Ukraine-Krieg: Die Renaissance des Überraschungsangriffs und Putins Blindspot

Seite 2: "Fenster der Blindheit" der russischen Aufklärung – Analyse und Folgerungen

Die ukrainische Offensive bei Kursk offenbart zwei bemerkenswerte militärische Entwicklungen, die besondere Aufmerksamkeit verdienen.

Erstens: Die Renaissance des Überraschungsangriffs. In einer Zeit, in der Gefechtsfelder durch ständige Drohnen- und Satellitenüberwachung als hochgradig transparent gelten, ist es der ukrainischen Führung gelungen, beträchtliche Truppenkontingente in Brigadestärke unbemerkt zu konzentrieren und einzusetzen. Diese Fähigkeit galt in modernen Konflikten als nahezu unmöglich.

Der Schlüssel zu diesem Erfolg scheint in einer gezielten und offenbar effektiven Kampagne zur Neutralisierung russischer Aufklärungsdrohnen, insbesondere der Typen Orlan und Supercam, zu liegen. Diese Operation hat anscheinend ein entscheidendes "Fenster der Blindheit" in der russischen Aufklärung geschaffen, das die Ukraine geschickt zu nutzen wusste.

Dieser Aspekt unterstreicht die anhaltende Bedeutung der elektronischen Kriegsführung und der Fähigkeit, gegnerische Aufklärungssysteme auszuschalten. Es zeigt auch, dass selbst in Zeiten fortschrittlichster Überwachungstechnologien taktische Überraschungen noch möglich sind, wenn die richtigen Vorbereitungen getroffen werden.

Diese Entwicklung könnte weitreichende Auswirkungen auf zukünftige militärische Planungen und Strategien haben, da sie die Möglichkeit großangelegter Überraschungsmanöver wieder in den Bereich des Möglichen rückt.

Zweitens: Die Renaissance der Manöverkriegsführung, charakterisiert durch rasche Vorstöße mechanisierter Verbände tief in gegnerisches Gebiet.

Diese Taktik hatte die Ukraine bereits zu Beginn ihrer gescheiterten Sommeroffensive im Vorjahr angewandt, scheiterte jedoch damals hauptsächlich an der russischen Luftüberlegenheit und ausgedehnten Minenfeldern, was zu erheblichen Verlusten an gepanzerten Fahrzeugen führte.

Als Reaktion darauf schwenkte die Ukraine auf eine Infiltrations- oder Stoßtrupptaktik um, bei der kleinere Einheiten begrenzte Frontabschnitte angreifen und bei Erfolg rasch verstärkt werden. Die russische Seite entwickelte diesen Ansatz weiter zu einer "molekularisierten" Angriffstaktik, bei der teilweise nur zwei Soldaten auf Motorrädern oder leichten Fahrzeugen ukrainische Stellungen infiltrieren, unterstützt durch Fernwaffen und Luftstreitkräfte.

Diese Methode erwies sich als äußerst effektiv, ermöglicht sie doch eine stetige, wenn auch langsame Vorwärtsbewegung bei gleichzeitiger Schonung der eigenen Kräfte. Sie zielt weniger auf schnelle Gebietsgewinne ab, sondern auf eine allmähliche Zermürbung des Gegners.

Die russische Führung hat nach den verlustreichen Anfangsphasen 2022 weitgehend auf schnelle Panzervorstöße verzichtet und setzt stattdessen auf eine eher statische Kriegsführung mit solider Flankensicherung, die ukrainische Gegenangriffe erschwert.

Es ist wichtig zu betonen, dass die oft in westlichen Medien beschriebenen "Fleischangriffe" auf russischer Seite in dieser Form nicht stattgefunden haben.

Die aktuelle ukrainische Manöverkriegsführung im Raum Kursk wäre im bisherigen Hauptkampfgebiet auf ukrainischem Territorium (in den Grenzen vor 2014) wahrscheinlich nicht möglich gewesen. Dort setzt Russland erfahrenere Truppen ein, die Minenfelder sind intakt, die Verteidigungsanlagen stärker ausgebaut und es steht mehr Artillerie zur Verfügung.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die russische Führung auf einen Angriff ukrainischer Truppen auf ihr eigenes Staatsgebiet offenbar nicht vorbereitet war.