Ukraine-Krieg: Erster Einsatz einer Gruppe von Kampfrobotern

Drohnen-Pilot steuert Kampfdrohne im Ukraine-Krieg

Ein Drohnen-Pilot bei der Steuerung einer Kampfdrohne: Die unsichtbaren Augen und Ohren auf dem Schlachtfeld im Ukraine-Krieg.

(Bild: Drop of Light / Shutterstock.com)

Neue Maßstäbe im Drohnenkrieg: Wie der Krieg in der Ukraine zum Testfeld für revolutionäre Kriegsmaschinen wird. Das hat Konsequenzen, die viel verändern.

Über 100 Jahre ist es jetzt her, als eine neue Waffe die Geschichte der Kriegsführung neu schrieb. Am 20. November 1917, um 6:15 Uhr, rollten erstmals Panzer in großer Anzahl in Richtung der deutschen Stellungen in der Nähe des Ortes Cambrai, 476 an der Zahl, die meisten davon britische Tanks des Typs Mark IV.

Ein militärhistorisches Ereignis, dessen Bedeutung für die heutige Kriegsführung nicht unterschätzt werden kann. Oder konnte?

Erster mechanisierter Angriff von Bodenkampf-Drohnen

Denn nun wurde allem Anschein nach in der vergangenen Woche wieder Geschichte geschrieben – mit dem weltweit ersten mechanisierten Angriff von mehreren Bodenkampf-Drohnen auf Positionen der Verteidiger. In diesem Fall von offenbar russischen Drohnen auf Stellungen der ukrainischen Armee.

Zumindest ist das auf dem Telegram-Kanal von Boris Rozhin (Colonel Cassad) zu sehen. Dort zeigt ein Video mindestens fünf Kampfdrohnen, die in der Nähe der Stadt Awdijiwka ukrainische Stellungen bei Berdychi angreifen.

Das auf einer Anhöhe gelegene Dorf stellt jetzt für die ukrainischen Verteidiger einen wichtigen, befestigten Bereich der ersten Verteidigungsstellung, nachdem das Bollwerk Awdijiwka gefallen ist.

Russische Streitkräfte versuchen seit Wochen, das Dorf einzunehmen.

Die eingesetzten Bodenkampf-Drohnen sind unbekannter Herkunft. Der Militäranayst Samuel Bendett, der als gut informiert und vernetzt gilt, teilt auf seinem X-Account mit, dass es sich um eine Eigenenwicklung russischer Freiwilliger gehandelt haben soll:

Diese unbemannten Landfahrzeuge scheinen eine Eigenentwicklung der russischen Freiwilligen Boris Rozhin und Chinghis Dambiev (auch bekannt als Colonel Cassad und Dambiev auf Telegram) zu sein und werden bei Angriffs- und Unterstützungsoperationen eingesetzt.

Samuel Bendett

Falls das stimmt, so zeigt das interessante, disruptive Strukturen innerhalb der russischen Streitkräfte auf, die neue Technologie agil und schnell implementieren und ohne bürokratische Hürden an die Front bringen. So wird das Schlachtfeld gewissermaßen zu einem riesigen Feldlabor für neue wehrtechnische Entwicklungen, vorbei an großen Rüstungsfirmen, behördlichen Vorschriften oder politischen Entscheidungsträgern.

Ausprobiert wird, was Wirkung verspricht: Die militärtechnische Evolution erfährt hier eine Beschleunigung, wie sie nur in einem großen Krieg möglich ist. Dasselbe gilt auch für die ukrainischen Streitkräfte.

Selbstfahrlafette, modernisiert

Die hier eingesetzte Bodenkampf-Drohne dürfte nach Schätzungen von Forbes etwa 1,5 Meter lang gewesen sein.

Es handelt sich um eine Selbstfahrlafette mit einer AGS-17 Maschinenkanone vom Kaliber 30 Millimeter. Die Wanne der Selbstfahrlafette weist einen Kettenantrieb auf, das vergleichsweise kleine Fahrzeug dient als Fahrzeugplattform für die aufmontierte Maschinenkanone.

Diese AGS-17 ist seit 1970 im Einsatz, kann bis zu 400 Granaten pro Minute verschießen und wird vornehmlich für Infanterie-Unterstützung eingesetzt. Es ist die geeignete Waffe, um gegnerische Truppen bei eigenen Vorstößen niederzuhalten.

Noch kein besonders großer Erfolg

Über den Erfolg der Angriffs-Operation kann nur spekuliert werden, wahrscheinlich war er nicht besonders groß. Das lässt sich daraus schließen, dass keine Videos des eigentlichen Angriffs bekannt sind, sondern lediglich ein Video der ukrainischen Streitkräfte zirkuliert, dass den Angriff von ukrainischen FPV-Drohnen gegen zwei der augenscheinlich immobilisierten Bodenkampf-Drohnen zeigt.

Auf dem Video kann man auch den einfachen Aufbau der Drohnen sehen. Die Fahrzeugwanne könnte einen rudimentären Schutz aufweisen, das Geschütz ist jedoch ohne jegliche Panzerung, man sieht beispielsweise den ungeschützten Munitionsgurt mit der 30 Millimeter-Munition.

Ferngesteuert

Es ist fast sicher, dass die russischen Angriffs-Drohnen nicht autonom gehandelt haben, sondern ferngesteuert wurden.

Zum einen sieht man deutlich eine lange Antenne, zum anderen sind die Steuerungs-Algorithmen vermutlich noch nicht so weit, um den im Vergleich zum Luftkampf ungleich komplexeren Bodenkampf autonom bewältigen zu können.

Verwundbarkeit

Das macht die Fahrzeuge verwundbar durch Mittel der elektronischen Kriegsführung, also Störsender, und verwundbar durch Beschuss der Sensorik. Fällt diese aus, wird das Fahrzeug unbrauchbar.

Die Zukunft der Kriegsführung: Autonomie und Effizienz

Zwar gibt es auf beiden Seiten im Bereich der FPV-Drohnen Versuche, diese zu autonomisieren, doch gab es anscheinend in diesem Bereich bisher noch keinen großen Durchbruch in der Massenanwendung. Allerdings sehen Experten hier einen Wendepunkt in etwa drei bis sechs Monaten.

Ab diesem Zeitpunkt könnten ganze Schwärme von kleinen Flugdrohnen in einem Streifen von etwa zehn Kilometern ab der Kontaktlinie ins gegnerische Gebiet hinein Jagd auf jegliche Ziele machen, die FPV-Drohnen bekämpfen können.

Wie das aussehen kann, sieht man bereits heute auf einem neueren Video. Es zeigt die Jagd und die vermutliche Tötung eines russischen Soldaten durch einen ukrainischen Drohnenoperator. Diese Art von Videos finden sich täglich in ähnlicher Form zu Dutzenden in einschlägigen Telegram oder X-Kanälen.

Zu sehen ist ein einzelner, russischer Soldat, der verzweifelt versucht, um einen ausgeschalteten Panzer herumlaufend, einer FPV-Drohne zu entkommen. Es gelingt ihm nicht. Die Drohne explodiert in allernächster Nähe.

Produktionskrieg: Der Kampf um technologische Überlegenheit

Ein Kampf der Zukunft könnte folgendermaßen aussehen, vereinfacht dargestellt: Eine Sensor-Drohne klärt gegnerische Ziele auf, die sie an eine Künstliche Intelligenz, die als Schlachtfeld-Management-System fungiert, sendet. Dieses Schlachtfeld-Management-System weist einem oder mehreren Effektoren, sagen wir Mehrfachraketenwerfer-Landdrohnen, diese Ziele zu.

Die gewählte Effektor-Drohnen könnten selbstständig in eine Schussposition manövrieren, sich selbst ausrichten, feuern und dann zur Aufmunitionierung in eine Basis zurückkehren. Es spricht technisch nichts dagegen, dass auch der Aufmunitionierungs-Vorgang automatisch ablaufen kann. Nach der Aufmunitionierung würden die Drohnen wieder für den Kampfbetrieb zur Verfügung stehen.

Das würde also bedeuten, dass Drohnen weitestgehend automatisiert kämpfen. Nur noch die Wartung müsste von Menschen durchgeführt werden,

Die neue Front: Autonome Drohnen verändern die Kriegsführung

Der russische Angriff mit den neuen Bodenkampf-Drohnen zeigt auf, in welche Richtung sich die Kriegsführung in rasender Eile entwickeln wird: Drohnen werden gegen Drohnen kämpfen.

Die Produktionsraten an FPV-Drohnen sind sowohl in der Ukraine als auch in Russland in schwindelerregende Höhen geschraubt worden.

Schon jetzt bildet Russland spezielle FPV-Einheiten im Luftkampf gegen ukrainische FPV-Drohnen aus. Man sieht also jetzt schon Luft-Luft-Kämpfe zwischen Drohnen, noch ferngelenkt. Doch schon bald werden autonome Drohnen einander selbst bekämpfen und so die Art und Weise der Kriegsführung für immer verändern.

Denn handelt es sich jetzt noch um ferngelenkte Fahrzeuge, werden wir schon in kürzester Zeit, zumindest im Bereich der Flugdrohnen, einen vollautonomen Kampfbetrieb sehen und damit auch eine Autonomisierung und Automatisierung des Tötens.

Roboter gegen Roboter: Ein Blick in die Zukunft des Krieges

Das hat vielfältige Implikationen. Einerseits werden Kämpfe dann zu einem geringeren Teil auf dem Schlachtfeld gewonnen, sondern vielmehr werden Produktionsraten von Rüstungsgütern noch mehr als heute über den Erfolg einer Kriegspartei entscheiden.

Dies könnte dazu führen, dass bevölkerungsarme Länder, die Zugang zu Technologie und Ressourcen haben, in die Lage versetzt werden, gegen bevölkerungsreiche Länder vorzugehen.

Der Krieg findet dann hauptsächlich in den Produktionshallen statt, der Zugriff auf Ressourcen wird dann Kriege entscheiden, um (teil-)autonome Produktionsprozesse zu füttern.

Senkung einer wichtigen Schwelle

Andererseits könnte der Drohnenkrieg die Schwelle zur Kriegsführung entscheidend senken, da Regierungen nicht mehr befürchten müssten, durch eine Mobilisierung den Zorn der eigenen Bevölkerung auf sich zu ziehen.

In einem automatisierten Krieg werden also Roboter gegen Roboter kämpfen. Das heißt aber nicht, dass keine Zivilisten dabei zu Schaden kommen könnten, im Gegenteil: Die Anzahl ziviler Opfer könnte sogar noch steigen, weil Roboter effizienter töten könnten.

Wir haben hier die diese Tage so oft zitierte Büchse der Pandora geöffnet. Nur ernsthafte Abrüstungs- und Kontrollverträge können eine weitere eskalatorische Technikspirale vielleicht noch stoppen.