berlin mit Messern und Fäusten angegriffen. Ich bin nicht in Lebensgefahr. Wir gehen jetzt ins Krankenhaus. Ich weiß, wer die Täter sind", schrieb er auf Twitter. Er werde sich dem Faschismus nie ergeben.
Gegenüber der Tageszeitung BirGün, für die er selbst schon vor seiner Flucht gearbeitet hatte, sprach Acarer eine Stunde nach dem Überfall von drei Männern mit Pistolen und Messern, die ihn getreten und geschlagen hätten:
Sie fingen an, mich zu schlagen, bevor ich überhaupt wusste, was los war. Sie drohten, Schlimmeres zu tun, wenn ich weiter über die Familie und die Werte der Nation schreiben würde. Im Moment bin ich im Krankenhaus. Die Polizei ist hier und nimmt meine Aussage auf. Ich habe ihnen das ebenfalls erzählt. Ich habe eine große Beule auf der rechten Seite meines Kopfes. Wer die Angreifer sind, ist klar. Es sind diejenigen, die von dem, was ich schreibe, beunruhigt sind. Ich schwebe nicht in Lebensgefahr und kenne die Täter. Keine Sorge, diese Tage werden vergehen.
(Erk Acarer)
Gegenüber dem Sender Tele1 berichtete Acarer, dass die Täter während der Attacke geschrien hätten: "Du wirst nicht mehr schreiben". Aufgrund des Lärms seien die Nachbarn gekommen, daraufhin seien die Täter geflohen. Mittlerweile stehe er unter Polizeischutz.
In einem Video stellte Acarer am frühen Donnerstagmorgen eine direkte Verbindung zur türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan und ihrem Juniorpartner, der ultranationalistischen MHP her. Die drei Angreifer rechnete der dem islamistischen und faschistischen Lager zu - sie seien AKP- und MHP-Unterstützer.
In diesem Fall dürften die Täter Spuren hinterlassen haben. Türkisch- und kurdischstämmige Medienschaffende, Aktivisten und Politikerinnen, die Morddrohungen türkischer Nationalisten per E-Mail oder als Privatnachricht auf Facebook erhalten, müssen sich häufig damit abfinden, dass Ermittlungen eingestellt werden. Der Münchner Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger erhielt erst dieses Woche eine entsprechende Mitteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg, die in diesem Fall ermittelt hatte, weil auch die dortige Bürgerschaftsabgeordnete Cansu Özdemir (Die Linke) betroffen war. Drohungen gegen sie konnten offenbar demselben Täterkreis zugeordnet, werden dieser war aber laut Staatsanwaltschaft nicht zu ermitteln.
Laut Schamberger waren die Drohungen zum Teil mit Fotos von vermutlich echten Schusswaffen unterstrichen worden, zum Teil mit Fotos verstümmelter Leichen von kurdischen Guerillakämpfern, wie sie türkische Soldaten immer wieder in den umkämpften Gebieten im Südosten des Landes aufnehmen.