Ukraine: Regierung ohne Volk

Präsident Poroschenko mit seinem Kabinet am 18. September. Bild: president.gov.ua

Vor den angesetzten Kommunalwahlen bröckelt die Regierungskoalition, die kaum mehr Rückhalt in der Bevölkerung hat

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Vor den Kommunalwahlen in der Ukraine am 25. Oktober scheint die Regierungskoalition auseinander zu brechen. Die Regierung unter Präsident Poroschenko und Premier Jazenjuk hat in der Bevölkerung sowieso kaum Rückhalt mehr, aber nun ist die Radikale Partei, selbst gebeutelt unter Korruptionsvorwürfen, gerade wurde ein Abgeordneter verhaftet, ein anderer trat aus der Partei aus, schon ausgeschert, auch die Vaterlandspartei von Timoschenko droht mit dem Bruch. Beide stehen unter Druck der Rechtsnationalisten, die weiter einen starken Zentralstaat wollen und die von der Regierung angestrebte Dezentralisierung ablehnen, die sie als Nachgeben gegenüber Moskau und den Separatisten bezeichnen. Um den Rechten Sektor hingegen ist es nach den blutigen Krawallen vor dem Parlament ruhig geworden, weiterhin angestrebt wird von ihm ein Volksentscheid, der den Rücktritt der Regierung fordert.

Die lokalen Wahlen in der Ukraine und diejenigen in den separatistischen "Volksrepubliken" finden Ende Oktober statt. Die Wahlen in Lugansk und Donezk sollen als Provokation am 18. Oktober, eine Woche vor denen in der Ukraine, durchgeführt werden und dienen als wenig aussichtsreicher Versuch, die Vertreter der Volksrepubliken stärker zu legitimieren, die von Kiew als Terroristen und Separatisten kriminalisiert werden. Man will die Wahl nach internationalen Standards durchführen und auch den Menschen, die auf den von Kiew kontrollierten Gebieten lebenden Menschen die Möglichkeit bieten, sich zu beteiligen.

In der Ukraine werden mehr als 120 Bezirke, die um die "Volksrepubliken" Lugansk und Donezk liegen, nach einer Entscheidung der Zentralen Wahlkommission nicht an der Wahl teilnehmen, was wiederum dort der Legitimität schadet. Bislang wurden 58 Nichtregierungsorganisationen als offizielle Wahlbeobachter zugelassen, darunter so dubiose NGOs wie die "Vereinigung Armada. Angeblich wurde in der Trilateralen Kontaktgruppe über die Durchführung der Kommunalwahl in Lugansk und Donezk nach ukrainischem Recht diskutiert, wohl auch auf Druck seitens Deutschland, Frankreich und Russland, aber Ergebnisse sind kaum zu erwarten. Angeblich habe die Ukraine mit Vertretern der drei anderen Staaten im Normandie-Format über Maßnahmen gesprochen, wenn die Wahlen in Lugansk und Donezk nicht abgesagt werden, worauf man offenbar noch hofft.

Geht man nach Umfragen, dann hat sich die politische Klasse anderthalb Jahre nach der "Revolution der Würde" ähnlich diskreditiert, wie dies schon nach der "Orangen Revolution" der Fall gewesen war. Präsident Poroschenko, bei seiner Wahl im September 2014 noch der Hoffnungsträger, den 55 Prozent gut fanden, erzielt jetzt gerade noch eine Zustimmung von 24 Prozent, 67 Prozent beurteilen seine Arbeit nach einer Ende August veröffentlichten Umfrage als negativ. Die Regierung unter Premier Jazenjuk, der mit seiner Volksfront bei den Wahlen praktisch gleichauf mit dem Block Poroschenko lag, erhält gerade noch eine Zustimmung von 10 Prozent, 84 Prozent lehnen sie ab, doppelt so viel wie im September 2014.

Auch die Rada, das ukrainische Parlament, ist bei der Bevölkerung unten durch, obwohl es doch von den Janukowitsch-Anhängern weitgehend "gesäubert" ist. Die Zustimmung liegt gerade einmal bei 9 Prozent, die Ablehnung bei 84 Prozent. Allerdings lag die Zustimmung im letzten September mit 17 Prozent auch nicht viel höher, was entweder eine mangelnde Verankerung der demokratischen Institutionen oder Skepsis gegenüber der politischen Klasse oder beides zusammen bedeutet, schließlich wechseln die ukrainischen Politiker die Parteien wie Hemden, gründen Oligarchen selbst welche, um ihren Einfluss geltend zu machen, und es grassiert die Korruption.

Nach einer anderen, von der Democratic Initiatives Foundation in Auftrag gegebenen Umfrage, die Ende Juli durchgeführt wurde, glaubt die Hälfte der Befragten sowieso, dass die Regierung bislang noch keine Reformen umgesetzt hätte. Die Menschen spüren die Inflation, das Sinken der Löhne, die steigende Preise, was, wie zu erwarten war, die Menschen gegen die Regierung aufbringt. Nur 2,3 Prozent geben an, dass sie die Folgen der Wirtschaftskrise nicht spüren, für 60 Prozent sind sie deutlich merklich.

51 Prozent sehen in den Oligarchen und der Regierung die größten Hindernisse für Reformen, wobei 54 Prozent auch die Weiterführung der Markreformen, also die Liberalisierung, befürworten, 36 Prozent würden dafür auch erst einmal eine Verschlechterung der eigenen Lebensbedingungen hinnehmen, ein Drittel sieht sich dazu allerdings außerstande. Im Westen des Landes ist eine Mehrheit bereits, weitere Einschränkungen für Marktreformen zu akzeptieren, im Rest der Ukraine ist die Mehrheit dagegen. Die Akzeptanz sinkt allerdings überall. Für 72 Prozent ist an der Wirtschaftsmisere die Korruption Schuld, für mehr als die Hälfte die "Oligarchisierung" der Wirtschaft, nur 30 Prozent sehen den Krieg als Ursache.

Am populärsten ist weit vor Poroschenko mit 36 Prozent Andriy Sadovy, der Bürgermeister von Lemberg und Vorsitzender der von ihm 2012 gegründeten Partei Samopomitsch (Selbsthilfe), die aus der Wahl im letzten Jahr als drittstärkste Fraktion hervorging. Sadovy und seine Partei gelten als liberal und machen sich für einen Ausbau der Selbstverwaltung, also für mehr Dezentralisierung, stark. Zuvor war er Mitglied der Partei "Unsere Ukraine" von Wiktor Juschtschenko. Geschadet dürfte seine Karriere auch nicht haben, dass er 2006 den Fernsehsender 24 TV gründete und sich damit in die Reihe der Politiker und Oligarchen stellte, die Fernsehsender oder andere Medien ihr eigen nennen, weswegen ein unabhängiger Journalismus in der Ukraine kaum vorhanden ist. Die Selbsthilfe geht auf eine Art Genossenschaftsbank zurück, die in die USA ausgewanderte Ukrainer 1951 gegründet haben. Auch Samopomitsch droht mit dem Ausscheren aus der Regierungskoalition, der Partei gehen die Reformen zu langsam voran, vor allem wird eine Veränderung bei der Generalstaatsanwaltschaft und in der übrigen Justiz gefordert.

Poroschenko steht zwar an zweiter Stelle mit 27 Prozent, es konnten Mehrfachangaben gemacht werden, aber dahinter genießen mit jeweils 25 Prozent hohe Popularität Dmitri Jarosch, der Chef des Rechten Sektors, Oleh Liashko, der Führer der Radikalen Partei, und auch Vitaliy Klitschko, der zugunsten Poroschenko zurückgetreten und dafür den Posten des Oberbürgermeisters von Kiew erhalten hat.

Interessant ist in dem Zusammenhang auch eine Umfrage, die zwar bereits im Mai durchgeführt wurde, aber doch die weiterhin herrschende Stimmung im Land wiedergeben dürfte. 48,5 Prozent sahen hier die wichtigste politische Aufgabe in der Beendigung des Kriegs. 61,8 Prozent würden auch auf die von den Separatisten kontrollierten Gebiete verzichten, wenn es dafür Frieden geben würde. 22,9 Prozent wären für die Fortsetzung des Kriegs bis zur Wiedereingliederung der Gebiete. Die Unabhängigkeit anerkennen wollten aber nur 12,7 Prozent. Bei Verhandlungen mit Russland würden auch 45,2 Prozent Zugeständnisse machen.

Am 2. Oktober, also noch vor den Wahlen, werden die Regierungsgchefs der Normandie-Gruppe noch einmal über die Umsetzung des Minsk-Abkommens verhandeln. Dabei wird es auch um die Fortsetzung der Sanktionen oder um deren Beendigung gehen, wenn ein Kompromiss gefunden werden sollte. Allerdings dürfte der Druck auf Russland sinken, weil sich die Aufmerksamkeit auf Syrien und die Flüchtlingskrise verlagert hat, während der Druck auf Kiew steigen dürfte, das Minsker Abkommen umzusetzen und in direkte Gespräche einzutreten. Das Thema der Kommunalwahlen dürfte dabei entscheidend werden, aber auch die Einigkeit der EU, die wegen der Aufnahme der Flüchtlinge am Bröckeln ist. Vermutlich wird man den Zeitplan zur Umsetzung des Abkommens und damit auch der Kommunalwahlen sowie des Sonderstatus verlängern. Wie sich das auf die Sanktionen auswirken wird, steht in den Sternen, vermutlich werden sie dann verlängert, wenn der Konflikt in der EU sich nicht zwischen Sanktions- und Flüchtlingsgegnern verschärft.