Ukraine: Landwirtschaft in Kriegszeiten
Seite 2: Ohne Waffenstillstand sind die Ernten gefährdet
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Noch gibt es relativ große Getreidevorräte im Land. Vor der Invasion hoffte, man in diesem Jahr 15 Millionen Tonnen Getreide exportieren zu können. Nun ist die Ausfuhr über Schwarzmeerhäfen wie Odessa gestoppt. Weil Handelsschiffe bereits von russischen Streitkräften angegriffen und versenkt wurden, versuche man derzeit, die Transporte von Agrargütern auf die Schiene zu verlagern.
Auf diesem Wege, so schätzt er, könnten 600.000 Tonnen Getreide pro Monat verkauft werden. Mit den Erlösen könnten unsere Landwirte dringend nötige Betriebsmittel kaufen.
Neben Getreide wären in diesem Jahr normalerweise rund eine Million Tonnen Sojabohnen – und fünf bis sechs Millionen Tonnen Sonnenblumenkerne exportiert worden. Weil die meisten Ölpressen ihre Arbeit eingestellt haben, werde wohl in diesem Jahr kein Sonnenblumenöl exportiert.
Die Ukraine habe eine zollreduzierte Einfuhrquote von 100.000 Tonnen in die EU. Mit etwas Glück könne es gelingen, diese Quote zu erfüllen. Reserven gebe es auch noch bei Geflügelfleisch. Die Exportunternehmen arbeiten daran, einen Teil davon in die EU verkaufen zu können.
Sollten die Kämpfe im April weiter andauern oder sogar noch heftiger werden, werden die Ernten um 40 bis 60 Prozent einbrechen, befürchtet Roman Slaston. Ob Mehl, Brot, Milch, Geflügel – bis Mitte März gab es im Land noch genug Lebensmittelvoräte – auch wenn es Logistikprobleme vor allem in den umkämpften Gebieten gab. Sollte der Krieg andauern, werde sich das ändern.
Sanktionen seien der einzige Weg, den Krieg zu stoppen, glaubt der Agrarexperte. Er fordert von den G7-Staaten, auch im Agrarbereich Sanktionen gegen Russland – von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln über Lebensmittel bis zu Embargos gegen russische Exporte. Alle Unternehmen sollten ihre Zusammenarbeit mit Russland und Belarus einzustellen, bis sie ihre Truppen von ukrainischem Territorium zurückziehen.
Reicht das Futter nicht, werden Tiere geschlachtet
Die unbesetzten Teile des Landes sind kaum zerstört, weshalb auch die Landwirte dort kaum darunter leiden. Im Norden der Ukraine wurde vor Kurzem noch verlassene Panzer von Traktoren abgeschleppt. Mittlerweile haben russische Soldaten den Norden unter Kontrolle gebracht. Waren die Soldaten anfang noch blutjung und unerfahren, so sind es inzwischen ältere Soldaten, die aggressiver schießen, erklärt Alex Lissitsa.
Der Präsident des Ukrainischen Agribusiness Club berät die ukrainische Regierung und organisiert von Lwiw aus die Grundversorgung seiner Landsleute. Die Versorgung mit Brot funktioniert, wenn die Stadt nicht gerade belagert ist, so wie in Mariupol, erklärt der Agrarvertreter. Der Unternehmer leitet einen Betrieb mit 2000 Beschäftigten. Er bewirtschaftet 120.000 Hektar. Davon liegen rund 100.000 Hektar in den belagerten Gebieten im Nordwesten.
Unweit der Grenze zu Belarus stehen eintausend Milchkühe. Mittlerweile sind die Ställe vom Strom abgeschnitten. Zwei Wochen nach Kriegsbeginn stand es schlecht mit der Futterversorgung. Da wurde bereits mit Silage und Heu gefüttert. Das Futter reiche noch für zwei bis drei Wochen, hieß es Mitte März. Sollte der Krieg andauern, müssen – im besten Fall – Tiere geschlachtet werden.
Innerhalb von drei Wochen kam die Landwirtschaft in der Region zum Erliegen. Es fehlt an Dünger und Treibstoff. Landarbeiter wurden eingezogen. Auf den Feldwegen liegen russische Landminen. Auf dem Betrieb werden normalerweise Sonnenblumen, Winterweizen und Futterpflanzen kultiviert.
Mitte März wäre die Zeit gewesen, um den Boden vorzubereiten für die Aussaat von Sommergetreide oder Sonnenblumen. In drei bis vier Wochen könne man dann aussäen. Angesichts der Lage wären vermutlich nur die Bauern in der Westukraine bereit, diese Arbeit in vollem Umfang zu leisten, glaubt der Experte. Das wären 30 bis 50 Prozent der Fläche, auf der eigentlich ausgesät werden soll.
Der Krieg muss gestoppt werden, um Hungerkrisen zu verhindern
Vor dem Krieg verkaufte die Ukraine Sonnenblumenkerne und -öl, Raps, Roggen, Mais und Weizen an ärmere Länder wie Ägypten, Indonesien und Pakistan. Momentan exportiert die Ukraine kein Getreide, um die Versorgung im Land zu sichern.
Auch in Russland gilt Exportstopp für Getreide, damit Backwaren für die eigene Bevölkerung bezahlbar bleiben, wie es von Regierungsseite hieß. Beide Länder decken rund 30 Prozent des weltweiten Bedarfs an Weizen.
Rund 800 Millionen Menschen sollten durch die Exporte ernährt werden, schätzt Alex Lissitsa. Einer Studie der FAO zu Folge könnten die Preise für Lebensmittel auf dem Weltmarkt zu bis zu 22 Prozent steigen, für Kunstdünger sogar bis zu 25 Prozent. Das hätte in armen Ländern Afrikas, den Nahen Osten und Asien immense Hungerkatastrophen zur Folge.
Andere Länder wären kaum in der Lage, die Defizite auszugleichen. Damit das Katastrophenszenario nicht eintritt, müsste die Ukraine mittelfristig wieder Getreide exportieren. Dann aber müssten Banken im Westen bereit sein, die Bauern finanziell zu unterstützen.
Um Hungerkrisen zu vermeiden und die ukrainische Wirtschaft zu sichern, müsste der Krieg sofort enden. Erst dann können die Traktoren die Felder wieder bewirtschaften.