Ukraine-Krieg: Hätten die USA früher mit Russland verhandeln sollen?
Fortschritte der ukrainischen Streitkräfte bleiben weitgehend aus. Diskussion über Ursachen des Scheiterns beginnt. Auch die Phalanx von Unterstützern Kiews wackelt.
Die ukrainische Gegenoffensive steckt in der Sackgasse – es häufen sich Berichte über ein Scheitern der ukrainischen Truppen. Gegenüber der deutschen Öffentlichkeit spielt der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba solche Berichte jedoch herunter und versucht, Zuversicht zu verbreiten.
Gegenüber der Bild-Zeitung sagte er: "Wir nehmen solche Äußerungen gelassen". Schließlich habe man der Ukraine im Februar 2022 nur drei bis zehn Tage bis zur Niederlage gegeben. Nun gingen die Kritiker davon aus, dass die Ukraine nicht in der Lage sein werde, ihr gesamtes Territorium so schnell zurückzuerobern. "Das zeigt, dass selbst Zweifler mit der Zeit hoffnungsvoller werden."
Doch Kuleba vermittelt hier ein falsches Bild. Die Skeptiker werden nicht hoffnungsvoller – die Zweifel am Engagement für die Ukraine nehmen eher zu. Und das liegt primär daran, dass die erhofften Erfolge auf dem Schlachtfeld ausbleiben. Selbst US-Geheimdienste gehen inzwischen davon aus, dass das Ziel der Gegenoffensive nicht mehr erreicht wird: Die Landbrücke zur Krim zu unterbrechen.
Die Fortschritte der Ukraine beschränken sich auf eine Handvoll Dörfer, schreibt die Washington Post. Im vergangenen Monat sei die ukrainische Armee in das Dorf Staromaiorske eingedrungen. Weitere drei Wochen habe es gedauert, bis die ukrainischen Truppen in das Nachbardorf Urozhaine eingedrungen seien. Bei den Kämpfen habe Kiew schwere Verluste erlitten, heißt es in dem Bericht.
Gleichzeitig rückten die russischen Truppen in der Region Charkow weiter vor. In der Region Kupjansk haben die ukrainischen Behörden eine Massenevakuierung der Zivilbevölkerung angeordnet. Sollte es der russischen Armee gelingen, die Stadt einzunehmen, wären fast alle Erfolge der Ukraine vom vergangenen Herbst zunichtegemacht.
Seit Beginn der Gegenoffensive haben die ukrainischen Streitkräfte rund 81 Quadratkilometer der besetzten Gebiete zurückerobert. Das ist eine verschwindend kleine Fläche, wenn man bedenkt, dass die Front mehrere hundert Kilometer lang ist. Die größten Gewinne seien auch nicht im Süden, dem Schwerpunkt der Gegenoffensive, sondern in der Umgebung von Bachmut erzielt worden.
Angriffe mit Drohnen auf Moskau oder andere russische Städte, lenken die Aufmerksamkeit lediglich von der scheiternden Gegenoffensive ab, heißt es in der Washington Post. Es sei aber unwahrscheinlich, dass sie das Gleichgewicht des Krieges zugunsten Kiews verändern werden.
Weitere Drohnenangriffe seien auch skeptisch zu betrachten. Denn wenn die Ukraine ihren Einsatz ausweitet und ihre Zurückhaltung verliert, dann könne der Westen auch nicht sicher sein, dass gelieferte Langstreckenwaffen nicht auch gegen Ziele in Russland eingesetzt würden.
Ursprünglich hatten die USA und die Ukraine geplant, mit einer Frühjahrsoffensive schnell zurückzudrängen. Angesichts des Ausbleibens von Erfolgen wird zunehmend auch die Frage nach den Ursachen des Scheiterns gestellt. Manche geben dem Westen eine Mitschuld, weil er zu wenig und zu spät Waffen lieferte. Andere sehen taktische und strategische Fehler auf der ukrainischen Seite.
Der ehemalige deutsche Brigadegeneral Helmut W. Ganser warnt vor solchen Schuldzuweisungen. Im ipg-journal der Friedrich-Ebert-Stiftung schreibt er: "Diese Art von Dolchstoßlegende ist leichtgewichtig, weil sie hypothetisch ist." Argumente, die auf "was wäre gewesen, wenn" aufbauen, seien meist wohlfeil, weil sie weder bewiesen noch widerlegt werden könnten.
Die Erwartung, man könnte in relativ kurzer Zeit die Landbrücke zur Krim kappen, seien mehr Wunschdenken als einer sachlichen Lagebeurteilung entsprungen. Er schreibt:
Einschätzungen von Militärökonomen im Frühjahr 2023, die einen ukrainischen Sieg im Herbst 2023 vorhersagten, basierten beispielsweise auf eklatanten Fehlkalkulationen. Die Hochrechnung von russischen Abnutzungsraten im Jahr 2022 auf die Lage im Folgejahr war schlicht zu simpel. Russland hat offenbar wesentlich mehr Kräfte in der Ukraine als zu Beginn des Krieges.
Mit einer erfolgreichen Offensive war wohl auch die Hoffnung verbunden, den Krieg nicht zum Thema des Wahlkampfs in den USA zu machen. Inzwischen geht man davon aus, schreibt die Financial Times, dass der Ukraine im kommenden Jahr keine Hilfe im gleichen Umfang angeboten werden könne als bisher.
Inzwischen bröckelt auch das Lager der Unterstützer der Ukraine-Hilfen in den USA. Sowohl Financial Times als auch das Magazin Politico berichten vom republikanischen Kongressabgeordneten Andy Harris, der bislang einer der vehementesten Unterstützer Kiews war. Bei einer Bürgerversammlung erklärte er, dass die Gegenoffensive gescheitert sei und man die Hilfe für die Ukraine zurückfahren sollte.
Harris verwies dabei auf die Defizite im Staatshaushalt, die sich seit der Coronapandemie auf Billionen Dollar beliefen. Noch mehr Geld in die Ukraine stecken? "Es tut mir leid, aber so viel Geld haben wir nicht", so Harris. Außerdem verwies er auf die gravierende Korruption in der Ukraine und auf steigende Lebensmittelpreise in den USA.
Wie es in einem anderen Politico-Bericht heißt, fragen sich ranghohe US-Beamter auch zunehmend, ob man im Herbst nicht besser auf den Generalstabschef Mark Milley gehört hätte. Dieser hatte im November Verhandlungen angeregt und darauf verwiesen, dass Ukraine militärisch gut aufgestellt und deshalb in einer guten Verhandlungsposition sei. Es wird sich zeigen müssen, wie sich Kiews Verhandlungsposition nun verändert hat.
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