Umfragehoch: AfD an der 20-Prozent-Marke
Wählerpotential laut Insa noch größer. Ampel-Koalition verliert Mehrheit. Ist das Hoch der Rechten nur eine Episode? Läuft die Demokratie aus dem Ruder`.
Die AfD hat laut Umfragen die 20-Prozent-Marke vor der Nase. Das ist eine Volkspartei-Marke. Die Rechtsaußen-Partei erreicht sie bei einer YouGov-Umfrage vom 9. Juni. Bei der aktuellen Insa-Umfrage, veröffentlich von der Bild-Zeitung liegt sie mit 19,5 Prozent nur knapp darunter.
Jede(r) fünfte Wahlberechtigte in Deutschland würde, geht es nach diesen Umfragebarometern, das Kreuz bei einer Partei machen, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auf dieses ungewöhnliche Lagebild, das von einem großen Überdruss gegenüber den anderen, älteren Parteien spricht, verweist auch das Boulevard-Medium.
Dort heißt es mit Bezug auf die Umfrage, dass das Wählerpotential der Partei mit dem neoliberalen Kern und den völkischen Flügeln 28,5 Prozent betragen könnte.
Nimmt man das "Rekord-Hoch", wenn es denn hält, als Grundlage für künftig mögliche Modelle, dann ist vorstellbar, dass sich bei einem anhaltenden Erfolg der AfD bei der Wählerschaft in der Union die Stimmen für einen Kurswechsel häufen.
Es ist gut vorstellbar, dass das Nein zu einer Koalition oder Zusammenarbeit mit der AfD aufweicht und sich die Dafür-Stimmen nach vorne drängen.
Zwar rief CSU-Chef Söder erst kürzlich laut, dass er die AfD nicht dabei haben will, wenn es um die Heizungsrevolte geht: "Die bürgerliche Mitte hat nichts mit AfD, hat nichts mit Anti-Demokraten zu tun". Doch ist das ein Spruch mit der Haltbarkeit eines Wahlplakats, das im Wind steht.
Die AfD hat den vollen Protestwind im Rücken. Die Linke ist derart zerstritten, dass sie zu keiner Oppositionsarbeit mehr fähig ist, die Zugkraft für ein breiteres Publikum hat. Der AfD gelang es hingegen, oppositionelle Positionen, die im Widerspruch zu starren Konsenshaltungen im bürgerlichen Lager stehen, für sich zu kapern.
Ein Beispiel nur, um einmal nicht den viel berichteten Streit über die Klimapolitik der Ampel heranzuziehen: Wer das Angebot und das System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kritisiert, mag noch so sehr betonen, dass er die öffentlich-rechtlich Sender für eine Notwendigkeit hält, doch sieht sich die Person bald in einem Diskurs gefangen, in der sie sich dagegen verteidigen muss, mit einer AfD-Position in eins gesetzt zu werden.
Ähnliches geschieht regelmäßig bei Diskussionen über Kritik an einer Berichterstattung, die Debatten aus dem Weg geht.
"Nur kein Beifall von der falschen Seite", heißt das Abwehrprinzip, das es der AfD leicht machte, politische Positionen zu belegen und für sich zu reklamieren, die Schichten ansprechen, die sich in der auf die "bürgerliche Mitte nach dem westdeutschen Modell" konzentrierten Politik der etablierten Parteien nicht wiederfinden.
Das Hauptnarrativ des lange etablierten Systems "erschöpft sich darin, sich von der AfD abzugrenzen und sie zu isolieren. Aber das Volk, das leider immer auch das Wahlvolk ist, will da nicht so recht mitmachen", schrieb Harald Neuber kürzlich in einem Telepolis-Leitartikel, als die AfD beim ARD-DeutschlandTrend 18 Prozent erreichte: "Wer schreit, hat Unrecht, lieber Bundeskanzler".
Offenbar, so seine Beobachtung, "gibt es Motive – Sorgen, Ängste, Enttäuschungen –, die von den etablierten Parteien und auch von den Medien nicht hinreichend ernstgenommen werden".
Mehr Aufpassen auf soziale Nöte, die nicht nur beim Heizungsgesetz hintangestellt wurde, wäre eins dieser Motive. Ein anderes großes Thema wäre die Spaltung in Deutschland, bei welcher "der Westen kontinuierlich den Osten selbst zum Fremden macht", wie es Dirk Oschmann, Literaturprofessor in Leipzig, in einem bemerkenswerten Interview über Chancenungleichheit herausstellte.
Die Ampel-Parteien kommen laut der erwähnten Umfrage zusammen lediglich auf 41 Prozent und hätten keine Mehrheit mehr.
Beim altuellen RTL/ntv-Trendbarometer, durchgeführt von Forsa, ist die AfD mit 19 Prozent zweitstärkste Kraft. Die SPD kommt nur auf 18 Prozent.
Auch in den Umfragen der anderen Meinungsforschungsinstitute liefern sich SPD und AfD ein knappes Kopf-an-Kopf-Rennen. Bislang hat die SPD noch kein Rezept gefunden, sich von diesem politischen Gegner auf eine Weise abzusetzen, die die Wählerschaft zurückholt, die traditionell ihr Kreuz bei der SPD setzte.