Ukraine-Krieg: Wenn Militär-Füchse für Verhandlungen argumentieren
Mediensplitter (30): Für französische Militäranalysten sind die Optionen für die ukrainische Armee sehr beschränkt. Ein großer Sieg wäre nötig. Der Umweg über diplomatische Konzessionen wäre möglich, aber nur mit einem Nachspiel.
Derzeit sieht es in der Ukraine nicht nach einer schnellen militärischen Lösung aus. Auch wenn hierzulande in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, dass die ukrainischen Verteidiger auf der Siegesstraße sind und sämtliches Territorium, das von russischen Truppen besetzt ist, zurückholen könnten, so schränken zwei Militäranalytiker in Frankreich die Aussichten ein.
Beide, Michel Goya und Jean Lopez, sind Experten auf militärhistorischen Gebiet, mit Akzent auf moderne Kriegsführung. Im Fall von Michel Goya mit praktischer Erfahrung im Rang eines Colonel (entspricht etwa dem deutschen Oberst). Ihre Sympathien für die Seite der Angegriffen ist offensichtlich.
Ihre aktuelle Lageeinschätzung tun sie dem geopolitischen Magazin Le Grand Continent kund. Sie äußern ein paar Punkte, die in der größeren deutschen Öffentlichkeit nicht so leicht zu finden sind.
Es gebe operativ für die Ukrainer nicht viele Lösungen, bilanziert etwa Michel Goya. Die Optionen für den ukrainischen Generalstab würden schrumpfen, je weiter der Krieg voranschreitet. Die Ukraine habe vielleicht das "Potenzial für ein oder zwei große Operationen".
Die ukrainischen Streitkräfte bräuchten aber einen großen Sieg. Die Flagge in Mariupol hissen, nennt Goya als Beispiel dafür. Solche Siege seien nötig, damit die Ukraine "in den Verhandlungen mit Russland einen Gleichgewichtspunkt erreichen kann, der für Russland akzeptabel ist, etwa die Startlinie am 24. Februar, ohne in politisch komplexere Dinge wie den Donbass oder die Krim eindringen zu müssen".
Dem folgt eine Folgerung, die in der westlichen Medienöffentlichkeit nicht gerade favorisiert wird.
Der Schlüssel liegt möglicherweise darin, an diplomatische Kompromisse zu denken.
Das Nachspiel
Das Ungewöhnliche ist, dass der Colonel dies mit einer Strategie verknüpft, die auf Zeitgewinn setzt: Die diplomatischen Kompromisse könnten bedeuten, "dass man anschließend einen neuen Krieg führen müsse, wenn man genug Streitkräfte angesammelt habe".
Das ist einerseits eine Absage an der Einschätzung, wonach die Ukraine unbedingt auf der Siegesstraße ist, anderseits bestätigt dies die Ansicht derer, wonach der Krieg nur eine Zeit lang eingefroren werden kann, der Konflikt aber weiter schwärt und jederzeit neu ausbrechen kann.
Und die Nato?
Goyas Gesprächspartner Jean Lopez, Herausgeber einer militärhistorischen Zeitschrift, sieht eine allerdings Schwierigkeit bei diesem Vorgehen - die Nato:
Es gibt einen Widerspruch im ukrainischen Diskurs; der Wunsch, so schnell wie möglich in die Nato aufgenommen zu werden, bedeutet, dass der Krieg vorher beendet werden muss - die Nato kann kein Land aufnehmen, das sich im Krieg befindet, da sonst die gegenseitige Verteidigungsklausel des Artikels 5 ausgelöst würde.
Gleichzeitig muss man sich darüber im Klaren sein, dass es nach einem Nato-Beitritt für die Ukraine praktisch unmöglich wäre, den Kampf wieder aufzunehmen: Das Bündnis würde einen Angriff in die entgegengesetzte Richtung nicht unterstützen.
Jean Lopez
Also lautet seine Folgerung: "Für die Ukrainer ist es daher unerlässlich, jetzt zu siegen."
Seine Moral aus der gegenwärtigen Lage ist fabulös: "Sagen wir, der Bär hat sich geirrt, als er dachte, dass er nur einen kleinen Fuchs vor sich hat. Und der Fuchs hätte Unrecht, das Fell des Bären zu verkaufen, bevor er ihn getötet hat."