Ukraine: Die Menschen trauen weder dem Präsidenten noch dem Parlament

Seite 2: Vertrauen in die politische Klasse geht gegen Null

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Symbolisch für die Stimmung könnte die Kehrtwende von Nadja Sawtschenko sein. Die einst zur Heldin verklärte Kampfpilotin, die in russischer Gefangenschaft saß, dort einen Hungerstreik inszenierte, in Abwesenheit in das ukrainische Parlament gewählt wurde und im Mai des letzten Jahres mit einem Gefangenenaustausch freikam, hat sich von der Regierung abgewandt. Im Dezember hatte sie den Tabubruch vollzogen und die Chefs der "Volksrepubliken" besucht, seitdem tritt sie entschlossen dafür ein, den Krieg zu beenden, wurde aber aus der Fraktion der Vaterlandspartei ausgeschlossen (Ukrainische Helden-Ikone wird moskaukonform?).

Sie hat Ende Dezember die politische Bewegung RUNA gegründet, verfolgt weiter das Projekt des Gefangenenaustausches und hat sich kürzlich wieder unbeliebt mit der Äußerung gemacht, dass die einzig mögliche friedliche Lösung des Konflikts in der Ostukraine wäre, den Anspruch auf die Krim zumindest für eine Zeit nicht zu erheben, um so die Kontrolle über den Donbass zu erhalten.

Umfragen haben immer wieder deutlich gemacht, dass Poroschenko und die Regierungsparteien bei einer Wahl wohl kaum mehr eine Chance haben würden (Über 70 Prozent der Menschen sind mit der Poroschenko-Regierung unzufrieden). Auch in der neuesten, im Dezember 2016 durchgeführten Umfrage des Kiewer Internationalen Institut für Soziologie (KIIS), zeigt sich das Misstrauen der Menschen in die politische Klasse.

Poroschenko sprechen 13,7 Prozent Vertrauen aus, 69 Prozent vertrauen ihm nicht. Seinem Kabinett schenken 72,8 Prozent kein Vertrauen. Noch negativer ist die Einstellung gegenüber dem gesamten Parlament, dem 82 Prozent kein Vertrauen entgegenbringen. Es gibt zwar Unterschiede im Land, so ist das Misstrauen gegenüber der Regierung im Osten und im Süden höher als im Westen und in der Mitte, während die Opposition dort besser abschneidet, aber selbst im Westen sprechen sich 62 Prozent gegen Poroschenko und im Osten 52 Prozent gegen die Opposition aus.

Auch die ukrainischen Medien stehen nicht hoch im Ansehen, 26,1 Prozent vertrauen ihnen, 43,3 Prozent nicht. Das Misstrauen ist gegenüber 2015 gewachsen. Auch hier gibt es den West-Ost-Unterschied, der aber noch deutlicher ist. Im Westen trauen den ukrainischen Medien 39 Prozent, im Osten gerade einmal 10 Prozent. Das dürfte allerdings wenig mit der behaupteten "Gehirnwäsche" durch russische Medien zu tun haben, denn denen wird landesweit nicht getraut, im Süden mit 4,2 Prozent noch ein bisschen mehr, in Osten sind es auch nur 2,4 Prozent, genauso wie das landesweite Ergebnis. Allerdings ist das Misstrauen in das ukrainische Parlament höher als das in russische Medien, und die Regierung kommt auch nicht viel besser weg.

Dass die Kirche das höchste Vertrauen genießt, ist wenig verwunderlich, ebenso wenig ehrenamtlich Tätige. An dritter Stelle kommen die Streitkräfte, denen 53 Prozent landesweit vertrauen, mehr als 2015. Interessant ist, dass ihnen im Westen 65,2 Prozent vertrauen, im Osten, wo gekämpft wird, aber nur 30 Prozent. Das Vertrauen in die Polizei ist landesweit niedrig, im Osten gleichfalls am niedrigsten, wo über die Hälfte der Menschen misstrauisch ist. Hier dürften entsprechende Erfahrungen mit Militärs und Polizei eine Rolle spielen.