Überwachung willkommen
Dreiviertel der Schweizer Bevölkerung wollen vermehrt überwacht werden
Obwohl sich Herr und Frau Schweizer nach dem "schwarzen Herbst" gleich sicher fühlen wie zuvor, fordern sie eine intensivere Überwachung des öffentlichen Raums. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage. Die Forderung stößt bei den verschiedensten öffentlichen und privaten Stellen auf offene Ohren.
Eine Umfrage, die Mitte Dezember im Auftrag des Zürcher Tages-Anzeigers durchgeführt wurde, zeigt ein zwiespältiges Bild. Einerseits fühlt sich eine Mehrheit der rund 900 befragten Personen nach dem "schwarzen Herbst" (11. September, Brand im Gotthard Tunnel, Amoklauf im Zuger Kantonsparlament, Grounding der Swissair) gleich sicher wie zuvor, trotzdem befürwortet eine deutliche Mehrheit der Befragten schärfere Sicherheitsmaßnahmen. So halten etwa knapp Dreiviertel mehr Überwachungskameras in Flughäfen, Bahnhöfen oder öffentlichen Plätzen für ein adäquates Mittel, um mehr Sicherheit zu erreichen.
Knapp die Hälfte hält die polizeiliche Registrierung bestimmter Bevölkerungsgruppen für angemessen. 54 Prozent wollen, dass auch das Internet stärker kontrolliert wird. Sogar die Banken sollen nach mehr als 60 Prozent schärfer überwacht werden. Die Befürchtung, wonach staatliche Überwachung zunehmen könnte, ist konsequenterweise bei knapp der Hälfte der Befragten kein Grund zur Besorgnis. Gleich verhält es sich bei der Frage nach einer Einschränkung der persönlichen Freiheit.
Die Resultate dieser Umfrage können für die Betreiber von (Kamera)Überwachungsprojekten als Bestätigung und Anreiz für die Intensivierung ihrer Vorhaben gelesen werden. Einer dieser gegenwärtig aktiven Akteure sind die Schweizerischen Bundesbahnen SBB. Seit April 2001 betreiben die SBB auf der Strecke Genf-Lausanne einen Pilotversuch mit kameraüberwachten Zügen. Im Wageninneren zeichnen 24 Kameras pro Sekunde 12 Bilder auf, die Frequenz kann aufs Doppelte erhöht werden, wenn ein Fahrgast einen Alarm auslöst. Zu sehen kriegt die Videobilder der Lokführer, der bei Bedarf das Personal auf dem nächst gelegenen Bahnhof anfordern oder den Zug stoppen kann. Gespeichert werden die Filme für 24 Stunden und dann überschrieben. Wenn die Bänder irgendwelche Sachbeschädigungen dokumentieren, darf die Bahnpolizei darauf zugreifen.
Glaubt man den SBB, dann hat diese Überwachungsmaßnahme die beabsichtigte präventive Wirkung bereits entfaltet. Seit die Kameras installiert wurden, seien weniger Schäden fest gestellt worden, bilanziert die Bahngesellschaft. Beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten hingegen tönt es anders. Der Datenschützer würde den Einsatz von Zugbegleitern bevorzugen, da dies einem kleineren Eingriff in die Privatsphäre der Reisenden gleich käme.
Auch andernorts sind die SBB aktiv, was die Überwachung mit Kameras angeht. Aus Anlass der Expo.02 sollen ab dem kommenden Mai vier Bahnhöfe mit Überwachungskameras ausgestattet werden, die sich im Einzugsgebiet der Landesausstellung befinden. Auch hier teilen die Bundesbahnen mit, dass datenschützerisch keine Bedenken bestehen. Zusammen mit den Kameras soll ein Überwachungskonzept für die vier Expo-Bahnhöfe ausgearbeitet werden.
Der öffentliche Verkehr ist derzeit jener Bereich, der am intensivsten mit Kameras vor Vandalismus und anderen missliebigen Zivilisationserscheinungen geschützt wird. Im Bahnhof von Zürich etwa überwachen knapp 90 Linsen den Personenfluss. Nachdem der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür die Anlage inspiziert hatte, stellte er eine gewisse Problematik im Zusammenhang mit der Information der von der Überwachung Betroffenen fest und unterstrich die Forderung nach unbedingter Löschung der Videobänder nach 24 Stunden.
Auch der Luftverkehr bleibt von den neuen Überwachungstechnologien nicht verschont. Auf dem Flughafen von Zürich-Kloten wird ein Projekt evaluiert, bei dem sämtliche Fluggäste einer Video-Gesichtskontrolle unterzogen werden, um illegal Einreisende zu identifizieren. In den vergangenen Jahren waren dies gerade mal 160 Fälle - bei einem Passagieraufkommen von 22 Millionen.
Nach vorsichtigen Schätzungen sind in der Schweiz gegenwärtig rund 40.000 Videokameras zu Überwachungszwecken installiert, dies entspricht einer Kamera pro 175 Einwohner. Dass die Bereitschaft, sich im öffentlichen Raum ablichten zu lassen, bei Herr und Frau Schweizer groß ist, zeigt auch das Kunstprojekt foto.bot. An rund 30 Standorten kann man sich mit einem Porträtroboter "ins Internet fotografieren"; über 200.000 Mal hat es bereits Klick gemacht. Auf der Website des Expo.02-Projekts Cyberhelvetia sind die Aufnahmen mit einer geringen Zeitverzögerung zugänglich und bleiben für die Dauer des Projekts archiviert.
Die Furcht vor einem Orwellschen Big Brother ist hierzulande kaum ausgeprägt, vielmehr scheint die helvetische Linsengeilheit und Überwachungsfreudigkeit in die Vision von Huxleys Brave New World zu passen. Oder um es mit den Worten von Neil Postman zu sagen: "Er (Huxley) rechnete mit der Möglichkeit, dass die Menschen anfangen, ihre Unterdrückung zu lieben und die Technologien anzubeten, die ihre Denkfähigkeit zunichte machen."