Unaussprechliches über Österreichs politisch-mediale Korruption
- Unaussprechliches über Österreichs politisch-mediale Korruption
- "Geld, Eitelkeit, der Drang, berühmt zu werden"
- Auf einer Seite lesen
Über ein Parteien-Spitzelsystem im ORF, Ministerbestimmungen durch die Kronen Zeitung, aktuell bekannt gewordene Verwerfungen, Glaubwürdigkeit der Medien und einen irreversiblen Trend.
Die Korruptionsermittlungen in Österreich betreffen nun auch Massenmedien. Chats zwischen Chefredakteuren und Spitzenpolitikern über geplanten Postenschacher und beeinflusste Medieninhalte belasten die Branche schwer.
Zwei bekannte Chefredakteure des Landes, Rainer Nowak (Die Presse) und Matthias Schrom (ORF), traten vergangene Woche zurück. Es gibt da womöglich noch viel mehr Abgründe, wie der österreichische Publizist Stefan Weber in einem Interview behauptet, das in Österreich nicht veröffentlicht wurde.
Die Antworten auf die folgenden Interviewfragen hat Stefan Weber in einer früheren Fassung einem Mitarbeiter des österreichischen Branchenmagazins medianet auf dessen Anfrage gegeben. Die Veröffentlichung des Interviews wurde von der Chefredaktion von medianet abgelehnt.
Was ist in Österreich los? Nach dem Ibiza-Video und der ÖVP-Korruptionsverdachtsaffäre jetzt zwei Fälle von "Medienkorruption". Kann man der Medienberichterstattung im Land noch trauen?
Stefan Weber: Zunächst eine generelle Antwort: Massenmedien Vertrauen zu schenken, an deren "objektive" oder "ausgewogene" Berichterstattung zu glauben – das ist so naiv wie der Glaube an den Weihnachtsmann. Deshalb sagt die aktuelle österreichische Medienneugründung "tag eins" auch: Journalismus kann gar nie "objektiv" sein.
Wenn wir uns nun die österreichische Medienlandschaft ansehen, haben wir im Wesentlichen zwei Lager mit ihren jeweils eigenen "confirmation bias": Fortschrittliche bis linke Medien wie den Standard oder den Falter und eher bürgerlich-konservative Medien wie die Presse oder den Kurier.
Diese Dichotomie wird durch die digitalen Neugründungen der vergangenen Zeit, durch ZackZack versus eXXpress wiederholt. Beide Lager pflegen seit langem ihre Netzwerke, aber eben auch ihre Feindbilder und neigen dazu, nur die jeweils andere Reichshälfte zu kritisieren. Und beim ORF ist einmal der SPÖ-nahe Mann (Wrabetz) und einmal der ÖVP-nahe Mann (Weißmann) dran.
Also wem oder welchem Inhalt sollte man da vertrauen? Man sollte vielmehr immer den Subtext eines Medientexts lesen: Welche Feindbilder werden warum aufgebaut? Das forderte übrigens der "Radikale Konstruktivismus" schon vor Jahrzehnten. Es ist gut, dass darüber in Österreich jetzt endlich diskutiert wird.
"Garanten der Wahrheit"
Was müsste getan werden, um die Glaubwürdigkeit der österreichischen Massenmedien wiederherzustellen?
Stefan Weber: Auf Sicht ist der Zug abgefahren. Der Trend in Richtung Social Media und eigene Medien – Blogs etc. – ist weltweit irreversibel. Wenn Massenmedien so tun, als wären sie Garanten der Wahrheit und der Objektivität, so ist das zunächst einfach mal nur eine Behauptung im Rahmen eines Geschäftsmodells.
Massenmedien sagen: Wir berichten, wie es ist; in social media findet sich hingegen viel Gossip. Die Netzmedien sagen hingegen: Wir berichten das, was die Traditionellen nicht berichten. Das kann eben dann bis zum Vorwurf der "Lügenpresse" reichen. Der Fake News-Vorwurf wird wechselseitig erhoben. Das ist alles in Österreich nicht anders als in Deutschland.
Wichtig ist mir hier: Noch jede Medienneugründung, die behauptet hat, aus der Dichotomie rechts/links oder konservativ/fortschrittlich aussteigen zu wollen, also endlich die wahren, absolut vertrauenswürdigen, unbiased News zu bringen, hat genau diese Dichotomie wiederholt, siehe zuletzt der YouTube-Kanal von Julian Reichelt.
In Österreich kommt zu diesem Grundlagenproblem der Massenmedien eine gefährliche Nähe zwischen Politik und Medien dazu.
Man treibt damit also die Medienkonsumenten zu noch mehr (fragwürdigen) News im Internet?
Stefan Weber: In der Frage schwingt doch schon wieder ein Vorurteil mit: Die News im Internet seien "fragwürdig". Ich habe in meiner Arbeit in den vergangenen Jahren viel aus Blogs bezogen.
Über vieles haben Massenmedien nicht berichtet, oft wurden auch von den Massenmedien unbelegte bis unsinnige Feindbilder aufgebaut. Ich sehe da höchstens graduelle Unterschiede, bzw. man muss von Fall zu Fall hinschauen. Da "Objektivität" ein Konstrukt ist, sind viele Blogs ehrlicher.
"Vor Top-Leuten buckeln"
Wie müsste eine Entflechtung von Medien und Politik in Österreich angegangen werden?
Stefan Weber: Wir müssen hier immer zwei Begehrlichkeiten auseinanderhalten:
Erstens Versuche der Politik, die Medienberichterstattung zu beeinflussen. Was hier etwa im ORF-Stiftungsrat passiert ist, vor allem vom ehemaligen FPÖ-Stiftungsratsvorsitzenden Norbert Steger, ist zum Erbrechen.
Leider sind das keine Einzelfälle, das hat System. Der ORF ist in Österreich ein einziges großes Politikum. Es geht um ein täglich neues Abstecken der Pfründe von SPÖ, ÖVP und FPÖ – und zuletzt mischen auch die Grünen mit. Das ist primär, alles andere ist sekundär. Ich habe dies als Praktikant der Zeit im Bild-Redaktion selbst erlebt. Die viel gescholtene "Message Control" gibt es in Österreich durch ein parteipolitisches Wachhund-System im ORF seit Jahrzehnten.
Zweitens: Versuche der Medien, die Politik – in der Tat auch Politiker und die kommende politische Agenda – zu bestimmen: Niemand berichtet hier etwa über die – zumindest vergangene – zutiefst antidemokratische Macht der Kronen Zeitung: Im Büro im höchsten Stockwerk des Krone-Gebäudes wurden unter Dichand senior Minister bestimmt.
Ja, sie wurden nicht diskutiert, sie wurden bestimmt (siehe: Das System Krone). Ich habe das schriftlich von einem Ex-Redakteur aus der Muthgasse und ein weiterer wäre bereit, dies eidesstattlich zu bezeugen. Der Einfluss von Dichand senior und auch von Teilen seines Redaktionsteams auf die Politik war (und ist vermutlich nach wie vor) so groß, dass die Politik regelmäßig vor den Top-Leuten der Krone buckelte und buckelt.
Dies hat der Dokumentarfilm "Tag für Tag ein Boulevardstück" eindrucksvoll belegt, der nie im ORF gezeigt wurde, aus guten Gründen. Man muss es klipp und klar aussprechen: Österreich hatte über Jahrzehnte einen nicht demokratisch legitimierten Herrscher. Das ist in Österreich tabu, darüber darf nicht gesprochen werden.
Sie fragen, was man gegen all das tun kann. Nun, die Antwort liegt sicherlich nicht (nur) in strengeren Gesetzen und Codes of Conduct, obwohl diese auch zu handsam sind. Es bedarf eines allgemeinen Mentalitäts- und Kulturwandels im Land. Aber da bin ich sehr skeptisch.