Ukraine-Krieg: Iran verstärkt Russlands Arsenal mit 400 ballistischen Raketen

Ballistische Kurzstreckenrakete Fateh-110. Archivbild (von 2012): Hossein Velayati / CC BY 4.0 Deed

Großes Zerstörungspotenzial und eine Reichweite von bis zu 750 Kilometern: Sie könnten die Konfliktdynamik entscheidend beeinflussen. Eine Einschätzung.

Der Iran liefert der russischen Armee mindestens 400 ballistische Raketen. In einer Meldung von Reuters vom 21. Februar wird als Typ die Fateh-110-Famillie genannt.

Bei dieser handelt es sich um Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von bis zu 750 Kilometern. Kurzstreckenraketen haben eine Reichweite von unter 800 Kilometern

Die Lieferung ist angeblich seit Anfang Januar dieses Jahres im Gange. Erst im vorigen Oktober sind UN-Beschränkungen für das iranische Raketenprogramm ausgelaufen.

Wie viele Raketen bereits an die russischen Raketenstreitkräfte übergeben worden sind, ist nicht bekannt. Bisher gibt es auch noch keine bestätigten Einsätze der iranischen Waffen.

Sie sollen über das Kaspische Meer mit Schiffen und über den Luftweg geliefert worden sein. Mindestens vier Lieferungen habe es bereits gegeben und weitere seien geplant, zitiert derReuters-Bericht eine anonyme iranische Quelle. Weitere Details seien nicht bekannt.

Auch sind keine Einzelheiten über die genaue Typenverteilung bekannt. Drei verschiedene iranische Quellen geben allerdings die Fateh-110 Familie an, namentlich auch die Zolfaghar-Rakete. Diese wird erst seit 2017 produziert, hat eine Reichweite von 700 Kilometern und kann einen Gefechtskopf von 590 Kilogramm ins Ziel tragen.

Die Kosten sollen nur 160.000 Euro pro Einheit betragen. Das wäre spektakulär günstig. Das Jewish Institute for National Security of America schreibt:

Die iranischen Drohnen und Raketen sind wesentlich billiger als die russischen Plattformen und verfügen nicht über deren fortschrittliche Fähigkeiten. Die Shahed-136 kostet etwa 20.000 Dollar pro Drohne, die Fateh-110 kostet 110.000 Dollar und die Zolfaghar kostet 150.000 Dollar. Im Gegensatz dazu kostet einer der Kalibr-Marschflugkörper, den Russland während seiner Operationen in der Ukraine intensiv genutzt hat, fast eine bis sechs Millionen Dollar.

3.000 ballistische Raketen aller Typen befinden sich angeblich in den Arsenalen des Iran.

Unter der Voraussetzung, dass beide Zahlenangaben stimmen – also wenn der Iran tatsächlich 3.000 ballistische Raketen besitzt und wenn das Land davon 400 liefern würde –, würde der Iran immerhin 13,33 Prozent seines Gesamtbestandes an die russischen Streitkräfte übergeben.

Über den iranischen Jahresausstoß an ballistischen Raketen ist nichts bekannt. Es wird aber geschätzt, dass Russland etwa 360 ballistische Raketen des Typs Iskander-M pro Jahr produziert.

Eine Lieferung von über 400 iranischen Raketen würde also den Zulauf von mehr als einer russischen Jahresproduktion bedeuten. Russland ist einer der weltweit größten Produzenten von ballistischen Raketen – die Lieferung kann also als signifikant bezeichnet werden.

Zum Vergleich dazu hat Deutschland einen Gesamtbestand von nur 600 Taurus-Marschflugkörpern. Diese unterscheiden sich zwar deutlich in ihrer Charakteristik, sie stellen aber den gesamten deutschen Bestand an strategischen Raketen dar.

Daneben verfügen die deutschen Streitkräfte noch über Raketenartilleriesysteme, die maximal 150 Kilometer Reichweite und nur einen vergleichsweise kleinen Sprengkopf verbaut haben. Theoretisch können mit diesem Mars 2 System zwar noch Raketen mit größerer Reichweite verschossen werden, diese befinden sich aber nicht in deutschem Besitz.

Bis Mitte Januar hat Russland insgesamt etwa 800 ballistische Kurzstreckenraketen zum Einsatz gegen die Ukraine gebracht.

Der Iran ist eine Raketen-Supermacht. Nur wenige Länder auf der Erde haben ein ähnliches Raketenprogramm oder sind auch nur in der Lage, ballistische Raketen herzustellen. Erst kürzlich wurde an dieser Stelle die militärischen Fähigkeiten des Irans beleuchtet.

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Europäische Länder haben dagegen keine ballistischen Kurzstreckenraketen in ihren Arsenalen. Nur Frankreich und das Vereinigte Königreich haben jeweils ballistische Raketen – für ihre Nuklear-Streitkräfte.

Die ballistischen Raketen von Frankreich werden als M51 bezeichnet. Das M51-Raketensystem wird von der französischen Marine eingesetzt und ist für den Einsatz auf ihren U-Booten der Triomphant-Klasse vorgesehen. Es handelt sich um ein nuklear bewaffnetes Raketensystem. Vermutlich 60 Raketen dieses Typs befinden sich im Besitz der französischen Streitkräfte.

Das Vereinigte Königreich verwendet das Trident-Raketensystem. Die Trident-Raketen sind nuklear bewaffnet und werden auf den Trident-U-Booten der Royal Navy eingesetzt. Großbritanien soll 225 Trident II besitzen.

Über die Bezahlung ist nichts bekannt. Der Buchwert der Gesamt-Lieferung wäre bei einem angenommenen Preis von 160.000 US-Dollar pro Zolfaghar-Rakete nur 64 Millionen US-Dollar. Das sind Peanuts im Vergleich zum militärischen Potenzial, den 400 ballistische Raketen darstellen.

Doch besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Russland die Raketen nur zum Teil oder gar nicht bezahlen muss. Denn denkbar wäre, dass Russland mit einem Austausch von Rüstungsgütern oder der Weitergabe von Know-How im Bereich seiner fortschrittlichen Wehrtechnik bezahlt.

So hat Iran ein auf dem Papier beeindruckendes Programm verschiedenster Luftverteidigungssystemen entwickelt. Russlands weltweit führende Fähigkeiten in diesem Bereich dürften im Iran sicher sehr gefragt sein.

Von großem Interesse dürfte für die iranischen Militärplaner auch der Ausbau der eigenen Luftstreitkräfte sein. Mit über 700 Einheiten stellen sie zwar zahlenmäßig eine große Streitmacht dar – aber die eingesetzte Technik ist veraltet. Etwa zwei Dutzend moderne SU-35 Kampfjets wird Russland wahrscheinlich in den Iran liefern. Hier wäre eine Aufstockung der Anzahl denkbar. Oder eben die Weitergabe sensibler Technologien, denn der Iran hat auch ein heimisches Kampfflugzeugprogramm.

Russland konnte sich auch die Lieferung nordkoreanischer ballistischer Raketen sichern, unter anderem die KN-23, die sehr ähnliche Merkmale zur Iskander-M aufweist. Eine KN-23 soll noch am 15. Februar durch die russischen Raketenstreitkräfte gegen die Ukraine eingesetzt worden sein.

Laut ukrainischen Angaben sollen damit bereits 20 Raketen gegen Ziele in der Ukraine abgefeuert worden sein.

Ballistische Kurzstreckenraketen können eine Vielzahl von Missionen erfüllen. Sie können gegen Ziele der kritischen Infrastruktur eingesetzt werden, oder Kommandostrukturen, Truppenkonzentrationen oder industriellen Zielen wie etwa Werke der Rüstungsindustrie treffen.

Auch militärisch wertvolle Ziele wie Flugabwehrbatterien könnten angegriffen werden. Denn ballistischen Raketen scheinen für die Flugabwehr der Ukraine eine Herausforderung darzustellen und schwieriger abzuwehren sein als Marschflugkörper.

Auch der oben genannten Reuters-Bericht gibt an, dass ballistische Raketen für die Luftabwehr der Ukraine schwer abzufangen seien.

In jedem Fall ist die schiere Masse der gelieferten Raketen für die ukrainische Luftabwehr eine Herausforderung. Denn entsprechende Abwehrraketen, die gegen ballistische Raketen eingesetzt werden können, sind in der Ukraine Mangelware.

Überhaupt scheint der gesamte Westen weniger Raketen pro Jahr herstellen zu können, als nur die Ukraine zurzeit braucht, um die russische Luftkampagne kontern zu können. Hier nicht mit eingerechnet ist etwa der US-Bedarf, um seine illegalen Besatzungsbasen in Syrien und Irak gegen Angriffe von Milizen schützen zu können.

Die US-Patriot der Entwicklungsstufe PAC-3 ist in der Lage, ballistische Raketen abwehren zu können. Zurzeit stellt die USA aber nur etwa 550 Patriot-Raketen pro Jahr her – zu Kosten von rund vier Millionen Dollar pro Stück.

Wahrscheinlich werden mehrere Patriots zum Abfangen von russischen Raketen benötigt. Aber selbst wenn dafür nur eine einzige reichen würde: Die Kostenbilanz wäre damit 160.000 zu vier Millionen Dollar.

Weitere Lieferungen von Patriot-Systemen durch die USA sind erst mal auch nicht geplant und schwierig, zudem ist die Wartung der gelieferten Systeme nicht sichergestellt.

Auch die deutsche Iris-T ist in der Lage, ballistische Raketen abzufangen. Die Kosten einer Iris-T-Rakete werden auf 616.681 US-Dollar geschätzt.

Damit ist sie deutlich günstiger als die Patriot. Allerdings ist die Reichweite mit 40 Kilometern sehr begrenzt und kann also nur schwerpunktmäßig zum Einsatz gebracht werden. Die Produktion wird auf bis zu 500 Stück aller Typen geschätzt.

Diese Zahl beinhaltet auch die Luft-Luft-Hauptvarianten, die die Ukraine wegen fehlenden Flugzeugen nicht zum Einsatz bringen kann.

Deutschland will jetzt in einem vor wenigen Tagen bekannt gegebenen neuerlichen Rüstungspaket im Wert von 1,3 Milliarden Euro weitere 100 Iris-T-Raketen liefern. Das macht 100 Abwehrraketen gegen 400 iranische ballistische Raketen.

Das ebenfalls in die Ukraine gelieferte US-norwegische NASAM-System kann ballistische Raketen nicht bekämpfen.

Samp-T kann, ist mit zwei Millionen Euro pro Flugabwehrrakete Aster 30 allerdings ebenfalls wirtschaftlich nicht nachhaltig.

Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates John Kirby warnt derweil den Iran vor einer Lieferung von ballistischen Raketen an Russland. Er drohte dem Land mit einer Ausweitung der Sanktionen. Politico zitiert Kirby mit folgenden Worten:

Ich kann Ihnen versichern, dass die Reaktion der internationalen Gemeinschaft umgehend und mit Nachdruck erfolgen wird.

John Kirby

Einschätzung

Der kürzlich errungene militärische Großerfolg in Awdijiwka durch die russischen Truppen wurde wesentlich durch eine lokale Luftherrschaft ermöglicht. Denn diese erst erlaubte der russischen Luftwaffe den massenhaften Einsatz der wirkmächtigen und billigen FAB-Gleitbomben.

Mit der Lieferung von 400 iranischen Kurzstreckenraketen ist es den russischen Streitkräften potenziell möglich, über größeren Gebieten der Ukraine eine Luftherrschaft zu erlangen. Denn die neuen Raketen könnten nicht nur gezielt Luftabwehrstellungen angreifen.

Viel schlimmer noch ist, dass die Ukraine viel zu wenig Luftabwehrraketen hat, um die gelieferten Raketen abzufangen. Und der US-dominierte Westen ist nicht in der Lage, mit der Produktion Schritt zu halten, die Nato kann den Bedarf der Ukraine nicht ansatzweise decken.

Jede Rakete steuert ein wertvolles Ziel an. Also ist die Ukraine gezwungen, auf die Bedrohung zu reagieren, die jeder einzelne Raketenangriff darstellt. Tut sie das nicht, so läuft sie Gefahr, dass strategisch wichtige Ziele durch Russland getroffen werden und für die Ukraine verloren gehen. Also verausgabt sie immer weiter ihre wertvollen Luftabwehrkapazitäten.

Diese werden immer mehr fehlen, so dass es der russischen Luftwaffe immer mehr gelingen kann, über Teilen der Front eine lokale Luftherrschaft zu erlangen – mit fatalen Folgen für die Lage der ukrainischen Verteidiger auf dem Boden.

Zudem wird die ukrainische Luftabwehr nicht in der Lage sein, alle angegriffenen Ziele erfolgreich zu schützen. Im Fadenkreuz sind Unternehmen der Rüstungsindustrie, Energieinfrastruktur, Truppenkonzentrationen – 400 ballistische Raketen stellen ein gewaltiges Zerstörungspotential dar. Die Frage ist, was die westlichen Verbündeten der Ukraine dem entgegenzuhalten haben?

Die Auswirkungen an der Front könnten katastrophal sein, sollte es der russischen Führung tatsächlich gelingen, die Luftabwehrkapazitäten der Ukraine weiter zu dezimieren und lokal eine Ausweitung der Zonen absoluter Luftherrschaft zu erlangen.

Denn mit den FAB-Bomben hat Russland ein Mittel gefunden, um ukrainische Verteidigungsstellungen und Befestigungsanlagen wirksam niederzukämpfen.

Die jetzt erfolgte Raketenlieferung durch den Iran kommt zu einem kritischen Zeitpunkt für die Ukraine, da die Initiative an der Front vollständig auf die russischen Truppen übergegangen zu sein scheint.

Die Lieferung der 400 ballistischen Raketen aus dem Iran könnte einen größeren strategischen Vorteil darstellen, der die ukrainische Abwehr dauerhaft substanziell schädigt, und im Zuge dessen dazu führt, dass der kriegerische Konflikt noch in diesem Jahr gegen sie entschieden wird.