Ukraine-Krieg: Wenn alle Brücken abgebrochen werden

Putin zeichnet Gergiev aus. Bild (2013): Kreml/CC BY 4.0

München droht russischem Stardirigenten Valery Gergiev wegen seiner Nähe zu Putin mit Rausschmiss. Auftritte in New Yorks Carnegie Hall und der Mailänder Scala wurden gestoppt. Ist es legitim, von der Kunst politische Bekenntnisse zu fordern?

Der russische Dirigent Valery Gergiev ist ein Ausnahmekünstler von internationalem Rang. Münchens Stadtrat war stolz darauf, dass er ihn Anfang 2013 als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker verpflichten konnte. Jetzt stellt ihm Oberbürgermeister Dieter Reiter ein Ultimatum.

Hintergrund ist der Krieg in der Ukraine und Gergievs Nähe zum russischen Präsidenten Putin. Entweder Gergiev distanziere sich von Putins Krieg in der Ukraine – "oder er ist gefeuert", formuliert es der BR-Klassik-Sender in der Einleitung des Berichts.

Dort wird die Forderung des SPD-Oberbürgermeisters präzisiert: "Ich habe gegenüber Valery Gergiev meine Haltung klargemacht und ihn aufgefordert, sich ebenfalls eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren. Sollte sich Valery Gergiev hier bis Montag nicht klar positioniert haben, kann er nicht länger Chefdirigent unserer Philharmoniker bleiben."

Das Ultimatum erfolge im Einverständnis mit den Orchestervertretern der Münchner Philharmoniker, heißt es weiter. Hinzugefügt wird, dass auch Mailands Bürgermeister Beppe Sala ein ähnliches Ultimatum gestellt habe. An der Scala dirigiert Gergiev Tschaikowskys "Pique Dame". Am Mittwochabend stand er noch am Dirigentenpult und wurde mit langem Beifall bedacht. Es gab aber auch laute Pfiffe.

In New Yorks Carnegie Hall wurden drei Konzerte abgesagt. Der US-Sender NPR stellt die Lage so dar, als ob die Konzertabsagen seitens Gergiev und dem russischen Pianisten Mazujew erfolgten, aus unbekannten Gründen. Gleichwohl wird ausführlich über Nähe der Künstler zu Putin berichtet und von einem Sprecher der Carnegie Hall heißt es dann, dass die Programmänderungen mit "Ereignissen in der Welt" zu tun hätten.

Für Norman Lebrecht, Verfasser des in Fachkreisen weit bekannten Blogs Slippedisc, gibt es keinen Zweifel: Die Künstler wurden fallen gelassen. In einer früheren Version schrieb er noch: "fired".

Das Gastspiel in New York sollte Gergiev mit den Wiener Philharmonikern durchführen. Laut BR hatte das Wiener Orchester aber "die Reißleine gezogen". Dazu wird ein bemerkenswertes, "beruhigendes" Statement der Wiener Philharmoniker zitiert, das vom Tag vor der Absage stammt:

Die Jahrzehnte lange künstlerische Partnerschaft zwischen Gergiev und dem Orchester stehe absolut im Vordergrund, so ließ der Orchester-Vorstand gestern noch verlauten. "Die Kultur darf nicht zum Spielball von politischen Auseinandersetzungen werden." Daher würden auch keine Kommentare zu politischen Themen in Bezug auf Dirigenten oder Solisten abgegeben.

BR

Das Statement hielt dem politischen Druck nicht stand, wie sich wenig später herausstellte. Wie viel politischen Druck verträgt die Kunst? Dass es seit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine und dem Beschuss des Landes durch russische Raketen eine neue Hintergrund-Dimension gibt, ist der aktuelle Aspekt der Debatte darüber, ob man von Künstlerinnen und Künstlern politische Bekenntnisse fordern kann oder soll oder muss. Die Frage muss immer neu verhandelt werden, heißt es oft. Es gebe keine ewiggültigen Standards.

Die bösen Eckpunkte dazu sind schnell genannt: "Gesinnungsschnüffelei", "Konformitäts- und Bekenntnisdruck", "Radikalenerlass". Dem stehen das Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit gegenüber - und der Platz, den die Freiheit braucht.

Im gegenwärtigen öffentlichen Klima, das sich über die Auseinandersetzungen zur Corona-Politik stark aufgeladen und polarisiert hat, ist es besonders wichtig, einer Verständigung mehr Chancen zu geben. Momentan hat die Härte Rückenwind: Nichtverhandeln, Abschotten, Distanzieren, rigides Durchgreifen werden favorisiert. Hardliner haben es gerade leicht. Das lässt nichts Gutes ahnen.

Exzeptionelle Situation

Doch, so wird in der Diskussion vonseiten derjenigen zur Geltung gebracht, die zwar die Gefahr betonen, die allgemein mit Bekenntnisforderungen an Künstlerinnen und Künstler verbunden ist, aber auf Unterscheidungen verweisen: Beim Fall Gergiev liege eine exzeptionelle Situation vor.

Von dem Dirigenten werde ja nicht verlangt, dass er sein persönliches Verhältnis zu Putin widerrufe, sondern dass er sich von einem Angriffskrieg distanziere, der eindeutig gegen das Völkerrecht verstoße. In den sozialen Medien ist unterdessen bereits ein veritabler Shitstorm gegen den Künstler losgebrochen.

Begründet wird die Legitimität des politischen Drucks mit Gergievs exponierter Position als oberster musikalischer Angestellter der Stadt München. Das habe eine außergewöhnliche Strahlkraft, wie man ja auch an den prestigereichen Einladungen zu Konzerten weltweit sehen kann. Wenn die Stadt verlange, dass sich Gergiev von einer völkerrechtswidrigen Aggression distanziere, so sei das zulässig. Die Stadt dürfe verlangen, dass er Farbe bekenne.

Andere sehen das kritischer. Es würden damit Grenzen dessen gesetzt, welches Meinungsspektrum zulässig ist. Damit werde in einem durch einseitige, wenig nuancierte Sichtweisen strapazierten gesellschaftlichen Klima keine gute Richtung eingeschlagen.

Valery Gergiev hatte sich im Mai 2014 in einem offenen Brief unter dem damaligen Münchner OB Ude zu seiner Haltung zum Ukraine-Konflikt erklärt. Ihm liege viel an der Förderung und Vitalisierung von musikalischen Erziehungs- und Bildungsprogrammen, schreibt er dort:

In diesen Bemühungen weiß ich mich mit vielen Kollegen in der ganzen Welt verbunden. Doch das kann und soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass realpolitische Probleme plötzlich in die Gemeinsamkeit unserer kulturellen Arbeit harte und schrille Dissonanzen hineinschicken. Doch gerade dann ist aus meiner Sicht entscheidend, dass wir den Mut behalten, der jeweils anderen Seite zuzuhören und uns wechselseitig auszutauschen.

Dass wir dabei nicht den Respekt voreinander verlieren. Der Dialog darf nicht abreißen, niemals! Der Austausch der Gedanken muss möglich bleiben. Auch wenn es abgegriffen klingt, aber es ist deshalb nicht falsch, ganz im Gegenteil: Musik ist der beste Brückenbauer!

Valery Gergiev