Umwelt abgewählt

Umweltprotest ohne Aktivisten. Bild: Dirk Vorderstraße, CC BY-NC 3.0 DE

Wenn die Bundestagswahl 2021 etwas zeigt, dann, dass die Umweltbewegung zu klein und ihre Kommunikation miserabel ist

1986 beschrieb der Soziologe Ulrich Beck unser Dasein als Leben in einer "Risikogesellschaft", die die Klassengesellschaft sowie die Aufstiegsgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg mehr und mehr ablöst: "An die Stelle der Gemeinsamkeit der Not tritt die Gemeinsamkeit der Angst".1

Die ökologischen Risiken sind meist abstrakt und unsichtbar und betreffen die meisten Menschen selbst 35 Jahre später noch nicht unmittelbar. Veränderungen wie Klimawandel, Artensterben, Ablagerung von Giften und andere gehen langsam vonstatten, sodass wir uns daran gewöhnen.

Auch tatsächlich Betroffene sind gezwungen zu lernen, mit ihnen zu leben - etwa wenn Starkregen das Eigenheim zerstört, schließlich werden die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zwänge und Vorzüge des gegenwärtigen Wirtschaftssystems nicht mit hinfortgespült.

Selbst ein allgemeines Gefühl der Betroffenheit "muss nicht in Bewusstwerdung der Gefährdung einmünden, es kann auch das Gegenteil bewirken, also Leugnung aus Angst provozieren".2

Ulrich Beck fragte bereits vor 35 Jahren: "Ist Angst vielleicht - anders als materielle Not - ein sehr schwankender Grund für politische Bewegungen? Kann die Gemeinsamkeit der Angst vielleicht schon durch die dünne Zugluft von Gegeninformationen auseinander geblasen werden?"3

Heute lässt sich erkennen, dass über 40 Jahre nach Gründung der Grünen, nach zahllosen Umweltkatastrophen und eindeutigen wissenschaftlich-abstrakten Erkenntnissen, eine erdrückende Mehrheit der Bevölkerung Umweltgefahren zwar anerkennt, sich aber selbst bei Wahlen von irgendwelchen anderen Präferenzen leiten lässt.

Die Menschheit hat aber keine weiteren 40 Jahre Zeit, um die gegenwärtigen Handlungsroutinen entscheidend zu ändern und ein fossilfreies, materialschlachtenfreies Leben für alle zu organisieren.

Wer, wenn nicht hoch entwickelte Industriestaaten müssen bei dieser Entwicklung voranschreiten? Die Wahl lässt allerdings nur die Interpretation zu, dass es im Wesentlichen so weiter gehen möge wie bisher.

Ulrich Beck machte vor mehr als einer Generation auf das Problem der Vermittlung von Umweltrisiken aufmerksam: "Es zeigen sich Gruppen betroffen, die besser ausgebildet sind und sich reger informieren. (…) Eher dort, wo der Druck der unmittelbaren Existenzsicherung gelockert oder gebrochen ist, also in reicheren und gut gesicherten Stellungen (und Ländern), entwickeln sich Risikobewusstsein und Engagement".4

Diese elitäre Struktur erlebe ich seit Jahrzehnten und trage bisweilen auch selbst zu ihrer Verfestigung bei: Natürlich unterhalte ich mich lieber mit Menschen, deren Argumente rational "geerdet" und durchdacht sind und wo es inhaltliche Reibungsflächen gibt.

Und schon droht mein Text Menschen unterschiedlicher Bildung unterschiedlich zu werten. Ich bin überzeugt davon, dass wir damit bei einem Kernproblem der Umweltbewegung angelangt sind.

Aber der Reihe nach: Momentan hat unsere Bildung einen viel zu großen Einfluss darauf, wie wir denken: Es sind überwiegend Menschen mit geringen Bildungsabschlüssen, die die AFD unterstützen; Menschen mit hohen Abschlüssen unterstützen eher die Grünen.

Das ist nichts Neues, aber es fällt der Umweltbewegung immer stärker vor die Füße: Die Fridays-For-Future-Bewegung in Deutschland besteht vorwiegend aus Oberstufengymnasiasten und Studierenden.

Es ist für mich kaum denkbar, innerhalb des gegenwärtigen Umweltdiskurses, der abstraktes Denken, komplexe Argumentationsstrukturen und eine hohe Bildungsbereitschaft voraussetzt, die Bewegung zu einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung zu verbreitern.

Wenn über 40 Jahre nach der Gründung der Grünen 85 Prozent der Bürger lieber Parteien wählen, die die uns umzingelnden Krisen vorwiegend rhetorisch anerkennen, dann wird es höchste Zeit, die eigenen Begründungen, Forderungen, Aktionsformen und Visionen kritisch zu hinterfragen.

Selbst wenn ökologische Parteien (mit-)regieren, werden sie gegenwärtig zu Kompromissen gezwungen, die ihre Politik jeglicher Enkeltauglichkeit berauben. Was natürlich darauf zurückzuführen ist, dass ihre Wählerbasis schmal und elitär ist und sie für 85 Prozent der Wähler und mehr noch für nicht-akademisches Publikum unattraktiv erscheinen.

Ganz offensichtlich muss die Umweltbewegung ihre Kommunikation tiefgreifend verändern, weil sie Berufsschüler, Handwerker etc. in ebenso hohem Maße erreichen muss wie Abiturienten.

Die Bildungschancen aller zu erhöhen, steht natürlich ebenfalls an, doch das wird länger dauern als wir noch Zeit zur Verfügung haben, um die Pariser Klimaziele umzusetzen.

Wo es wichtiger ist, über läppische Unkorrektheiten einer Kanzlerkandidatin zu schwadronieren und die Grünen in Umfragen von 30 Prozent Zustimmung auf unter 15 Prozent gestutzt werden, also neun Millionen Wähler "abgesprungen" sind, gibt es keine Alternative zu einer anderen Umweltkommunikation.

Es zeigt vor allem auch den anderen Parteien, wie wenig wichtig das Wahlvolk ökologische Themen nimmt - und es wäre naiv zu glauben, dass in diesem Stimmungsgemenge eine tatsächlich ökologisch handelnde Regierung möglich wäre.

Die Nachricht von Greta Thunberg ist ganz offensichtlich noch nicht angekommen. Gleichzeitig erkennt man daran, dass es nicht genügt, irgendwelche Schilder in die Luft zu halten, um Menschen für eine andere Welt zu gewinnen.

Der Autor ist sich bewusst, dass der Leser nun Vorschläge erwartet, was denn anders gemacht werden sollte. Hierzu habe ich hier bereits einiges geschrieben, im Folgenden sei an das Jahr 2019 erinnert.

Dieses Jahr weist für mich den Weg in eine nachhaltige Zukunft: Dank Fridays for Future hatte sich die Zahl der Organisatoren von "umweltrelevanten" Veranstaltungen massiv erhöht – und die Zahl der Teilnehmer auf den Events ist regelrecht explodiert.

Auch die "alten" Umweltorganisationen organisierten hoch motiviert mit und forderten abseits öffentlicher Großevents von der kommunalen bis zur Bundesebene mitunter sehr konkrete Umbaumaßnahmen von den Regierenden.

Doch dann verhinderte die Covid-Pandemie eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches Umsteuern: Dauerhaften, kontinuierlichen Protest.

Es wird in anderen Städten Deutschlands wahrscheinlich nicht viel anders sein: Als politischer Aktivist in Regensburg kennt man die Szene recht schnell – es sind höchstens 100 Menschen, die neben ihren Jobs, ihrer Ausbildung und ihren familiären Verpflichtungen bereit sind, umweltpolitische Aktivitäten zu starten und andere dafür zu gewinnen.

Jene, die das regelmäßig tun, sind sogar noch wesentlich weniger – vielleicht 30. Bei rund 150.000 Einwohnern sind das 0,02 Prozent der Bevölkerung. Ab und an gelingt es, bis zu 1.500 Menschen für umweltpolitische Demonstrationen zu mobilisieren, rund ein Prozent der Bevölkerung.

Es sind allerdings viel, viel mehr Menschen offen für ökologische Reformen, das erkennt man an den Zustimmungswerten nach der Kanzlerkandidatenkür der Grünen ebenso wie z. B. an der großen Zahl Menschen, die Biolebensmittel kaufen.

Wenn die Umweltbewegung zu Potte kommen will, dann muss es ihr gelingen, viele dieser "silent bystander" dafür zu gewinnen – Vorsicht, copy and paste! – umweltpolitische Aktivitäten zu starten und andere dafür zu gewinnen.

Der "Wirbel", den die Umweltbewegung 2019 erzeugen konnte, zeigt, dass mehr politisches Engagement tatsächlich Veränderungen ermöglicht.

Doch die Zahl der tatsächlich politisch aktiven umweltbewegten Menschen ist viel zu gering, z. B. um auch zwischen großen Umweltprotesten im tagespolitischen Klein-Klein permanent Impulse zu setzen.

Ebenso kommen die Menschen aus zu wenig unterschiedlichen Milieus, als dass die Umweltbewegung als eine gesamtgesellschaftliche Bewegung wahrgenommen würde.

Die wichtigsten Aufgaben der Umweltbewegung für die kommenden Jahre sind somit: Ihren Aktivenstamm zu vergrößern und in der Breite anschlussfähiger zu kommunizieren.

Umweltbewegte Menschen werden die Kröte schlucken müssen: Die Umwelt hat keine permanent in ihrem Sinne lärmende Lobby wie etwa Banken, Automobilkonzerne oder die Immobilienwirtschaft.

Sie entsteht in Ansätzen im Bereich der erneuerbaren Energien oder biologischen Lebensmittel, doch die meiste Arbeit bleibt an den Umweltaktivisten hängen.

Wenn jene verstummen, übernehmen die "alten" Wirtschaftsbereiche.

Solange sie nur in ihren Blasen kommunizieren, werden sie keine Bewegung der ganzen Bevölkerung. Und selbst ein geringfügig besseres Wahlergebnis der Ökoparteien hätte die umweltbewegten Teile der Bevölkerung nicht aus der Verantwortung entlassen, für ihre Überzeugung zwischen den Wahlen, also permanent einzustehen.