Umbauschmerzen in der Kfz-Industrie
Die Energie- und Klimawochenschau: Vom Engagement der Bundeskanzlerin für den Verbrennungsmotor, von elektrischer Schifffahrt und einem bayerischen Verwirrspiel um die Abstandregeln für neue Windkraftanlagen
Bis 2025 könnte jeder vierte PKW einen elektrischen Antrieb haben, glaubt Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE). Die Aussicht erfüllt ihn mit Sorge. Mit Blick auf seine Mitglieder in der Automobilzuliefererbranche fordert er Beihilfen des Bundes, damit diese Betriebe die Anpassung an die neue Technik bewältigen können.
Ihm schwebe ein "Zukunftsfonds für Europas Leitindustrien" vor, meinte Vassiliadis am Wochenende gegenüber der Presse. Es müsse verstärkt in "Hochtechnologieprojekte" investiert werden, worunter der Gewerkschafter künstliche Synthese und den Einsatz von Strom in anderen Sektoren wie der Wärme- und Gasversorgung versteht.
Den erneuerbaren Energieträgern traut er hingegen kaum noch Innovationspotenzial zu. Das könnte allerdings daran liegen, dass sie mit der Braunkohle konkurrieren, die der Gewerkschafter bevorzugt. Seine Gewerkschaft sorgt regelmäßig in der Lausitz und im Rheinland für eine extrem aggressive Stimmung, wenn dort gegen Braunkohletagebaue protestiert wird.
E-Auto-Quote oder lieber nicht?
Was die Elektrifizierung des PKW-Verkehrs angeht, so spricht Vassiliadis davon, dass "bis zu 200.000 Beschäftigte in Chemie-, Kautschuk- und Kunststoffindustrie (...) Teil der Zulieferbranche" seien. Für die Herstellung von E-Autos und aufgrund der Digitalisierung der Fahrzeuge würden künftig deutlich weniger Komponenten benötigt, was den Gewerkschafter um Arbeitsplätze fürchten lässt. Chancen sieht er mit staatlicher Förderung für die hiesige Industrie in der Batterietechnik, in der Digitalisierung und in der Produktion von Leichtbau-Werkstoffen.
In NRW, einer der IG BCE-Hochburgen gibt es derzeit einen kleinen Streit in der regierenden Koalition aus SPD und Grünen. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) lehnt eine Bundesratsinitiative zur Einführung einer E-Auto-Quote ab. Ihr Grüner Umweltminister Johannes Remmel wirbt hingegen im Interview mit der "Westfalen Post" für diese. Er verweist auf den Hohen Anteil der Verbrennungsmotoren an den Stickoxid-Emissionen, die die Atemluft in den Städten belasten und sucht nach Wegen, wie Elektro- und Wasserstoffautos in den Massenmarkt eingeführt werden könnten.
Remmel schwebt eine "verbindliche Neufahrzeug-Quote für die Hersteller" vor, wie es sie nach seinen Abgaben im US-Bundesstaat Kalifornien bereits gibt. Dort muss eine bestimmter Prozentsatz der verkauften PKW eines Herstellers Elektroantrieb haben. Alternativ kann das Unternehmen Gutschriften eines anderen Hersteller aufkaufen, der über das Ziel hinaus geschossen ist.
Merkel greift zum Telefon
Ein ähnliches System wird auch, wie berichtet, in China diskutiert. Allerdings sollen dort die zunächst vorgesehenen Auflagen reduziert werden, wie das "Handelsblatt" schreibt. Dazu habe eine Intervention der Bundeskanzlerin geführt. Offiziell wurde nur verlautet, die Bundeskanzlerin unterstütze die chinesische Politik, Elektroautos einzuführen.
Ursprünglich sollten die Hersteller bereits ab 2018 verpflichtet werden, mindestens acht Prozent Elektro- oder Hybridautos zu verkaufen. Letzteres sind Wagen die sowohl über einen Elektro- als auch einen Verbrennungsmotor verfügen. Den hiesigen Automobilkonzernen, für die China inzwischen meist der wichtigste Absatzmarkt ist, ging das jedoch zu schnell. VW hat im letzten Jahr in der Volksrepublik, laut "Handelsblatt", mit nahezu vier Millionen PKW mehr als jeder andere Anbieter verkauft. Weltweit fährt jeder dritte Neuwagen auf chinesischen Straßen, um dort zum verheerenden Smog in den Städten beizutragen.
Elektroautos sollen diesen vermindern, und zwar möglichst rasch. Allerdings haben die deutschen PKW-Hersteller die Entwicklung verschlafen. Da sie sich nicht in der Lage sehen, rechtzeitig attraktive Produkte auf den Markt zu bringen, hätte die Regel eine Limitierung ihrer Verkäufe bedeutet. Also wurde die Bundesregierung beauftragt, in Beijing (Peking) ein bisschen Druck für die deutsche Autobranche zu machen. (So viel Engagements Berlins hätte man sich auch in Sachen Diesel-Skandal gewünscht.) Wie der Kompromiss aussieht, zu dem die Bundeskanzlerin den chinesischen Ministerpräsidentin Li Keqiang überreden konnte, soll nächste Woche bekannt gegeben werden.
Nordisches Musterland Norwegen
Im kleinen Norwegen ist die Entwicklung derweil schon deutlich weiter als hierzulande oder in China. In dem dünn besiedelten 5,2-Millionen-Einwohner-Land fahren bereits 100.000 E-PKW, wie die Internetplattform "Climate Action" berichtet. Im September 2016 seien knapp 29 Prozent aller verkauften Wagen E-Autos gewesen und im Dezember schon 24 Prozent. Verschiedene Anreize wie etwa ein 25prozentiger Nachlass bei der Mehrwertsteuer erleichtern den Norwegern die saubere Alternative. Und die ist in Norwegen, zumindest was den Antrieb angeht, tatsächlich eine saubere: Norwegens Strom wird zu rund 95 Prozent mit Wasserkraft erzeugt und der Rest zu gleichen Teilen mit Windkraft und thermischen Kraftwerken.
Im Land der tausend Fjorde gibt es inzwischen auch die ersten Schritte, den Schiffsverkehr zu elektrifizieren. Laut Fachinformationsdienst IWR hat die Siemens AG im Auftrag einer norwegischen Werft einem Betrieb für Fischzucht eine maßgeschneiderte Lösung für ein Arbeitsboot geliefert. Das soll künftig mit einem Elektromotor angetrieben werden. Die mitgeliefert Batterie reicht für den üblichen Achtstunden-Arbeitstag. Nur für den Notfall ist noch ein zusätzliches Dieselaggregat an Bord.
Schon seit knapp zwei Jahren fährt in Norwegen die weltweit erste elektrisch betriebene Autofähre, für die der Motor ebenfalls von Siemens stammt. Sie legt allerdings nur jeweils eine kurze Strecke zurück und kann ihre Batterien dann jeweils im Hafen wieder aufladen.
Vestas wieder Spitze
Der dänische Konzern Vestas hat seinen angestammten Platz Nummer Eins auf der globalen Rangliste der Windkraftanlagenhersteller zurückerobert. Rund 16 Prozent des weltweiten Zubaus an Land kamen 2016 aus den Produktionsstätten der Dänen, heißt es unter Berufung auf Bloomberg New Energy Finance. Auf Platz zwei folgt General Electric aus den USA. Auf dessen Heimatmarkt hatte Vestas rund die Hälfte seiner Anlagen ausgeliefert. 2015 hatte das chinesische Unternehmen Goldwind die Spitzenposition inne, auf die sonst die Dänen ein Abonnement hatten. Goldwind landete auf Platz drei.
Aus Deutschland sind Nordex, Siemens und die vor allem im Inland starke, noch immer eher mittelständisch organisierte - und zum Teil mit Niedriglöhnen arbeitende - Enercon unter den Top zehn. Wenn demnächst Siemens Wind mit auf Platz Vier rangierenden Gamesa aus Spanien fusioniert, dann könnte das neue Unternehmen nach ganz vorne vorstoßen. Auf jeden Fall würde sich damit ein dominantes Quartett herausbilden, das die anderen Hersteller hinter sich lässt, zitiert der IWR einen Marktbeobachter.
Der Markt, um den es geht, war 2016 54,6 Gigawatt (GW) groß. Diese Leistungen können alle neu installierten Windkraftanlagen auf Land und auf See erbringen. Insgesamt wuchs die weltweite Kapazität der Windenergie damit auf 487 GW.
Allein 23 GW wurden in China neu errichtet. Dort hatte sich die Bautätigkeit etwas verlangsamt, nachdem 2015 rund 30 GW installiert worden waren. Das Land hat inzwischen Schwierigkeiten mit der notwendigen Netzinfrastruktur hinterher zu kommen und den Netzbetrieb flexibler zu gestalten. Nicht immer gelingt es, den ungleichmäßig anfallenden Windstrom auch zu den Verbrauchern transportieren zu können.
Windkraft in Bayern: Abstandhalten oder doch nicht?
Derweil kommen aus Bayern widersprüchliche Signale in Sachen Windenergie. Wie mehrfach berichtet sorgen neue Abstandsregeln für erhebliche Probleme, wenn es darum geht, geeignete Standorte zu finden. Demnach müssen die Anlagen einen Mindestabstand vom Zehnfachen der Anlagenhöhe (oberste Blattspitze) zur nächsten Wohnbebauung einhalten. Der ehemalige bayrische Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Josef Fell, schlug daher letzte Woche erneut Alarm, Bayerns Windenergie sei tot und der Atomausstieg gefährdet. Das habe eine Studie der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf ergeben. Die Zahl der Baugenehmigungen sei massiv zurückgegangen.
Das sogenannte 10-H-Gesetz führe zu einem Mindestabstand von rund zwei Kilometern, wodurch nur noch etwa 0,05 Prozent der bayerischen Landesfläche für Windkraftanlagen in Frage kommen. Das Ziel des bayerischen Energieplans von 2011 könne so nicht erreicht werden. Bis zu 1500 neue Windräder sollen errichtet werden, hieß es seinerzeit. Von Förderung der Bürgerwindparks war die Rede. Der Ausbau der Windkraft müsse im Land wegen des Rückstandes gegenüber dem Bundesdurchschnitt schneller vonstatten gehen. Ausreichende Flächen sollen zur Verfügung gestellt und die Genehmigung beschleunigt werden.
Daran müssen sich Bayerns Energieministerin Ilse Aigner und Innenminister Joachim Herrmann erinnert haben, wie der Merkur aus München berichtet. Dieser Tage gaben sie demnach eine Broschüre heraus, die in den Gemeinden dafür wirbt, mit einer Bauleitplanung die 10-H-Regel zu umgehen. Die Zeitung berichtet von einem Fall aus Dachau bei München, wo dies derzeit geschehe. Dort solle ein 230 Meter hohes Windrad in nur 800 Meter Abstand zum nächsten Wohnhaus errichtet werden. Es gebe allerdings Anwohner-Proteste, die noch Erfolg haben und das Projekt verhindern könnten.