Ukraine-Krieg: Waffenlieferungen an Russland – Ohnmacht der Sanktionen

Iranische Kamikazedrohne vom Typ Shahed-136 auf einer Ausstellung in Qom, 2023. Bild: Mohammadreza Jabbari, tasnimnews.com / CC BY 4.0 Deed

Iran, Nordkorea und China als Schlüsselspieler. Auch die Türkei nutzt Schlupflöcher. Was die Lieferungen für den Kriegsverlauf bedeuten.

30.858 Prozent Export-Steigerung: Diesen ökonomischen Traumwert können nicht viele Länder für sich beanspruchen. Doch um diese aberwitzige Zahl konnte Estland seine Exporte steigern – nach Kirgisistan.

Auch Deutschland entdeckt den Handel mit dem zentralasiatischen Staat und vermeldet eine Exportsteigerung von 1.489 Prozent. Finnland kann den Export um 3.808 und Irland um 8.103 steigern.

Die Zahlen basieren auf einem Vergleich des Zeitraums von Januar bis September 2023 mit dem gleichen Zeitraum im Jahre 2021. Besonders der Handel mit den ehemaligen Sowjetrepubliken Kirgistan, Kasachstan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan boomt.

Die Sanktionen funktionieren nicht

Die teilweise nahezu abstrusen Steigerungen zeigen: Die Sanktionen funktionieren nicht, Russland findet Wege, seinen Bedarf an Konsumgütern zu decken, die Kaufhäuser und Showrooms sind gut bestückt. Denn es ist nicht anzunehmen, dass die von den EU-Ländern importierten Güter in den genannte zentralasiatischen Ländern verbleiben.

Eine detaillierte Analyse, aufgeschlüsselt nach Wirtschaftssektoren findet sich bei Vox Ukraine, allerdings nur mit einem Vergleich von 2021 zu 2022.

Russland hat die größte Waffenindustrie weltweit, betrachtet man die Produktionskapazitäten. Trotzdem macht der großskalierte Krieg in der Ukraine es notwendig, Waffen und Schlüsselkomponenten wie Halbleiter zu importieren.

Die wichtigsten Handelspartner im Bereich des direkten Importes von Waffen sind der Iran und Nordkorea.

Lieferungen an Russland aus Iran

Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Iran wahrscheinlich über 400 ballistische Kurzstreckenraketen an Russland geliefert hat.

Doch die mit Abstand bekannteste und bedeutsamste Lieferung des Iran an Russland ist die überaus erfolgreiche Shahed-136 Drohne. Laut der US-Publikation Popular Mechanics konnte Russland seit 2022 rund 4.000 Shahed-Drohnen der Typen 131 und 136 gegen die Ukraine zum Einsatz bringen.

Die Produktion von Shahed-Drohnen

Wie viel davon in der neuen russischen Shahed-Fabrik in Alabuga produziert worden sind, ist unbekannt. Doch der Hochlauf hat gerade erst begonnen. 6.000 Shahed-Drohnen wolle man bis Sommer 2025 bauen, laut Washington Post.

Neueste Zahlen der US-Nachrichtenplattform Defense One sprechen gar von einer Produktion von 10.000 Shaheds allein für das Jahr 2024.

Da die neue Fabrik in Alabuga noch nicht mit voller Kapazität produziert, kann angenommen werden, dass der Iran mehrere Tausend Shaheds geliefert hat.

Munition aus Iran

Überdies hat der Iran wohl auch Munition geliefert. So gibt die ukrainische Webseite Militarnyi an, dass der Iran im vorigen Jahr mindestens 40.000 Granaten des Kalibers 122 Millimeter und weitere 14.000 Granaten des Kalibers 152 Millimeter geliefert haben soll.

Das Wall Street Journal sprach im April vorigen Jahres sogar von 300.000 Artillerie-Granaten und eine Million Patronen für Kleinkaliber-Waffen.

Auch Raketenmunition soll geliefert worden sein, und zwar Raketen für das 122 Millimeter-System BM-21 "Grad". Es handelt sich hierbei um ungelenkte Raketen. Von dem Raketenwerfersystem Grad soll Russland über 500 im aktiven Dienst und weitere 2.000 eingelagert haben.

Lieferungen an Russland aus Nordkorea

Der zweite große Lieferant von Waffen ist Nordkorea. Noch am Freitag gab das US-Außenministerium bekannt, dass Nordkorea seit September vorigen Jahres 10.000 Container Munition und munitionsbezogenes Material über den See- und Landweg nach Russland geliefert haben soll.

Laut britischen Militär-Analysen könnten bereits bis zu 2,5 Millionen Granaten geliefert worden sein. Das gibt die New York Times an. Zum Vergleich dazu nimmt man an, dass Russland dieses Jahr vermutlich 2,5 bis zu fünf Millionen Granaten selbst produzieren wird – die Lieferung würde also ungefähr einer russischen Jahresproduktion entsprechen.

Ebenfalls sollen Raketen für das oben erwähnte 122 Millimeter Grad-Raketenartillerie-System geliefert worden sein. Die Menge der gelieferten Einheiten ist nicht bekannt.

Zudem haben angeblich mehrere Dutzend ballistische Raketen ihren Weg nach Russland gefunden. Es soll sich dabei um die Kurzstreckenraketen KN-23 und KN-24 handeln.

Die KN-23 erinnert stark an die russische Iskander-M. Sie hat eine Reichweite von bis zu 900 Kilometern. Die KN-24 ähnelt der US-ATACMS und hat eine Reichweite von 410 Kilometern. Mindestens 20 Raketen beider Typen sollen in der Ukraine bereits zum Einsatz gekommen sein, berichtet Politico.

Lieferungen aus China an Russland

Der dritte große Lieferant ist China. Hier ist allerdings nicht klar, ob China Waffen liefert. Es gibt Hinweise darauf, dass chinesische 152 Millimeter Artillerie-Granaten auf russischer Seite in der Ukraine zum Einsatz gekommen sind.

Allerdings könnten diese Granaten über den Umweg Iran nach Russland gelangt sein. Denn es könnte sich um eine etwa 30 Jahre alte chinesische Granaten-Lieferung an den Iran gehandelt haben, die Iran schließlich an Russland weitergereicht haben soll.

Unzweifelhaft hat China hingegen über 500 leichte Geländewagen an Russland geliefert.

Die Wagen wurden unbewaffnet an die russischen Streitkräfte übergeben und fallen so nicht unter die Waffen-Kategorie. Allerdings könnten diese leicht mit ATGM-Lenkraketen ausgerüstet werden.

Halbleiter, elektronische Komponenten und Drohnentechnologie

Viel wichtiger für Russland ist China aber als Lieferant für Halbleiter, elektronische Komponenten und Drohnentechnologie.

China hat einen Ausfuhrstopp von Drohnen über vier Kilogramm Gewicht an die Ukraine und Russland ausgesprochen. Doch beide Länder importieren weiter Drohnen aus China – über Drittländer. Russland nutzt Kasachstan als Transitland.

Im Bereich der Halbleiter zeigen Zahlen vom April letzten Jahres einen um das Zehnfache gestiegenen Export von China und Hongkong nach Russland.

China: Grand Canyon der Schlupflöcher

Die Lieferungen lassen sich schwer stoppen, denn die Güter sind von dualer Nutzung, lassen sich also sowohl zivil als auch militärisch nutzen.

Denn die russische Rüstungsindustrie setzt auf günstige Lösungen, auf Produkte, die eigentlich für den zivilen Markt hergestellt worden sind. So zitiert das Magazin Foreign Policy Chris Miller, den Autor des Buches "Chip War: The Fight for the World’s Most Critical Technology":

Sowohl Russland als auch China und im Grunde alle Militärs verwenden in ihren Systemen eine große Anzahl von Komponenten der Unterhaltungselektronik.

Chris Miller, Foreign Policy

Mit Blick auf die unwirksamen Sanktionen gegen Russland bezeichnet Foreign Policy China als Grand Canyon der Schlupflöcher.

Auch Verbündete der USA unterlaufen Exportverbot

Mit chinesischer Hilfe unterlaufen selbst der USA treu ergebene Verbündete wie Japan und Taiwan das Exportverbot nach Russland. Über den Drittstaat China beschaffte sich Russland wichtige Präzisionsbauteile von renommierten japanischen Herstellern wie Metrol und Oriental Motor für seine Panzerproduktion.

Weitere Teile für die Panzerproduktion konnte sich die russische Industrie aus Taiwan beschaffen.

Wie einfach das Unterlaufen von Sanktionen ist, zeigt sich am Beispiel der für Russland so wichtigen Orlan-10 Drohne. Die Orlan ist keine Kampfdrohne, sondern wird zur Aufklärung benutzt. Sie ist für die Zielerfassung, etwa für die Lancet-Drohne oder den kleinen FPV-Drohnen, zuständig.

Dies geschieht jedoch auf sehr einfache Weise, die nicht sanktioniert werden kann. Denn russische Inngenieure nutzen einfach eine handelsübliche Canon-Kamera.

Die Türkei ist auch dabei

Ebenfalls über den Umweg über ehemalige Sowjetrepubliken exportiert die Türkei kritische Komponenten nach Russland. Diese werden in Marschflugkörper, Drohnen und Helikopter verbaut.

Von Januar bis September 2023 exportierte die Türkei 45 Arten an kritischen Schlüsselkomponenten im Wert von 66 Millionen Dollar allein nach Kasachstan. Exporte gehen auch an andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die sich später in den Rüstungsgütern Russlands wiederfinden lassen.