Ukraine-Krieg: Welzer wirft Leitmedien Aktivismus vor
Seite 2: Am Kern des journalistischen Selbstverständnisses
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Allerdings lädt Welzer auch zur Polemik ein: Seine Vorwürfe gegen den Journalismus – so wie er sich in Zeiten der Krise präsentiert, wenn es noch kein Skript für die Situation gebe –, gehen an den Kern des Selbstverständnisses.
Aus Journalisten werden Aktivisten, die belehren, so Welzer. Statt der Öffentlichkeit eine breitgefächerte Analyse und Vermittlung der "gesellschaftsrelevanten politischen Anforderungen und Entscheidungsprozesse" zu liefern, werde eine belehrende und oft kleinteilige Exegese verabreicht.
Dabei holt der Zeitschriftenbeitrag zum großen Angriff aus:
Auch wenn man hier noch einmal daran erinnern kann, dass es durchaus ein informationelles und argumentatives Gefälle zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung geben kann und soll, scheint hier doch aufseiten des politischen Journalismus der Anspruch durch, die politische Debatte über diesen Fall von Krieg und Frieden leiten zu wollen.
Damit wäre dem Journalismus eine Rolle zugewiesen, die ihm demokratietheoretisch nicht zukommt: von der kritischen Berichterstattung und Kommentierung hin zum politischen Aktivismus, von der Kontrolle zur Beeinflussung.
Harald Welzer und Leo Keller
Die Aufgabe des Journalismus für die moderne demokratische Gesellschaft bestehe nicht darin, "für richtig Erkanntes unters Volk zu bringen, auf dass dieses es gleichfalls als richtig erkennt". Vielmehr gehe es darum, die "informationelle Landschaft ausgewogen und differenziert auszumessen und dabei möglichst viele Perspektiven zur Geltung zu bringen, damit die Rezipienten sich gut begründete Meinungen zum Geschehen bilden können".
Das, so Welzer, sei im gegenwärtigen "provinziellen" Journalismus in Deutschland nicht der Fall. Der habe mit einem Glaubwürdigkeitsverlust zu kämpfen. Auf der Malus-Seite stünden "erhebliche Repräsentationslücken" bei den politischen Institutionen, deren Folgen sich auch in der Berichterstattung widerspiegeln: Marginalisierte Gruppen hätten geringere Chancen, ihre Auffassungen politisch zur Geltung zu bringen. Resultat: ein verengter Horizont.
Das kann man debattieren, ohne Welzer mit persönlichen Diffamierungen auf den Jahrmarkt der verletzten Eitelkeiten zu schicken.
Allerdings macht er ihnen auch Vorwürfe des Bellizismus:
An der seit Kriegsbeginn stattfindenden normativen Umformatierung zentraler gesellschaftlicher Ziele und zivilisatorischer Minima – von Frieden auf Rüstung, von Klimapolitik auf Verteidigungspolitik, von diplomatischen Konfliktlösungsstrategien auf militärische – hat der politische Journalismus, wie unsere Befunde zeigen, jedenfalls einen guten Anteil.
Bleibt zu hoffen, dass die große Eskalation eines entgrenzten Kriegs oder eines Atomkriegs auch dann ausbleibt, wenn so viele ihre Aufgabe darin zu sehen scheinen, sie herbeizuschreiben.
Harald Welzer und Leo Keller
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