Ukraine-Krieg: Gegenoffensive ohne tiefe Einbrüche

Vor wenigen Tagen in Cherson. Bild: National Police of Ukraine / CC BY 4.0

Verluste steigen durch ukrainische Offensivanstrengungen. Statt entscheidender Entwicklungen nur kleine Gebietsgewinne. Warum kein baldiges Ende in Sicht ist.

Seit gut zwei Wochen läuft die vielfach angekündigte ukrainische Gegenoffensive. Von einem Durchbruch kann aktuell noch keine Rede sein, selbst die stellvertretende Verteidigungsministerin Ganna Malyar sprach gestern von einem Vorrücken von bis zu sieben Kilometern und seit Offensivbeginn acht eroberten Siedlungen, zumeist kleinen Dörfern.

Man rückt jedoch weiter in drei relativ breiten Frontabschnitten vor, wie Telepolis bereits erläutert hat. Die russische Armee hat Kampfeinheiten aus der Region Cherson in diese Bereiche verlegt.

Aktuell große Verluste beider Seiten

Natürlich wurden von Malyar auch umfassende russische Verluste geltend gemacht. Diese Angaben enthalten über den Gegner stets die Statements beider Seiten. Angesichts heftiger Kämpfe in den letzten Tagen und fortgesetzter ukrainischer Angriffe kann davon ausgegangen werden, dass aktuell beide Seiten seit dem Beginn der Offensive viele Gefallene und Verwundete zu beklagen haben. Diese Einschätzung teilt auch der britische Geheimdienst.

Diese Situation kann sich noch verschlimmern – zahlreiche Berichte stellen immer wieder fest, dass die Mehrzahl der neu mit westlichen Waffen ausgerüsteten ukrainischen Offensiveinheiten noch nicht in die aktuellen Angriffe einbezogen ist. Warum das so ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Eine These ist, dass die Front von den Ukrainern aktuell über kleinere Angriffe nach Schwachstellen bei den russischen Linien abgeklopft wird. Der estnische Geheimdienstchef Margo Grosberg hält nach dieser Phase auch einen vorübergehenden Stopp der Offensive zu Analysezwecken für möglich.

Die russische Seite spricht natürlich gemäß den Vorgaben aus dem Kreml von einem Scheitern der Offensive. Für eine solche Bewertung dürfte es noch zu früh sein - das reale Ergebnis wird sich erst bei ukrainischen Einbrüchen in die tiefere russische Verteidigungsstruktur zeigen, die deren (gute oder fehlende) Effektivität zeigen wird. Dort sind bisher noch keine Kiewer Truppen angekommen.

Die oppositionelle exilrussische Onlinezeitung Media.zona erfasst durch Todesanzeigen bestätigte Todesfälle in der russischen Invasionsarmee und ermittelte die höchsten Zahlen seit März, als der Kampf um Bachmut am heftigsten tobte, wobei es immer eine Zeitverzögerung zu den Kämpfen gibt.

Mit solchen Verlustzahlen schwingt immer die Angst vor einer neuen Mobilisierungswelle mit, die etwa der russische Militärexperte Maxim Samorukow in der Fachzeitschrift Foreign Policy, eine solche für erneute größere russische Offensiven für erforderlich hält.

Kein baldiges Kriegsende in Sicht

Kleinere Offensivversuche der Russen gibt es bereits. Im Bereich von Liman und Kupjansk will die russische Armee die Initiative zurückgewinnen, was auch von Malyar von ukrainischer Seite bestätigt wurde. Sie sprach dort von einer "schwierigen Situation". Berichte gibt es vermehrt über unbemannte russische Kamikaze-Fahrzeuge, vor Ort auch "Dschihad-Panzer genannt". Sie rollen mit Sprengstoff beladen auf ukrainische Stellungen zu und gehen mit diesen in die Luft.

Samorukow glaubt in Foreign Policy auch bei einem für Russland eher ungünstigen weiteren Verlauf nicht an ein baldiges Kriegsende. Die russische Führung erreiche durch den Krieg an sich eine Vielzahl politischer Ziele. Er beschleunige die von Putin ohnehin angestrebte Neuorientierung Russlands nach Osten, die Entdollarisierung der russischen Wirtschaft und die Eingliederung von Belarus in die russische Einflusssphäre.

Der Krieg erleichtere weiterhin Zensurmaßnahmen in Sozialen Netzen und die Beseitigung unliebsamer Medien, die die russische Führung schon früher angestrebt habe, die mit "Notwendigkeiten" als Krieg führendes Land nun im Eiltempo durchgeführt werden könne. Ein Ende des Krieges würde die Fokus der Russen wieder auf inländische Probleme wie hängen gebliebene Infrastrukturprojekte lenken, was nicht im Sinne der Regierung sei.