Umzug auf jordanischen Stützpunkt: Verhandlungen über Immunität der Bundeswehrsoldaten
Laut einem Medienbericht trifft die Bundesregierung auch am Alternativstandort in Jordanien auf Hindernisse und ringe um "Details der Stationierung". Update: Mit der Scharia dürfte dies nichts zu tun haben
Anfang Juni hatte die Bundesregierung den Abzug der deutschen Luftwaffeneinheiten vom türkischen Stützpunkt Incirlik beschlossen. Die rund 280 deutschen Bundeswehrsoldaten, die Aufklärungs-Tornados und ein Tankflugzeug vom Typ Airbus A310 MRTT ein, sollten künftig von der jordanischen Basis Al Azraq aus operieren. Der Bundestag unterstützte am 21. Juni mit sehr großer Mehrheit die Verlegung.
Der Entscheidung ging ein Streit mit der türkischen Regierung über Besuchsrechte deutscher Abgeordneter bei der "Parlamentsarmee" voraus, bei dem auch Außenminister Gabriel nichts erreichen konnte (vgl. Türkei bleibt beim Nein zum Incirlik-Besuch deutscher Abgeordneter). Verteidigungsministerin von der Leyen sprach sich Anfang Juni positiv über den neuen Standort aus, wie im Fachblog "Augen Geradeaus" nachzulesen ist:
Mit dem Flughafen Al Azraq in Jordanien haben wir eine vergleichbare Alternative gefunden. Ich war selbst vor kurzem in Jordanien und habe mich persönlich davon überzeugen können. Der jordanische König hat mir seine volle Unterstützung zugesagt. Für uns bedeutet die Verlegung einen Umzug von 280 Soldatinnen und Soldaten, sowie den Transport von etwa 10.000 to Material, knapp 200 Containern.
Das bedeutet natürlich, dass es eine Unterbrechung unserer Flugeinsätze im Kampf gegen den IS geben wird. Unser Ziel ist, dass das Tankflugzeug innerhalb von 2-3 Wochen wieder Einsätze beginnt und die Tornados in 2-3 Monaten. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Abzug aus Incirlik reibungslos klappt.
Ursula von der Leyen
Das Statement der Verteidigungsministerin wurde am 6.Juni wiedergegeben. Demnach wurde damit gerechnet, dass die Aufklärungsflüge im September von Al Azraq aus starten können. Nach Informationen, die der Spiegel heute veröffentlicht, gibt es Verzögerungen.
Scharia für Bundeswehrsoldaten nicht relevant
Die Bundesregierung ringe auch am Alternativstandort in Jordanien mit dem Gastgeber um Details der Stationierung ist im Bericht zu erfahren und, dass das Verteidigungs- wie auch das Außenministerium seit Wochen versuchten, "ein formales Abkommen mit der jordanischen Regierung zu erreichen".
Allerdings wurde der Leser bereits vor dieser eher trocken-amtlichen Info vom aufsehenerregenden Titel des Berichts auf eine Spur geführt, die der Verlegung von Bundeswehreinheiten eine besondere Note gibt: "Deutsche Soldaten sollen keine Immunität vor Scharia bekommen."
Das Schreckenswort Scharia regt die Phantasie an, keine schöne. Es gehört zum großen "Kulturkampf"-Thema. Zwar ist von Jordanien bislang nicht bekannt, dass es dort zu Exzessen von Scharia-Gerichten (es gibt dort eine säkulare Gerichtsbarkeit - die Scharia gilt nur für Muslime in privaten und Familienangelegenheiten) kommt, aber dass deutsche Soldaten dort einer Gesetzgebung unterworfen sein sollen, von der sich seit dem Medien-Erfolg der islamischen Fundamentalisten und vor allem der Dschihadisten hauptsächlich grausame Bilder festgesetzt haben, verlangt nach Aufklärung.
Der Spiegel-Bericht liefert sie spärlich und in Andeutungen.
Berlin besteht darauf, dass die rund 250 deutschen Bundeswehrsoldaten bei ihrem Einsatz durch volle Immunität vor Strafverfolgung in Jordanien geschützt werden, da dort teilweise noch die vom Koran inspirierte Scharia-Gesetzgebung gilt und auch das säkulare Justizsystem Strafen bis hin zu Todesurteilen verhängt.
Spiegel Online
Update/Ergänzung: Der Verweis auf die Sharia in der Überschrift und im eben genannten Zitat mit der Todesstrafe stiftet vor allem zu irreführenden Spekulationen an. Denn, wie sich aufgrund von Informationen zum Rechtssystem in Jordanien zeigt, herrscht dort säkulare Gerichtsbarkeit. So dürfte der Gegenstand der Verhandlungen zwischen den jordanischen und deutschen Vertretern bei Fragen der Gerichtsbarkeit liegen, die mit der Scharia nichts zu tun haben. Denn sie gilt in Jordanien, wie oben bereits angedeutet, nur für privat- oder statusrechtliche Angelegenheiten von Muslimen, wie z.B. bei Heirat- oder Erbschaftsregelungen.
Bundeswehrsoldaten sind davon aber nicht betroffen. Die von Deutschland gewünschte Immunität der deutschen Soldaten vor der Strafverfolgung durch die jordanischen Behörden dürfte vor allen damit zu tun haben, dass man will, das deutsche Soldaten im Fall des Falles vor deutsche Gerichte kommen. Man will wahrscheinlich ähnlich wie in Katar, wie dies auch vom Spiegel erwähnt wird, dass für die deutschen Soldaten die deutsche Gerichtsbarkeit gilt.
Jordanien habe einer solch weitgehenden Immunität bisher nicht zugestimmt, berichtet das Nachrichtenmagazin, das von einem Zeitplan ausgeht, wonach die Tornados im September verlegt werden und im Oktober ihre Aufklärungsmission wieder aufnehmen sollten.
Im Spiegel Bericht wird der "höchstmögliche Schutz der deutschen Soldaten" als fraglich dargestellt: "Die Bundesregierung hatte schon vor Wochen auf Nachfrage garantiert, dass man mit Jordanien den höchstmöglichen Schutz für deutsche Soldaten aushandeln wolle. Ob dieses Versprechen noch einzuhalten ist, erscheint derzeit fraglich."
Erfahrungen mit Katar und die Ausflüge der Soldaten
Wer genauer wissen will, worin die Gefährdung deutscher Bundeswehrsoldaten in Jordanien besteht und wie der höchstmögliche Schutz aussehen soll, bekommt vom Spiegel-Bericht nur Stichworte: Erfahrungen mit Katar und Ausflüge. Im Fall Katars, wo deutsche Offiziere im Befehlsstand der Anti-IS-Koalition stationiert seien, habe es ähnliche Diskussion gegeben und einen Kompromiss: Deutschen Soldaten sollten bei Gesetzesverstößen umgehend ausgeflogen statt vor ein katarisches Gericht gestellt zu werden.
Eine mögliche Immunität für die Soldaten gilt hauptsächlich für die Zeit, in der die deutschen Soldaten außerhalb des Camps sind, zum Beispiel im Straßenverkehr oder bei Ausflügen nach Amman oder zu anderen Sehenswürdigkeiten in Jordanien.
Spiegel online
Es gibt zwei große Probleme, wie einem deutsche oder europäische Gesprächspartner, die sich länger in Katar oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhalten, sehr rasch erzählen: Alkohol und den öffentlichen Austausch von Zärtlichkeiten. Der Genuss von Alkohol oder sexuelle Betätigungen, die öffentlich werden, können dort enorme Schwierigkeiten nach sich ziehen.
In Jordanien wird dies aber ganz anders gehandhabt als in den Golfstaaten, die vom Wahhabismus geprägt sind. Die Frage wäre, was haben Bundeswehrsoldaten mehr zu befürchten als deutsche Touristen in dem Land?