Ungeliebte Vergangenheit

Ein Firmenmanager will einen Artikel aus dem Internetarchiv entfernen lassen, den er jahrelang nicht beanstandet hatte

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Dr. Jost Berstermann ist sicherlich nicht medienscheu. Der Leiter der Personalabteilung des Frankfurter Chemie- und Anlagebaukonzerns MG Technologies AG ist sogar mit Foto auf der Startseite des Unternehmens zu sehen. Wer Geduld hat und die richtigen Suchbegriffe zur Verfügung hat, kann über Jost Berstermann noch manche Details aus seiner politischen Vita lesen, die der Manager heute nicht mehr mit seinen Namen in Verbindung gebracht wissen will.

Dabei ist es nur ein kleiner Absatz in einem Artikel über die Aktivitäten Osnabrücker Burschenschaften, die sich mit Berstermann befassen. Die Autoren vom Osnabrücker Stadtblatt erwähnten Berstermann als Festredner bei der 125- Jahr-Feier der schlagenden Landsmannschaft Marchia Berlin in Osnabrück im Oktober 1997. In einigen Sätzen wird der politische Background des Redners ausgeleuchtet. Aktivitäten im NPD-nahen Unabhängigen Schülerbund werden dort ebenso erwähnt, wie eine spätere Aktivität bei den Osnabrücker Republikaner und politische Statements in der Zeitschrift Mut, die Ende der 70er Jahre noch eindeutig zu den rechtsextremen Publikationen gezählt wurde. Berstermann ging nie juristisch gegen diesen Artikel vor.

Doch jetzt hat er gegen das linke Webportal nadir, dass diesen Artikel schon seit mehreren Jahren archiviert hat, auf Unterlassung verklagt. Sein Anwalt erklärte, dass die Behauptungen in dem Artikel unabhängig vom Wahrheitsgehalt die Persönlichkeitsrechte von Berstermann verletzen.

Für nadir geht es bei dem Verfahren um die Existenz. Schließlich liegt der Streitwert bei 20.000 Euro. Der Ausgang des Zivilverfahrens hat allerdings auch darüber hinaus Bedeutung. Gerade nichtkommerzielle Internetarchive, die den Zugang sonst kaum mehr erhältlichen Informationen ermöglichen, konnten bisher darauf vertrauen, dass Artikel, die juristisch nicht beanstandet wurden, auch im Internet dokumentiert werden können.

Ob Berstermann allerdings mit seiner Klage gut beraten war, muss sich noch zeigen. Zumindest sind die Zugriffe auf den bisher kaum beachteten Artikel angestiegen. Zudem hat der Anwalt der Beklagten dem Gericht Broschüren der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten vorgelegt, um die Behauptungen der Stadtblattautoren zu belegen.