Unersättlicher Zwergstern in flagranti ertappt

Chandra-Weltraumteleskop beobachtete in Doppelsternsystem einen Zwergstern, der Roten Riesen Materie klaute

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Mit dem NASA-Röntgenteleskop Chandra konnten Astronomen erstmals einen direkten Blick in ein Doppelsternsystem werfen, in dem ein Riesen- und ein Zwergstern hausen und von denen letzterer – seine größere Schwerkraft nutzend – vom großen Bruder gierig Materie absaugt. Bislang konnten die Forscher einen solchen Vorgang bestenfalls „indirekt“ via Teleskop beobachten oder im Computerexperiment simulieren. Jetzt erwischten sie endlich einmal einen „Dieb“ auf frischer Tat …

Was um alles in der Welt haben sich die Astronomen, die doch die Welt erklären wollen, eigentlich nur dabei gedacht, als sie Fachbegriffe in die Welt setzten, die aus einer anderen Welt zu entstammen scheinen, einer märchenhaften, gruseligen Welt. Allein den Sternforschern ist es zuzuschreiben, dass sich im Weltraum zumindest namentlich recht seltsame, geradezu obskure Gestalten tummeln (sollen), die zu allen möglichen Assoziationen einladen. Ob Rote, Blaue Riesen, Braune oder Weiße Zwerge, Dunkle Energie, MACHOS, Schwarze Löcher oder gar Wurmlöcher – derlei ausgefallene Wortkreationen klingen ebenso weltfremd, wie die Objekte oder Phänomene wirken, für die sie stehen.

Mira A+B

Während in der feenhaften Märchenwelt echte Zwerge und Riesen omnipräsent zu sein scheinen, laufen sich im realen Kosmos stellare Zwerge und Riesen vergleichsweise selten über den Weg. Eine astral-symbiotische Beziehung gehen beide in der Regel nur dann ein, wenn sie sich in einem Doppelsternsystem gegenseitig gravitativ umklammern. Bei Mira A und Mira B ist dies der Fall: Der Riesenstern Mira A und sein Begleiter, der Zwergstern Mira B, bilden ein duales, höchst aktives Sternsystem. Während Mira A ein Roter Riese ist, der den 600-fachen Durchmesser der Sonne hat, fristet in dem dualen System Mira A als erdgroßer Weißer Zwerg sein Dasein.

Chandra-Bild im Röngtenbereich. Deutlich ist zu sehen, wie der Weiße Zwerg Mira B dem Roten Riesen Mira A Energie abzapft. (Bild: NASA/CXC/SAO/M. Karovska et al.)

In diesem Sternsystem steht das stellare Duo relativ nah zueinander, so dass sich zwischen beiden eine Art Materiebrücke aufgebaut hat. Den Prozess, der damit einher geht, konnten amerikanische Forscher mit dem ACIS-Instrument des NASA-ESA-Röntgenteleskop Chandra bereits am 6. Dezember 2003 en detail beobachten. Im Rahmen einer 19-stündigen Observation registrierten sie in dem Mira-AB-System energiereiche Röntgenstrahlen.

Überraschende Erkenntnis

Dabei zeigte sich zur Überraschung der Astronomen, dass vor allem der größere von beiden Sternen die stärkste Röntgenstrahlung emittierte. „Vor dieser Beobachtung dachte man, dass die gesamte Röntgenstrahlung aus einer den Weißen Zwerg umgebenden Materiescheibe stammt", verdeutlicht Margarita Karovska vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge/Massachusetts (USA). „Daher kam die Entdeckung eines Röntgenausbruchs auf dem Riesenstern für uns überraschend". Solche X-Ray-Emissionen entstehen, wenn der nahezu erdgroße Weiße Zwerg Mira B dank seiner Schwerkraft dem Roten Riesen sukzessive Materie entreißt. Diese sammelt sich dann in einer heißen Akkretionsscheibe an.

Künstlerische Darstellung der Szene, wie sie im optischen Licht aussehen würde. (Bild: CXC/M.Weiss)

Um die Quellen des Röntgenstrahlenausbruchs zu lokalisieren, zogen die US-Astronomen zum Vergleich ein älteres, im ultravioletten Bereich aufgenommenes Foto des Hubble-Weltraumteleskop heran. Dabei stellte sich heraus, dass Mira A, also der Rote Riese, tatsächlich die Quelle des Ausbruchs gewesen war. Dass die Forscher die Röntgenstrahlung von Weißem Zwerg und Rotem Riesen separieren konnten, ist der hohen Winkelauflösung des Chandra-Teleskops zu verdanken, nicht zuletzt aber auch der relativen Nähe des Sternsystems zur Erde: Das Binärsystem ist gerade einmal 420 Lichtjahre von der Erde entfernt. Ein Vorteil für die Beobachtung war aber auch, dass beide Sterne zirka 10 Milliarden Kilometer voneinander entfernt liegen, also immerhin die doppelte Distanz Sonne-Pluto aufweisen.

Stellare variierende Helligkeit

Der Stern „Stella Mira Ceti“, was übersetzt soviel wie der „verwunderliche Stern im Walfisch“ bedeutet (Kurzform: „Mira“), zählt zu den so genannten Veränderlichen, worunter Astronomen gemeinhin Fixsterne fassen, deren Helligkeit zeitlich mehr oder minder stark schwankt.

Das Chandra Röntgenstrahlen-Weltraumteleskop, benannt nach dem indisch-amerikanischen Nobelpreisträger Subrahmanyan Chandrasekhar (1910-1995), ist seit dem 23. Juli 1999 im Erdorbit. Es ist das komplexeste Röntgenstrahlen-Observatorium, das bis heute gebaut wurde. (Bild: CXC/NGST/NASA)

Bei dem im Sternbild Walfisch bzw. Cetus (Cet) angesiedelten Sterns Mira A trifft dies voll und ganz zu: Er variiert seine Helligkeit turnusmäßig alle 330 Tagen. Mal steigt sie derart schnell, dass Mira A zeitweilig als heller Stern mit bloßem Auge sichtbar wird; ein anderes Mal sinkt sie derart rapide, dass der Rote Riese unsichtbar bleibt.

Wie dem auch sei – all dies ist nicht mehr als ein vorübergehendes astrales Intermezzo. In nicht mehr allzu ferner Zukunft wird auch Mira A vom Roten Riesen zum Weißen Zwerg mutieren und dasselbe Schicksal teilen, mit dem sein jetziger binärer Kollege derzeit hadert. Wer dann wem die meiste Energie abluchst, wird zu guter Letzt keine Frage der Klasse, sondern ausschließlich eine der Masse sein.